Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Sinope, ein Culturbild. Hirtenhauses trat und die seidenhaarigen Ziegenrudel mit demwandernden Turkstamme aus Oxiana nach Kappadokien und Paphlagonien eingebrochen waren1 und die weiten Steppen am Halys abzuweiden begannen, da war freilich keine Rede mehr von Indiens Schätzen und Persiens prächtigen Erzeugnissen, und statt der tausend Kiele der früheren pontischen Handelsflotte harrten die schweren Raubschiffe der Piraten-Emire von Kasta- muni auf die Fahrzeuge der Bosporanen und Genuesen, die noch den Verkehr zwischen den Pontus- und Mittelmeer-Ländern in Athem erhielten. Die Bergwerke im Nachbardistricte Dschanik, dem einstigen Lande der Chalyber, geriethen in Verfall, und keine rührigen Hände schmiedeten mehr den einst weitberühmten sinopischen Stahl ... Die letzte Nachlese in Sinope haben unter der Regierung Murad IV. (1614) die Saporogischen Ko- saken gehalten, deren kühne Seezüge mittelst ganz unbedeutender Boote in der Geschichte der Pontusländer ganz vereinzelt dastehen. Daß es ihnen möglich war, die starkbefestigte Stadt, nachdem sie von der Krim aus den Pontus überquert hatten, anzugreifen, in Brand zu stecken und mit reicher Beute die azow'schen Gestade wieder zu erreichen, stellt selbst jene anderen Raubzüge bis zu den Bospor-Ufern vollends in den Schatten. Gewöhnlich nahmen diese Kosakenzüge, von denen die anatolischen Pontusgestade viel 1 Ebd., I, 41 u. ff.
Die Zucht dieser Ziege, welche bei uns unter dem Namen "Angora- Ziege" bekannt ist, bildet auch heute noch eine Haupt-Erwerbsquelle der Steppen-Bevölkerung am oberen Sakaria. Letztere ist der urwüchsige ar- cadische Hirtenstamm geblieben, von den alten Zeiten Galatiens an bis auf den Tag. Die Kleidung des Hirten beschränkt sich zumeist nur auf ein doppeltes Ziegenfell, das, an den Seiten zusammengenäht, ein Loch zum Durchstecken des Kopfes frei läßt. Auch der gekrümmte Hirtenstab (pedum) ist noch in Gebrauch, sowie die Ledersandale, wie überhaupt die Ziege, je nach der Art ihrer Ausnützung, alle Bedürfnisse des central- anatolischen Hirten deckt. Die Zucht, früher von ganz besonderer Wich- tigkeit (vgl. v. Tschichatscheff, "Asie Mineure", II, 689 u. ff.) ist schon seit einer Reihe von Jahren bedenklich zurückgegangen. Vollends hat sie ihr Ruin in den Hungerjahren 1875 und 1876 betroffen, zumal durch die geringe Fürsorge der ottomanischen Regierung in dieser Zeit furchtbaren Elends. (Vgl. den anonymen Autor von "Stambul und das moderne Türken- thum", II, a. a. O.) Sinope, ein Culturbild. Hirtenhauſes trat und die ſeidenhaarigen Ziegenrudel mit demwandernden Turkſtamme aus Oxiana nach Kappadokien und Paphlagonien eingebrochen waren1 und die weiten Steppen am Halys abzuweiden begannen, da war freilich keine Rede mehr von Indiens Schätzen und Perſiens prächtigen Erzeugniſſen, und ſtatt der tauſend Kiele der früheren pontiſchen Handelsflotte harrten die ſchweren Raubſchiffe der Piraten-Emire von Kaſta- muni auf die Fahrzeuge der Bosporanen und Genueſen, die noch den Verkehr zwiſchen den Pontus- und Mittelmeer-Ländern in Athem erhielten. Die Bergwerke im Nachbardiſtricte Dſchanik, dem einſtigen Lande der Chalyber, geriethen in Verfall, und keine rührigen Hände ſchmiedeten mehr den einſt weitberühmten ſinopiſchen Stahl … Die letzte Nachleſe in Sinope haben unter der Regierung Murad IV. (1614) die Saporogiſchen Ko- ſaken gehalten, deren kühne Seezüge mittelſt ganz unbedeutender Boote in der Geſchichte der Pontusländer ganz vereinzelt daſtehen. Daß es ihnen möglich war, die ſtarkbefeſtigte Stadt, nachdem ſie von der Krim aus den Pontus überquert hatten, anzugreifen, in Brand zu ſtecken und mit reicher Beute die azow’ſchen Geſtade wieder zu erreichen, ſtellt ſelbſt jene anderen Raubzüge bis zu den Bospor-Ufern vollends in den Schatten. Gewöhnlich nahmen dieſe Koſakenzüge, von denen die anatoliſchen Pontusgeſtade viel 1 Ebd., I, 41 u. ff.
