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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Von Kars nach Erzerum.
Griechen überschritten, wodurch sie, aus dem Kharduchenlande
kommend, in jenes der Phasianen (heute Pasin, südlich vom
Araxes) gelangten1. Hat man einmal dies Gebiet hinter sich,
so geht es über grasige Ebenen weiter, an einzelnen armseligen
Dörfern -- einst armenisch, zuletzt kurdisch -- zwischen Rosen-
hecken vorüber, bis die altersgraue Silhouette einer Fortification
in Sicht gelangt. Es ist das Castell von Hassan-Kaleh, dem
einstigen Schlüssel von Erzerum.

Außer Zwergweiden unterbricht kein Baum und kein Ge-
sträuch die weiten grasigen Ebenen um die alte "Genuesen-Veste",
als welche die Burg Hassans angesehen wird. Solcher Dschiniwiz-
Khalessilar, Burgen der Genuesen, gibt es Hunderte an der
Pontusküste, im Innern Anatoliens und Armeniens, wenngleich
in Wirklichkeit nur die wenigsten von dem einstigen weitberühmten
Handelsvolke Liguriens herrühren, aber die osmanische Tradition
will es nun einmal so, trotz der innern schwachen Logik in der
Annahme, daß die seefahrenden Genuesen im Innern Vorder-
Asiens mauerumgürtete Colonialstätten besessen haben sollen2.
Einst war Hassan-Kaleh der Sitz der Begler-Begs von Anatolien3,
ein Beweis, daß die Stadt, die heute vollends bedeutungslos ist,
noch zur Zeit der Türkenherrschaft mindestens gleichen Rang mit
Erzerum hatte. Das alte Castell liegt auf einem Sporn eines,
vom Hauptzuge des Karatschli isolirten Gebirgsriegels 1600
Fuß hoch über der Ebene und der, von verfallenen Wallmauern
umzogenen Stadt. Diese selbst stößt mit ihren beiden Enden an
die Felsstirne, auf deren Höhe die Burg Hassans thront. Diese
selbst bildet, im Norden von grünen Weidehöhen umgeben, ein
Rechteck mit Seiten zu 150 und 50 Metern, doppelter Um-
mauerung und Thürmen, denen die kleine, amphitheatralisch ge-
legene Stadt, aus Stein oder Backstein erbaut, mit Holzbalkons,
gegen Süden vorliegt. Die Feste wird mit ihren senkrechten
Abstürzen durch hohe Bergrücken gedeckt, aber leider auch durch

1 J. Renell, Illustrations of the hist. of the exped. of Cyrus etc., 213.
2 Hamilton, der sich zwar nicht unmittelbar dagegen ausspricht, kann
dennoch nicht umhin, andere, als Genuesen-Bauten geltende Denkmale für
saracenische zu halten, wie zu Baiburt, Ispir u. a. O. (Vgl. dessen "Asia
minor" I
, 185.)
3 J. Brant, Not., 341.

Von Kars nach Erzerum.
Griechen überſchritten, wodurch ſie, aus dem Kharduchenlande
kommend, in jenes der Phaſianen (heute Paſin, ſüdlich vom
Araxes) gelangten1. Hat man einmal dies Gebiet hinter ſich,
ſo geht es über graſige Ebenen weiter, an einzelnen armſeligen
Dörfern — einſt armeniſch, zuletzt kurdiſch — zwiſchen Roſen-
hecken vorüber, bis die altersgraue Silhouette einer Fortification
in Sicht gelangt. Es iſt das Caſtell von Haſſan-Kaleh, dem
einſtigen Schlüſſel von Erzerum.

