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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Im Ararat-Gebiet.
einer Art die Kurden an der Grenze zu gewinnen, eine Politik,
die durch den Umstand wesentlich unterstützt wurde, als dies
wilde Nomadenvolk weder von den Persern, noch von den Türken
jene Behandlung erfuhr, die es gefügiger hätte machen können.
Als die Pforte vor circa drei Jahrzehnten gar den groben Fehler
beging, den Stammhäuptling von Rowandiz bei seiner Rückkehr
von Constantinopel meuchlings ermorden zu lassen, hatte sie die letzte
Sympathie der Bergvölker verwirkt und diese begannen solche, zu-
mal an der Grenze von Rußland, demonstrativ für letzteres -- ob auch
aufrichtig, bleibt dahingestellt -- zur Schau zu tragen. Auf diese
spontane Annäherung hin erklärte Rußland, es wäre ganz geneigt,
den Grenzübertritt verschiedener Stämme zu bewilligen mit dem
weiteren Vorrecht für die Emigranten, nach Bedarf ihre Weide-
plätze in der Heimat von Zeit zu Zeit wieder aufsuchen zu dürfen,
wobei sie -- selbst auf türkischem Gebiete (!) -- unter russischem
Schutze verbleiben sollten. Die Natur des Nomadenlebens --
machte man russischerseits den Kurdenchefs begreiflich -- ließe
ein derartiges Abkommen notywendig erscheinen, im Grunde aber
war es nur ein Mittel mehr, die türkische Autorität, oder besser:
den blassen Schatten derselben vollends zu untergraben. Kurz
vor Ausbruch des letzten Krieges hat die Pforte immerhin einige
Anstrengungen gemacht, dieses abnorme Verhältniß einigermaßen
zu paralysiren und so kam es auch, daß einige Stämme bot-
mäßiger wurden und in den Schooß der türkischen Autorität
zurückkehrten, wie beispielsweise der kriegerische Stamm der Gilalis
(auch Selanlis) ...

Wir gelangen in sein Gebiet, wenn wir Bajazid westwärts
verlassen. Der Weg geht mitten zwischen zwei gewaltigen Ge-
birgsmauern hindurch, im Norden ist es die Gebirgskette, welche
unter verschiedenen Namen vom Ararat aus durch zwei Längen-
grade den östlichen Eufratlauf (Murad) begrenzt, im Süden sind
es die Randketten des Hochbeckens von Van, gleichfalls die Schlupf-
winkel berüchtigter Kurdenstämme, welche es lieben durch das Einfalls-
thor zwischen dem 10,000' hohen Aladagh u. 11,000' hohen Chori die
Niederung am Van-See heimzusuchen, zumal die armenischen Dörfer.
So spielt in diesem großartigen Gebirgslabyrinthe die ewig blutige
Fehde die Hauptrolle im Dasein. Wie das Raubwild des Hoch-
gebirges wechseln die Nomaden ihr Operationsgebiet dies- und

Im Ararat-Gebiet.
einer Art die Kurden an der Grenze zu gewinnen, eine Politik,
die durch den Umſtand weſentlich unterſtützt wurde, als dies
wilde Nomadenvolk weder von den Perſern, noch von den Türken
jene Behandlung erfuhr, die es gefügiger hätte machen können.
Als die Pforte vor circa drei Jahrzehnten gar den groben Fehler
beging, den Stammhäuptling von Rowandiz bei ſeiner Rückkehr
von Conſtantinopel meuchlings ermorden zu laſſen, hatte ſie die letzte
Sympathie der Bergvölker verwirkt und dieſe begannen ſolche, zu-
mal an der Grenze von Rußland, demonſtrativ für letzteres — ob auch
aufrichtig, bleibt dahingeſtellt — zur Schau zu tragen. Auf dieſe
ſpontane Annäherung hin erklärte Rußland, es wäre ganz geneigt,
den Grenzübertritt verſchiedener Stämme zu bewilligen mit dem
weiteren Vorrecht für die Emigranten, nach Bedarf ihre Weide-
plätze in der Heimat von Zeit zu Zeit wieder aufſuchen zu dürfen,
wobei ſie — ſelbſt auf türkiſchem Gebiete (!) — unter ruſſiſchem
Schutze verbleiben ſollten. Die Natur des Nomadenlebens —
machte man ruſſiſcherſeits den Kurdenchefs begreiflich — ließe
ein derartiges Abkommen notywendig erſcheinen, im Grunde aber
war es nur ein Mittel mehr, die türkiſche Autorität, oder beſſer:
den blaſſen Schatten derſelben vollends zu untergraben. Kurz
vor Ausbruch des letzten Krieges hat die Pforte immerhin einige
Anſtrengungen gemacht, dieſes abnorme Verhältniß einigermaßen
zu paralyſiren und ſo kam es auch, daß einige Stämme bot-
mäßiger wurden und in den Schooß der türkiſchen Autorität
zurückkehrten, wie beiſpielsweiſe der kriegeriſche Stamm der Gilalis
(auch Selanlis) …

