pse_111.001 Cervantes "Don Quijote", an manches von Dickens, an Jean pse_111.002 Pauls "Flegeljahre" und an Kurt Kluges "Herrn Kortüm".
pse_111.003 Auch auf dem Theater hat er Großes geleistet: das Lustspiel, pse_111.004 das wir von der Komödie gerade durch die Haltung pse_111.005 des Humors ablösen werden: Lessings "Minna", Grillparzers pse_111.006 "Weh dem, der lügt!", vieles von Shakespeare und auch pse_111.007 Raimund.
pse_111.008 Die Freiheit der geistigen Überlegenheit
pse_111.009 Freiheit des Geistes finden wir auch in der Haltung des pse_111.010 Ernstes und der Heiterkeit. Jetzt aber handelt es sich um eine pse_111.011 schärfer umschriebene Haltung. Der Mensch kann den ihn pse_111.012 treffenden Beständen der Welt mit vollem Ernst entgegentreten, pse_111.013 er kann sie voll Heiterkeit und von oben betrachten. Es pse_111.014 ist aber auch möglich, daß er ihnen gegenüber die ganze pse_111.015 geistige Überlegenheit spielen läßt, daß er gleichsam mit pse_111.016 ihnen spielt. Die bewußte Überlegenheit, das Beherrschen pse_111.017 durch den Geist, das Spiel, das ihm dadurch möglich wird, pse_111.018 ist jetzt das Ausschlaggebende.
pse_111.019 Die feinste und höchste Form dieser Haltung ist die Ironie.pse_111.020 Das griechische Wort eironeia bedeutet Verstellung. Es umfaßt pse_111.021 daher heute nicht mehr den ganzen Gehalt dieser Haltung. pse_111.022 Wir kommen dem Wesen näher an einem alltäglichen pse_111.023 Beispiel der Ironie. Wenn ich jemandem sage: "Du bist mir pse_111.024 ein lieber Freund", so meine ich eigentlich das Gegenteil. pse_111.025 Aber es kommt mir nicht bloß darauf an, das Gegenteil zu pse_111.026 sagen, sondern ich lege noch einen besonderen persönlichen pse_111.027 Ton hinein: dieser Mensch fordert Anerkennung, ich enthülle pse_111.028 diesen Anspruch in seiner Hinfälligkeit, ich mache ihn pse_111.029 lächerlich, indem ich ihn scheinbar anerkenne, aber in der pse_111.030 Sprachgebung und im Ton es doch anders meine. Ironie ist pse_111.031 als hohes geistiges Spiel, künstlerischer und menschlicher pse_111.032 Ausdruck einer Spätzeit, einer weit vorangetriebenen Entwicklungsstufe. pse_111.033 Daher ist sie auch nicht auf einfache Formen pse_111.034 zu bringen. Sie bedient sich einer Fülle von Möglichkeiten. pse_111.035 Grundlegend ist die Distanzhaltung des Menschen von dem, pse_111.036 was er ironisiert: er steht ihm kühl und überlegen gegenüber,
pse_111.001 Cervantes »Don Quijote«, an manches von Dickens, an Jean pse_111.002 Pauls »Flegeljahre« und an Kurt Kluges »Herrn Kortüm«.
pse_111.003 Auch auf dem Theater hat er Großes geleistet: das Lustspiel, pse_111.004 das wir von der Komödie gerade durch die Haltung pse_111.005 des Humors ablösen werden: Lessings »Minna«, Grillparzers pse_111.006 »Weh dem, der lügt!«, vieles von Shakespeare und auch pse_111.007 Raimund.
pse_111.008 Die Freiheit der geistigen Überlegenheit
pse_111.009 Freiheit des Geistes finden wir auch in der Haltung des pse_111.010 Ernstes und der Heiterkeit. Jetzt aber handelt es sich um eine pse_111.011 schärfer umschriebene Haltung. Der Mensch kann den ihn pse_111.012 treffenden Beständen der Welt mit vollem Ernst entgegentreten, pse_111.013 er kann sie voll Heiterkeit und von oben betrachten. Es pse_111.014 ist aber auch möglich, daß er ihnen gegenüber die ganze pse_111.015 geistige Überlegenheit spielen läßt, daß er gleichsam mit pse_111.016 ihnen spielt. Die bewußte Überlegenheit, das Beherrschen pse_111.017 durch den Geist, das Spiel, das ihm dadurch möglich wird, pse_111.018 ist jetzt das Ausschlaggebende.
