pse_123.001 fälschen. Der Versuch, das Weltbild von seiner Gestaltung zu pse_123.002 trennen, ist in rein theoretischer Schau möglich, und damit pse_123.003 ergibt sich gleich eine andere Frage: wie gestaltet der Dichter pse_123.004 das Weltbild, wie verdichtet er es zu einem Gedicht? Diese pse_123.005 zweite Frage müssen wir für später zurückstellen. Hier pse_123.006 stellen wir bloß fest, daß man tatsächlich mit einiger Behutsamkeit pse_123.007 das Weltbild einer Dichtung beschreiben kann, man pse_123.008 muß sich jedoch immer deutlich vor Augen halten, daß es pse_123.009 sich hier nie um ein Erkennen im strengen Sinne des Wortes pse_123.010 handelt, sondern darum, daß wir einen tiefen Lebenszusammenhang pse_123.011 "schauen". Dichtung gestaltet ein Weltbild auf ihre pse_123.012 Weise und mit ihren Mitteln. Unter diesen Voraussetzungen pse_123.013 kann man das Weltbild etwa des "Faust" oder des "Grünen pse_123.014 Heinrich" charakterisieren, kann seine Zusammenhänge, pse_123.015 seine Spannungen, Brüche, aber auch die Harmonie usw. pse_123.016 feststellen. Und daran anschließend kann man eine Dichtung pse_123.017 in die geistigen Zusammenhänge einer ganzen Epoche einordnen: pse_123.018 die geistesgeschichtliche Aufgabe der Literaturgeschichte; pse_123.019 diese Aufgabe ist also nur unter gewissen Voraussetzungen pse_123.020 berechtigt, aber dann durchaus.
pse_123.021 Mit der Frage nach dem Weltbild einer Dichtung berühren pse_123.022 wir wieder und nun schon betonter die Wertfrage. Wir werden pse_123.023 in einem umfassenderen Zusammenhang sehen, daß der pse_123.024 Wert einer Dichtung uns immer nur in einer tiefen inneren pse_123.025 Erfahrung aufgeht: es ist ein Erlebnis, das mit einem Verpflichtungscharakter pse_123.026 verbunden ist. In ihm ist die Gültigkeit pse_123.027 des Wertes unmittelbar gegeben. Aber es ist der theoretischen pse_123.028 Überlegung immer möglich, Tatbestände und Zusammenhänge pse_123.029 herauszuarbeiten, die Bedingungen für das Werterleben, pse_123.030 also auch für den Wert sind. Sie machen an sich das pse_123.031 Gedicht usw. nicht zu etwas Wertvollem, aber ohne sie wird pse_123.032 kein Wert in ihm aufleuchten. Nun ist es aber bedenklich, pse_123.033 wenn man die Fragen des Weltbildes für eine Wertung pse_123.034 heranzieht -- Wertung als eine theoretische Formulierung des pse_123.035 unmittelbaren Werterlebnisses. Das Weltbild einer Dichtung pse_123.036 erschließt sich oft erst gründlicherem Eindringen, und erst, pse_123.037 wenn wir es erfassen, wird uns die innere Höhe des Gedichts pse_123.038 greifbar, und erst dann vielleicht geht uns sein Wert ganz auf.
pse_123.001 fälschen. Der Versuch, das Weltbild von seiner Gestaltung zu pse_123.002 trennen, ist in rein theoretischer Schau möglich, und damit pse_123.003 ergibt sich gleich eine andere Frage: wie gestaltet der Dichter pse_123.004 das Weltbild, wie verdichtet er es zu einem Gedicht? Diese pse_123.005 zweite Frage müssen wir für später zurückstellen. Hier pse_123.006 stellen wir bloß fest, daß man tatsächlich mit einiger Behutsamkeit pse_123.007 das Weltbild einer Dichtung beschreiben kann, man pse_123.008 muß sich jedoch immer deutlich vor Augen halten, daß es pse_123.009 sich hier nie um ein Erkennen im strengen Sinne des Wortes pse_123.010 handelt, sondern darum, daß wir einen tiefen Lebenszusammenhang pse_123.011 »schauen«. Dichtung gestaltet ein Weltbild auf ihre pse_123.012 Weise und mit ihren Mitteln. Unter diesen Voraussetzungen pse_123.013 kann man das Weltbild etwa des »Faust« oder des »Grünen pse_123.014 Heinrich« charakterisieren, kann seine Zusammenhänge, pse_123.015 seine Spannungen, Brüche, aber auch die Harmonie usw. pse_123.016 feststellen. Und daran anschließend kann man eine Dichtung pse_123.017 in die geistigen Zusammenhänge einer ganzen Epoche einordnen: pse_123.018 die geistesgeschichtliche Aufgabe der Literaturgeschichte; pse_123.019 diese Aufgabe ist also nur unter gewissen Voraussetzungen pse_123.020 berechtigt, aber dann durchaus.
pse_123.021 Mit der Frage nach dem Weltbild einer Dichtung berühren pse_123.022 wir wieder und nun schon betonter die Wertfrage. Wir werden pse_123.023 in einem umfassenderen Zusammenhang sehen, daß der pse_123.024 Wert einer Dichtung uns immer nur in einer tiefen inneren pse_123.025 Erfahrung aufgeht: es ist ein Erlebnis, das mit einem Verpflichtungscharakter pse_123.026 verbunden ist. In ihm ist die Gültigkeit pse_123.027 des Wertes unmittelbar gegeben. Aber es ist der theoretischen pse_123.028 Überlegung immer möglich, Tatbestände und Zusammenhänge pse_123.029 herauszuarbeiten, die Bedingungen für das Werterleben, pse_123.030 also auch für den Wert sind. Sie machen an sich das pse_123.031 Gedicht usw. nicht zu etwas Wertvollem, aber ohne sie wird pse_123.032 kein Wert in ihm aufleuchten. Nun ist es aber bedenklich, pse_123.033 wenn man die Fragen des Weltbildes für eine Wertung pse_123.034 heranzieht — Wertung als eine theoretische Formulierung des pse_123.035 unmittelbaren Werterlebnisses. Das Weltbild einer Dichtung pse_123.036 erschließt sich oft erst gründlicherem Eindringen, und erst, pse_123.037 wenn wir es erfassen, wird uns die innere Höhe des Gedichts pse_123.038 greifbar, und erst dann vielleicht geht uns sein Wert ganz auf.
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sich hier nie um ein Erkennen im strengen Sinne des Wortes pse_123.010
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»schauen«. Dichtung gestaltet ein Weltbild auf ihre pse_123.012
Weise und mit ihren Mitteln. Unter diesen Voraussetzungen pse_123.013
kann man das Weltbild etwa des »Faust« oder des »Grünen pse_123.014
Heinrich« charakterisieren, kann seine Zusammenhänge, pse_123.015
seine Spannungen, Brüche, aber auch die Harmonie usw. pse_123.016
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in die geistigen Zusammenhänge einer ganzen Epoche einordnen: pse_123.018
die geistesgeschichtliche Aufgabe der Literaturgeschichte; pse_123.019
diese Aufgabe ist also nur unter gewissen Voraussetzungen pse_123.020
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pse_123.021
Mit der Frage nach dem Weltbild einer Dichtung berühren pse_123.022
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in einem umfassenderen Zusammenhang sehen, daß der pse_123.024
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Überlegung immer möglich, Tatbestände und Zusammenhänge pse_123.029
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kein Wert in ihm aufleuchten. Nun ist es aber bedenklich, pse_123.033
wenn man die Fragen des Weltbildes für eine Wertung pse_123.034
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/139>, abgerufen am 21.11.2024.
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