Außer Zwergweiden unterbricht kein Baum und kein Ge-
ſträuch die weiten graſigen Ebenen um die alte „Genueſen-Veſte“,
als welche die Burg Haſſans angeſehen wird. Solcher Dſchiniwiz-
Khaleſſilar, Burgen der Genueſen, gibt es Hunderte an der
Pontusküſte, im Innern Anatoliens und Armeniens, wenngleich
in Wirklichkeit nur die wenigſten von dem einſtigen weitberühmten
Handelsvolke Liguriens herrühren, aber die osmaniſche Tradition
will es nun einmal ſo, trotz der innern ſchwachen Logik in der
Annahme, daß die ſeefahrenden Genueſen im Innern Vorder-
Aſiens mauerumgürtete Colonialſtätten beſeſſen haben ſollen2.
Einſt war Haſſan-Kaleh der Sitz der Begler-Begs von Anatolien3,
ein Beweis, daß die Stadt, die heute vollends bedeutungslos iſt,
noch zur Zeit der Türkenherrſchaft mindeſtens gleichen Rang mit
Erzerum hatte. Das alte Caſtell liegt auf einem Sporn eines,
vom Hauptzuge des Karatſchli iſolirten Gebirgsriegels 1600
Fuß hoch über der Ebene und der, von verfallenen Wallmauern
umzogenen Stadt. Dieſe ſelbſt ſtößt mit ihren beiden Enden an
die Felsſtirne, auf deren Höhe die Burg Haſſans thront. Dieſe
ſelbſt bildet, im Norden von grünen Weidehöhen umgeben, ein
Rechteck mit Seiten zu 150 und 50 Metern, doppelter Um-
mauerung und Thürmen, denen die kleine, amphitheatraliſch ge-
legene Stadt, aus Stein oder Backſtein erbaut, mit Holzbalkons,
gegen Süden vorliegt. Die Feſte wird mit ihren ſenkrechten
Abſtürzen durch hohe Bergrücken gedeckt, aber leider auch durch

1 J. Renell, Illustrations of the hist. of the exped. of Cyrus etc., 213.
2 Hamilton, der ſich zwar nicht unmittelbar dagegen ausſpricht, kann
dennoch nicht umhin, andere, als Genueſen-Bauten geltende Denkmale für
ſaraceniſche zu halten, wie zu Baiburt, Ispir u. a. O. (Vgl. deſſen „Asia
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, 185.)
3 J. Brant, Not., 341.
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[47/0079] Von Kars nach Erzerum. Griechen überſchritten, wodurch ſie, aus dem Kharduchenlande kommend, in jenes der Phaſianen (heute Paſin, ſüdlich vom Araxes) gelangten 1. Hat man einmal dies Gebiet hinter ſich, ſo geht es über graſige Ebenen weiter, an einzelnen armſeligen Dörfern — einſt armeniſch, zuletzt kurdiſch — zwiſchen Roſen- hecken vorüber, bis die altersgraue Silhouette einer Fortification in Sicht gelangt. Es iſt das Caſtell von Haſſan-Kaleh, dem einſtigen Schlüſſel von Erzerum. Außer Zwergweiden unterbricht kein Baum und kein Ge- ſträuch die weiten graſigen Ebenen um die alte „Genueſen-Veſte“, als welche die Burg Haſſans angeſehen wird. Solcher Dſchiniwiz- Khaleſſilar, Burgen der Genueſen, gibt es Hunderte an der Pontusküſte, im Innern Anatoliens und Armeniens, wenngleich in Wirklichkeit nur die wenigſten von dem einſtigen weitberühmten Handelsvolke Liguriens herrühren, aber die osmaniſche Tradition will es nun einmal ſo, trotz der innern ſchwachen Logik in der Annahme, daß die ſeefahrenden Genueſen im Innern Vorder- Aſiens mauerumgürtete Colonialſtätten beſeſſen haben ſollen 2. Einſt war Haſſan-Kaleh der Sitz der Begler-Begs von Anatolien 3, ein Beweis, daß die Stadt, die heute vollends bedeutungslos iſt, noch zur Zeit der Türkenherrſchaft mindeſtens gleichen Rang mit Erzerum hatte. Das alte Caſtell liegt auf einem Sporn eines, vom Hauptzuge des Karatſchli iſolirten Gebirgsriegels 1600 Fuß hoch über der Ebene und der, von verfallenen Wallmauern umzogenen Stadt. Dieſe ſelbſt ſtößt mit ihren beiden Enden an die Felsſtirne, auf deren Höhe die Burg Haſſans thront. Dieſe ſelbſt bildet, im Norden von grünen Weidehöhen umgeben, ein Rechteck mit Seiten zu 150 und 50 Metern, doppelter Um- mauerung und Thürmen, denen die kleine, amphitheatraliſch ge- legene Stadt, aus Stein oder Backſtein erbaut, mit Holzbalkons, gegen Süden vorliegt. Die Feſte wird mit ihren ſenkrechten Abſtürzen durch hohe Bergrücken gedeckt, aber leider auch durch 1 J. Renell, Illustrations of the hist. of the exped. of Cyrus etc., 213. 2 Hamilton, der ſich zwar nicht unmittelbar dagegen ausſpricht, kann dennoch nicht umhin, andere, als Genueſen-Bauten geltende Denkmale für ſaraceniſche zu halten, wie zu Baiburt, Ispir u. a. O. (Vgl. deſſen „Asia minor“ I, 185.) 3 J. Brant, Not., 341.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/79>, abgerufen am 21.11.2024.