pse_111.019 Die feinste und höchste Form dieser Haltung ist die Ironie.pse_111.020 Das griechische Wort eironeia bedeutet Verstellung. Es umfaßt pse_111.021 daher heute nicht mehr den ganzen Gehalt dieser Haltung. pse_111.022 Wir kommen dem Wesen näher an einem alltäglichen pse_111.023 Beispiel der Ironie. Wenn ich jemandem sage: »Du bist mir pse_111.024 ein lieber Freund«, so meine ich eigentlich das Gegenteil. pse_111.025 Aber es kommt mir nicht bloß darauf an, das Gegenteil zu pse_111.026 sagen, sondern ich lege noch einen besonderen persönlichen pse_111.027 Ton hinein: dieser Mensch fordert Anerkennung, ich enthülle pse_111.028 diesen Anspruch in seiner Hinfälligkeit, ich mache ihn pse_111.029 lächerlich, indem ich ihn scheinbar anerkenne, aber in der pse_111.030 Sprachgebung und im Ton es doch anders meine. Ironie ist pse_111.031 als hohes geistiges Spiel, künstlerischer und menschlicher pse_111.032 Ausdruck einer Spätzeit, einer weit vorangetriebenen Entwicklungsstufe. pse_111.033 Daher ist sie auch nicht auf einfache Formen pse_111.034 zu bringen. Sie bedient sich einer Fülle von Möglichkeiten. pse_111.035 Grundlegend ist die Distanzhaltung des Menschen von dem, pse_111.036 was er ironisiert: er steht ihm kühl und überlegen gegenüber,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0127"n="111"/><lbn="pse_111.001"/>
Cervantes »Don Quijote«, an manches von Dickens, an Jean <lbn="pse_111.002"/>
Pauls »Flegeljahre« und an Kurt Kluges »Herrn Kortüm«.</p><p><lbn="pse_111.003"/>
Auch auf dem Theater hat er Großes geleistet: das Lustspiel, <lbn="pse_111.004"/>
das wir von der Komödie gerade durch die Haltung <lbn="pse_111.005"/>
des Humors ablösen werden: Lessings »Minna«, Grillparzers <lbn="pse_111.006"/>
»Weh dem, der lügt!«, vieles von Shakespeare und auch <lbn="pse_111.007"/>
Raimund.</p></div><divn="3"><lbn="pse_111.008"/><head><hirendition="#c"><hirendition="#i">Die Freiheit der geistigen Überlegenheit</hi></hi></head><p><lbn="pse_111.009"/>
Freiheit des Geistes finden wir auch in der Haltung des <lbn="pse_111.010"/>
Ernstes und der Heiterkeit. Jetzt aber handelt es sich um eine <lbn="pse_111.011"/>
schärfer umschriebene Haltung. Der Mensch kann den ihn <lbn="pse_111.012"/>
treffenden Beständen der Welt mit vollem Ernst entgegentreten, <lbn="pse_111.013"/>
er kann sie voll Heiterkeit und von oben betrachten. Es <lbn="pse_111.014"/>
ist aber auch möglich, daß er ihnen gegenüber die ganze <lbn="pse_111.015"/>
geistige Überlegenheit spielen läßt, daß er gleichsam mit <lbn="pse_111.016"/>
ihnen spielt. Die bewußte Überlegenheit, das Beherrschen <lbn="pse_111.017"/>
durch den Geist, das Spiel, das ihm dadurch möglich wird, <lbn="pse_111.018"/>
ist jetzt das Ausschlaggebende.</p><p><lbn="pse_111.019"/>
Die feinste und höchste Form dieser Haltung ist die <hirendition="#i">Ironie.</hi><lbn="pse_111.020"/>
Das griechische Wort <hirendition="#i">eironeia</hi> bedeutet Verstellung. Es umfaßt <lbn="pse_111.021"/>
daher heute nicht mehr den ganzen Gehalt dieser Haltung. <lbn="pse_111.022"/>
Wir kommen dem Wesen näher an einem alltäglichen <lbn="pse_111.023"/>
Beispiel der Ironie. Wenn ich jemandem sage: »Du bist mir <lbn="pse_111.024"/>
ein lieber Freund«, so meine ich eigentlich das Gegenteil. <lbn="pse_111.025"/>
Aber es kommt mir nicht bloß darauf an, das Gegenteil zu <lbn="pse_111.026"/>
sagen, sondern ich lege noch einen besonderen persönlichen <lbn="pse_111.027"/>
