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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Anhang. Anatolische Fragmente.
Erwerbe Anderer lebend, den sie sich durch Straßenraub und
Raubmord allenthalben zu verschaffen wissen1.

Am Schlusse unserer allgemeinen Schilderung Anatoliens
angelangt, möchten wir noch jener Stimmung gedenken, die sich
seit den letzten schweren Ereignissen der Regierung und des
Volkes bemächtigt hat. Die hiebei stattgehabten Wandlungen
gehören wohl mehr der Special- und Zeitgeschichte an und ent-
behren eines eigentlichen Interesses, umsomehr als die Stam-
buler Hof- und Serail-Clique ihr geradezu ekelerregendes Treiben
auch dann nicht einstellte, als die Sache der Pforte durch die
Vernichtung ihrer ganzen Armee im Balkankriege bereits eine
verlorene war. In der Zeit der größten Bedrängniß zeigte sich
indeß das Türkenthum in seinem ureigenen Lichte. Bewährt
haben sich nur die braven Nizam-Regimenter, jenes ausgezeichnete
Soldatenmaterial, das gewissermaßen den gesundesten Kern des
Volkes repräsentirt und neben seine allgemeinen guten Eigen-
schaften noch die der wahren Soldaten-Tugenden gesellte. Um so
unfähiger erwiesen sich die verschiedenen Generale, die gleichwohl
zu Zeiten im Geruche besonderer Genialität standen, oder gar
wie Mukhtar, diesem Schlachten-Erfinder und Berichterstatter von
Actionen, die nie vorgefallen waren, vom Sultan durch den
pompösen Titel eines "Ghazi" oder Siegreichen ausgezeichnet
wurden. In Stambul herrschte indeß die Effendi-Wirthschaft
ungebrochen fort, und was slchimmer ist, die verschiedenen Hiobs-
posten von den Schlachtfeldern machten auf die unpatriotischen
Sykophanten augenscheinlich nicht den geringsten Eindruck.
Während die ottomanischen Kerntruppen verbluteten oder vor
Schnee, Kälte und Hunger bataillonsweise zu Grunde gingen,
belustigten sich jene in ihren Residenz-Konaks und gaben selbst

1 Ein weiteres Bevölkerungs-Element bilden noch im östlichen Ana-
tolien die sogenannten "Rothköpfe", eine Secte, der wir schon in den
oberen Eufratgegenden begegnet sind. Ihre religiöse Zusammengehörigkeit
mit den Jeziden, Nasariern, Ismaeliern und Anderen karmathischen Secten
ist erwiesen, desgleichen ihre ethnische Stellung (sie sind allenthalben
Kurden). Im oben erwähnten Gebietstheile Anatoliens wohnen sie be-
sonders dicht zwischen Amasia und Tokat und weiterhin im Osten in den
Ebenen Kaz-Owa und Ard-Owa. (Vgl. v. Lennep, "Travels etc. in Asia
minor"
(1870), a. a. O.)

Anhang. Anatoliſche Fragmente.
Erwerbe Anderer lebend, den ſie ſich durch Straßenraub und
Raubmord allenthalben zu verſchaffen wiſſen1.

Am Schluſſe unſerer allgemeinen Schilderung Anatoliens
angelangt, möchten wir noch jener Stimmung gedenken, die ſich
ſeit den letzten ſchweren Ereigniſſen der Regierung und des
Volkes bemächtigt hat. Die hiebei ſtattgehabten Wandlungen
gehören wohl mehr der Special- und Zeitgeſchichte an und ent-
behren eines eigentlichen Intereſſes, umſomehr als die Stam-
buler Hof- und Serail-Clique ihr geradezu ekelerregendes Treiben
auch dann nicht einſtellte, als die Sache der Pforte durch die
Vernichtung ihrer ganzen Armee im Balkankriege bereits eine
verlorene war. In der Zeit der größten Bedrängniß zeigte ſich
indeß das Türkenthum in ſeinem ureigenen Lichte. Bewährt
haben ſich nur die braven Nizam-Regimenter, jenes ausgezeichnete
Soldatenmaterial, das gewiſſermaßen den geſundeſten Kern des
Volkes repräſentirt und neben ſeine allgemeinen guten Eigen-
ſchaften noch die der wahren Soldaten-Tugenden geſellte. Um ſo
unfähiger erwieſen ſich die verſchiedenen Generale, die gleichwohl
zu Zeiten im Geruche beſonderer Genialität ſtanden, oder gar
wie Mukhtar, dieſem Schlachten-Erfinder und Berichterſtatter von
Actionen, die nie vorgefallen waren, vom Sultan durch den
pompöſen Titel eines „Ghazi“ oder Siegreichen ausgezeichnet
wurden. In Stambul herrſchte indeß die Effendi-Wirthſchaft
ungebrochen fort, und was ſlchimmer iſt, die verſchiedenen Hiobs-
poſten von den Schlachtfeldern machten auf die unpatriotiſchen
Sykophanten augenſcheinlich nicht den geringſten Eindruck.
Während die ottomaniſchen Kerntruppen verbluteten oder vor
Schnee, Kälte und Hunger bataillonsweiſe zu Grunde gingen,
beluſtigten ſich jene in ihren Reſidenz-Konaks und gaben ſelbſt