Die Zucht dieſer Ziege, welche bei uns unter dem Namen „Angora- Ziege“ bekannt iſt, bildet auch heute noch eine Haupt-Erwerbsquelle der Steppen-Bevölkerung am oberen Sakaria. Letztere iſt der urwüchſige ar- cadiſche Hirtenſtamm geblieben, von den alten Zeiten Galatiens an bis auf den Tag. Die Kleidung des Hirten beſchränkt ſich zumeiſt nur auf ein doppeltes Ziegenfell, das, an den Seiten zuſammengenäht, ein Loch zum Durchſtecken des Kopfes frei läßt. Auch der gekrümmte Hirtenſtab (pedum) iſt noch in Gebrauch, ſowie die Lederſandale, wie überhaupt die Ziege, je nach der Art ihrer Ausnützung, alle Bedürfniſſe des central- anatoliſchen Hirten deckt. Die Zucht, früher von ganz beſonderer Wich- tigkeit (vgl. v. Tſchichatſcheff, „Asie Mineure“, II, 689 u. ff.) iſt ſchon ſeit einer Reihe von Jahren bedenklich zurückgegangen. Vollends hat ſie ihr Ruin in den Hungerjahren 1875 und 1876 betroffen, zumal durch die geringe Fürſorge der ottomaniſchen Regierung in dieſer Zeit furchtbaren Elends. (Vgl. den anonymen Autor von „Stambul und das moderne Türken- thum“, II, a. a. O.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0237" n="205"/><fw place="top" type="header">Sinope, ein Culturbild.</fw><lb/> Hirtenhauſes trat und die ſeidenhaarigen Ziegenrudel mit dem<lb/> wandernden Turkſtamme aus Oxiana nach Kappadokien und<lb/> Paphlagonien eingebrochen waren<note place="foot" n="1">Ebd., <hi rendition="#aq">I</hi>, 41 u. ff.<lb/> Die Zucht dieſer Ziege, welche bei uns unter dem Namen „Angora-<lb/> Ziege“ bekannt iſt, bildet auch heute noch eine Haupt-Erwerbsquelle der<lb/> Steppen-Bevölkerung am oberen Sakaria. Letztere iſt der urwüchſige ar-<lb/> cadiſche Hirtenſtamm geblieben, von den alten Zeiten Galatiens an bis<lb/> auf den Tag. Die Kleidung des Hirten beſchränkt ſich zumeiſt nur auf<lb/> ein doppeltes Ziegenfell, das, an den Seiten zuſammengenäht, ein Loch<lb/> zum Durchſtecken des Kopfes frei läßt. Auch der gekrümmte Hirtenſtab<lb/> (<hi rendition="#aq">pedum</hi>) iſt noch in Gebrauch, ſowie die Lederſandale, wie überhaupt die<lb/> Ziege, je nach der Art ihrer Ausnützung, alle Bedürfniſſe des central-<lb/> anatoliſchen Hirten deckt. Die Zucht, früher von ganz beſonderer Wich-<lb/> tigkeit (vgl. v. Tſchichatſcheff, „<hi rendition="#aq">Asie Mineure“, II</hi>, 689 u. ff.) iſt ſchon<lb/> ſeit einer Reihe von Jahren bedenklich zurückgegangen. Vollends hat ſie<lb/> ihr Ruin in den Hungerjahren 1875 und 1876 betroffen, zumal durch die<lb/> geringe Fürſorge der ottomaniſchen Regierung in dieſer Zeit furchtbaren<lb/> Elends. (Vgl. den anonymen Autor von „Stambul und das moderne Türken-<lb/> thum“, <hi rendition="#aq">II</hi>, a. a. O.)</note> und die weiten Steppen am<lb/> Halys abzuweiden begannen, da war freilich keine Rede mehr<lb/> von Indiens Schätzen und Perſiens prächtigen Erzeugniſſen, und<lb/> ſtatt der tauſend Kiele der früheren pontiſchen Handelsflotte<lb/> harrten die ſchweren Raubſchiffe der Piraten-Emire von Kaſta-<lb/> muni auf die Fahrzeuge der Bosporanen und Genueſen, die noch<lb/> den Verkehr zwiſchen den Pontus- und Mittelmeer-Ländern in<lb/> Athem erhielten. Die Bergwerke im Nachbardiſtricte Dſchanik,<lb/> dem einſtigen Lande der Chalyber, geriethen in Verfall, und<lb/> keine rührigen Hände ſchmiedeten mehr den einſt weitberühmten<lb/> ſinopiſchen Stahl … Die letzte Nachleſe in Sinope haben<lb/> unter der Regierung Murad <hi rendition="#aq">IV.</hi> (1614) die Saporogiſchen Ko-<lb/> ſaken gehalten, deren kühne Seezüge mittelſt ganz unbedeutender<lb/> Boote in der Geſchichte der Pontusländer ganz vereinzelt daſtehen.<lb/> Daß es ihnen möglich war, die ſtarkbefeſtigte Stadt, nachdem ſie<lb/> von der Krim aus den Pontus überquert hatten, anzugreifen,<lb/> in Brand zu ſtecken und mit reicher Beute die azow’ſchen Geſtade<lb/> wieder zu erreichen, ſtellt ſelbſt jene anderen Raubzüge bis zu den<lb/> Bospor-Ufern vollends in den Schatten. Gewöhnlich nahmen<lb/> dieſe Koſakenzüge, von denen die anatoliſchen Pontusgeſtade viel<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [205/0237]
Sinope, ein Culturbild.