Wir gelangen in ſein Gebiet, wenn wir Bajazid weſtwärts
verlaſſen. Der Weg geht mitten zwiſchen zwei gewaltigen Ge-
birgsmauern hindurch, im Norden iſt es die Gebirgskette, welche
unter verſchiedenen Namen vom Ararat aus durch zwei Längen-
grade den öſtlichen Eufratlauf (Murad) begrenzt, im Süden ſind
es die Randketten des Hochbeckens von Van, gleichfalls die Schlupf-
winkel berüchtigter Kurdenſtämme, welche es lieben durch das Einfalls-
thor zwiſchen dem 10,000' hohen Aladagh u. 11,000' hohen Chori die
Niederung am Van-See heimzuſuchen, zumal die armeniſchen Dörfer.
So ſpielt in dieſem großartigen Gebirgslabyrinthe die ewig blutige
Fehde die Hauptrolle im Daſein. Wie das Raubwild des Hoch-
gebirges wechſeln die Nomaden ihr Operationsgebiet dies- und

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[8/0040] Im Ararat-Gebiet. einer Art die Kurden an der Grenze zu gewinnen, eine Politik, die durch den Umſtand weſentlich unterſtützt wurde, als dies wilde Nomadenvolk weder von den Perſern, noch von den Türken jene Behandlung erfuhr, die es gefügiger hätte machen können. Als die Pforte vor circa drei Jahrzehnten gar den groben Fehler beging, den Stammhäuptling von Rowandiz bei ſeiner Rückkehr von Conſtantinopel meuchlings ermorden zu laſſen, hatte ſie die letzte Sympathie der Bergvölker verwirkt und dieſe begannen ſolche, zu- mal an der Grenze von Rußland, demonſtrativ für letzteres — ob auch aufrichtig, bleibt dahingeſtellt — zur Schau zu tragen. Auf dieſe ſpontane Annäherung hin erklärte Rußland, es wäre ganz geneigt, den Grenzübertritt verſchiedener Stämme zu bewilligen mit dem weiteren Vorrecht für die Emigranten, nach Bedarf ihre Weide- plätze in der Heimat von Zeit zu Zeit wieder aufſuchen zu dürfen, wobei ſie — ſelbſt auf türkiſchem Gebiete (!) — unter ruſſiſchem Schutze verbleiben ſollten. Die Natur des Nomadenlebens — machte man ruſſiſcherſeits den Kurdenchefs begreiflich — ließe ein derartiges Abkommen notywendig erſcheinen, im Grunde aber war es nur ein Mittel mehr, die türkiſche Autorität, oder beſſer: den blaſſen Schatten derſelben vollends zu untergraben. Kurz vor Ausbruch des letzten Krieges hat die Pforte immerhin einige Anſtrengungen gemacht, dieſes abnorme Verhältniß einigermaßen zu paralyſiren und ſo kam es auch, daß einige Stämme bot- mäßiger wurden und in den Schooß der türkiſchen Autorität zurückkehrten, wie beiſpielsweiſe der kriegeriſche Stamm der Gilalis (auch Selanlis) … Wir gelangen in ſein Gebiet, wenn wir Bajazid weſtwärts verlaſſen. Der Weg geht mitten zwiſchen zwei gewaltigen Ge- birgsmauern hindurch, im Norden iſt es die Gebirgskette, welche unter verſchiedenen Namen vom Ararat aus durch zwei Längen- grade den öſtlichen Eufratlauf (Murad) begrenzt, im Süden ſind es die Randketten des Hochbeckens von Van, gleichfalls die Schlupf- winkel berüchtigter Kurdenſtämme, welche es lieben durch das Einfalls- thor zwiſchen dem 10,000' hohen Aladagh u. 11,000' hohen Chori die Niederung am Van-See heimzuſuchen, zumal die armeniſchen Dörfer. So ſpielt in dieſem großartigen Gebirgslabyrinthe die ewig blutige Fehde die Hauptrolle im Daſein. Wie das Raubwild des Hoch- gebirges wechſeln die Nomaden ihr Operationsgebiet dies- und

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/40>, abgerufen am 21.11.2024.