Ton hinein: dieser Mensch fordert Anerkennung, ich enthülle <lbn="pse_111.028"/>
diesen Anspruch in seiner Hinfälligkeit, ich mache ihn <lbn="pse_111.029"/>
lächerlich, indem ich ihn scheinbar anerkenne, aber in der <lbn="pse_111.030"/>
Sprachgebung und im Ton es doch anders meine. Ironie ist <lbn="pse_111.031"/>
als hohes geistiges Spiel, künstlerischer und menschlicher <lbn="pse_111.032"/>
Ausdruck einer Spätzeit, einer weit vorangetriebenen Entwicklungsstufe. <lbn="pse_111.033"/>
Daher ist sie auch nicht auf einfache Formen <lbn="pse_111.034"/>
zu bringen. Sie bedient sich einer Fülle von Möglichkeiten. <lbn="pse_111.035"/>
Grundlegend ist die Distanzhaltung des Menschen von dem, <lbn="pse_111.036"/>
was er ironisiert: er steht ihm kühl und überlegen gegenüber,
</p></div></div></div></body></text></TEI>
[111/0127]
pse_111.001
Cervantes »Don Quijote«, an manches von Dickens, an Jean pse_111.002
Pauls »Flegeljahre« und an Kurt Kluges »Herrn Kortüm«.
pse_111.003
Auch auf dem Theater hat er Großes geleistet: das Lustspiel, pse_111.004
das wir von der Komödie gerade durch die Haltung pse_111.005
des Humors ablösen werden: Lessings »Minna«, Grillparzers pse_111.006
»Weh dem, der lügt!«, vieles von Shakespeare und auch pse_111.007
Raimund.
pse_111.008
Die Freiheit der geistigen Überlegenheit pse_111.009
Freiheit des Geistes finden wir auch in der Haltung des pse_111.010
Ernstes und der Heiterkeit. Jetzt aber handelt es sich um eine pse_111.011
schärfer umschriebene Haltung. Der Mensch kann den ihn pse_111.012
treffenden Beständen der Welt mit vollem Ernst entgegentreten, pse_111.013
er kann sie voll Heiterkeit und von oben betrachten. Es pse_111.014
ist aber auch möglich, daß er ihnen gegenüber die ganze pse_111.015
geistige Überlegenheit spielen läßt, daß er gleichsam mit pse_111.016
ihnen spielt. Die bewußte Überlegenheit, das Beherrschen pse_111.017
durch den Geist, das Spiel, das ihm dadurch möglich wird, pse_111.018
ist jetzt das Ausschlaggebende.
pse_111.019
Die feinste und höchste Form dieser Haltung ist die Ironie. pse_111.020
Das griechische Wort eironeia bedeutet Verstellung. Es umfaßt pse_111.021
daher heute nicht mehr den ganzen Gehalt dieser Haltung. pse_111.022
Wir kommen dem Wesen näher an einem alltäglichen pse_111.023
Beispiel der Ironie. Wenn ich jemandem sage: »Du bist mir pse_111.024
ein lieber Freund«, so meine ich eigentlich das Gegenteil. pse_111.025
Aber es kommt mir nicht bloß darauf an, das Gegenteil zu pse_111.026
sagen, sondern ich lege noch einen besonderen persönlichen pse_111.027
Ton hinein: dieser Mensch fordert Anerkennung, ich enthülle pse_111.028
diesen Anspruch in seiner Hinfälligkeit, ich mache ihn pse_111.029
lächerlich, indem ich ihn scheinbar anerkenne, aber in der pse_111.030
Sprachgebung und im Ton es doch anders meine. Ironie ist pse_111.031
als hohes geistiges Spiel, künstlerischer und menschlicher pse_111.032
Ausdruck einer Spätzeit, einer weit vorangetriebenen Entwicklungsstufe. pse_111.033
Daher ist sie auch nicht auf einfache Formen pse_111.034
zu bringen. Sie bedient sich einer Fülle von Möglichkeiten. pse_111.035
Grundlegend ist die Distanzhaltung des Menschen von dem, pse_111.036
was er ironisiert: er steht ihm kühl und überlegen gegenüber,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/127>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.