Hirtenhauſes trat und die ſeidenhaarigen Ziegenrudel mit dem
wandernden Turkſtamme aus Oxiana nach Kappadokien und
Paphlagonien eingebrochen waren 1 und die weiten Steppen am
Halys abzuweiden begannen, da war freilich keine Rede mehr
von Indiens Schätzen und Perſiens prächtigen Erzeugniſſen, und
ſtatt der tauſend Kiele der früheren pontiſchen Handelsflotte
harrten die ſchweren Raubſchiffe der Piraten-Emire von Kaſta-
muni auf die Fahrzeuge der Bosporanen und Genueſen, die noch
den Verkehr zwiſchen den Pontus- und Mittelmeer-Ländern in
Athem erhielten. Die Bergwerke im Nachbardiſtricte Dſchanik,
dem einſtigen Lande der Chalyber, geriethen in Verfall, und
keine rührigen Hände ſchmiedeten mehr den einſt weitberühmten
ſinopiſchen Stahl … Die letzte Nachleſe in Sinope haben
unter der Regierung Murad IV. (1614) die Saporogiſchen Ko-
ſaken gehalten, deren kühne Seezüge mittelſt ganz unbedeutender
Boote in der Geſchichte der Pontusländer ganz vereinzelt daſtehen.
Daß es ihnen möglich war, die ſtarkbefeſtigte Stadt, nachdem ſie
von der Krim aus den Pontus überquert hatten, anzugreifen,
in Brand zu ſtecken und mit reicher Beute die azow’ſchen Geſtade
wieder zu erreichen, ſtellt ſelbſt jene anderen Raubzüge bis zu den
Bospor-Ufern vollends in den Schatten. Gewöhnlich nahmen
dieſe Koſakenzüge, von denen die anatoliſchen Pontusgeſtade viel
1 Ebd., I, 41 u. ff.
Die Zucht dieſer Ziege, welche bei uns unter dem Namen „Angora-
Ziege“ bekannt iſt, bildet auch heute noch eine Haupt-Erwerbsquelle der
Steppen-Bevölkerung am oberen Sakaria. Letztere iſt der urwüchſige ar-
cadiſche Hirtenſtamm geblieben, von den alten Zeiten Galatiens an bis
auf den Tag. Die Kleidung des Hirten beſchränkt ſich zumeiſt nur auf
ein doppeltes Ziegenfell, das, an den Seiten zuſammengenäht, ein Loch
zum Durchſtecken des Kopfes frei läßt. Auch der gekrümmte Hirtenſtab
(pedum) iſt noch in Gebrauch, ſowie die Lederſandale, wie überhaupt die
Ziege, je nach der Art ihrer Ausnützung, alle Bedürfniſſe des central-
anatoliſchen Hirten deckt. Die Zucht, früher von ganz beſonderer Wich-
tigkeit (vgl. v. Tſchichatſcheff, „Asie Mineure“, II, 689 u. ff.) iſt ſchon
ſeit einer Reihe von Jahren bedenklich zurückgegangen. Vollends hat ſie
ihr Ruin in den Hungerjahren 1875 und 1876 betroffen, zumal durch die
geringe Fürſorge der ottomaniſchen Regierung in dieſer Zeit furchtbaren
Elends. (Vgl. den anonymen Autor von „Stambul und das moderne Türken-
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