1 Ein weiteres Bevölkerungs-Element bilden noch im öſtlichen Ana-
tolien die ſogenannten „Rothköpfe“, eine Secte, der wir ſchon in den
oberen Eufratgegenden begegnet ſind. Ihre religiöſe Zuſammengehörigkeit
mit den Jeziden, Naſariern, Ismaeliern und Anderen karmathiſchen Secten
iſt erwieſen, desgleichen ihre ethniſche Stellung (ſie ſind allenthalben
Kurden). Im oben erwähnten Gebietstheile Anatoliens wohnen ſie be-
ſonders dicht zwiſchen Amaſia und Tokat und weiterhin im Oſten in den
Ebenen Kaz-Owa und Ard-Owa. (Vgl. v. Lennep, „Travels etc. in Asia
minor“
(1870), a. a. O.)
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[224/0256] Anhang. Anatoliſche Fragmente. Erwerbe Anderer lebend, den ſie ſich durch Straßenraub und Raubmord allenthalben zu verſchaffen wiſſen 1. Am Schluſſe unſerer allgemeinen Schilderung Anatoliens angelangt, möchten wir noch jener Stimmung gedenken, die ſich ſeit den letzten ſchweren Ereigniſſen der Regierung und des Volkes bemächtigt hat. Die hiebei ſtattgehabten Wandlungen gehören wohl mehr der Special- und Zeitgeſchichte an und ent- behren eines eigentlichen Intereſſes, umſomehr als die Stam- buler Hof- und Serail-Clique ihr geradezu ekelerregendes Treiben auch dann nicht einſtellte, als die Sache der Pforte durch die Vernichtung ihrer ganzen Armee im Balkankriege bereits eine verlorene war. In der Zeit der größten Bedrängniß zeigte ſich indeß das Türkenthum in ſeinem ureigenen Lichte. Bewährt haben ſich nur die braven Nizam-Regimenter, jenes ausgezeichnete Soldatenmaterial, das gewiſſermaßen den geſundeſten Kern des Volkes repräſentirt und neben ſeine allgemeinen guten Eigen- ſchaften noch die der wahren Soldaten-Tugenden geſellte. Um ſo unfähiger erwieſen ſich die verſchiedenen Generale, die gleichwohl zu Zeiten im Geruche beſonderer Genialität ſtanden, oder gar wie Mukhtar, dieſem Schlachten-Erfinder und Berichterſtatter von Actionen, die nie vorgefallen waren, vom Sultan durch den pompöſen Titel eines „Ghazi“ oder Siegreichen ausgezeichnet wurden. In Stambul herrſchte indeß die Effendi-Wirthſchaft ungebrochen fort, und was ſlchimmer iſt, die verſchiedenen Hiobs- poſten von den Schlachtfeldern machten auf die unpatriotiſchen Sykophanten augenſcheinlich nicht den geringſten Eindruck. Während die ottomaniſchen Kerntruppen verbluteten oder vor Schnee, Kälte und Hunger bataillonsweiſe zu Grunde gingen, beluſtigten ſich jene in ihren Reſidenz-Konaks und gaben ſelbſt 1 Ein weiteres Bevölkerungs-Element bilden noch im öſtlichen Ana- tolien die ſogenannten „Rothköpfe“, eine Secte, der wir ſchon in den oberen Eufratgegenden begegnet ſind. Ihre religiöſe Zuſammengehörigkeit mit den Jeziden, Naſariern, Ismaeliern und Anderen karmathiſchen Secten iſt erwieſen, desgleichen ihre ethniſche Stellung (ſie ſind allenthalben Kurden). Im oben erwähnten Gebietstheile Anatoliens wohnen ſie be- ſonders dicht zwiſchen Amaſia und Tokat und weiterhin im Oſten in den Ebenen Kaz-Owa und Ard-Owa. (Vgl. v. Lennep, „Travels etc. in Asia minor“ (1870), a. a. O.)

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/256>, abgerufen am 24.11.2024.