pse_144.001 Schau auf ein ästhetisches Gebilde, und theoretisch ist auch pse_144.002 die Interpretation -- sonst müßte man ja über die Dichtung pse_144.003 eine neue Dichtung schaffen --, nur von immer neuen Seiten pse_144.004 erfaßt werden. Der Reichtum einer ästhetischen Einheit pse_144.005 spaltet sich für die theoretische Sicht notwendig in eine Vielheit. pse_144.006 Und da erweist sich: wenn schon diese Aufgliederung pse_144.007 der Sicht in theoretischer Einstellung notwendig ist, so ist pse_144.008 die Zweiteilung in Gehalt und Gestalt sehr ergiebig und einleuchtend. pse_144.009 Nicht die Dichtung ist eine Zweiheit von Gehalt pse_144.010 und Gestalt, sondern sie zerfällt uns dazu in theoretischer pse_144.011 Einstellung. Daraus ergibt sich zweierlei: 1. Die Ergiebigkeit pse_144.012 dieser doppelten Sicht für die theoretische Forschung an der pse_144.013 Dichtung, die in der Einseitigkeit je einer Gehalts- oder Gestaltästhetik pse_144.014 dogmatisiert wird. 2. Die große und dauernde pse_144.015 Gefahr jeder theoretischen Einstellung zu einem Kunstwerk -- pse_144.016 also auch dieses Versuchs einer Poetik --, über die Sichten die pse_144.017 Einheit des Ganzen immer wieder zu verlieren; vor allem pse_144.018 deshalb, weil ja die Einheit nie in theoretischer Betrachtung pse_144.019 realisierbar ist, sondern immer nur im Kunstwerk selbst und pse_144.020 im tiefen und echten Erleben des Kunstwerks. Die theoretische pse_144.021 Betrachtung kann sich immer nur von allen möglichen pse_144.022 Seiten zu ihr herantasten.
pse_144.023 Damit ergibt sich die Frage der Fachausdrücke. Es wird pse_144.024 nie möglich sein, Ausdrücke wie Form und Inhalt usw. zu pse_144.025 vermeiden, solange wir theoretisch den Geheimnissen des pse_144.026 dichterischen Kunstwerks nahekommen wollen. Und nie pse_144.027 wird es möglich sein, sie ganz scharf voneinander zu trennen. pse_144.028 Denn je schärfer die definitionsmäßige Trennung und gegenseitige pse_144.029 Inbezugsetzung ist, desto mehr befriedigt das die Logik pse_144.030 und die Wissenschaft, desto mehr aber trennen wir uns zugleich pse_144.031 von der Dichtung als Kunstwerk, die wir doch eben pse_144.032 erfassen wollen. Deshalb auch wird es schwer möglich sein, pse_144.033 die Fachausdrücke der verschiedenen Theoretiker aufeinander pse_144.034 abzustimmen. Nur das eine sollte gefordert werden: pse_144.035 Daß jeder einzelne die Fachausdrücke in einem ganzen Werk pse_144.036 in gleicher Weise verwendet. Denn sonst müßte an die pse_144.037 geistige Beweglichkeit eines Lesers zuviel Anspruch gestellt pse_144.038 werden.
pse_144.001 Schau auf ein ästhetisches Gebilde, und theoretisch ist auch pse_144.002 die Interpretation — sonst müßte man ja über die Dichtung pse_144.003 eine neue Dichtung schaffen —, nur von immer neuen Seiten pse_144.004 erfaßt werden. Der Reichtum einer ästhetischen Einheit pse_144.005 spaltet sich für die theoretische Sicht notwendig in eine Vielheit. pse_144.006 Und da erweist sich: wenn schon diese Aufgliederung pse_144.007 der Sicht in theoretischer Einstellung notwendig ist, so ist pse_144.008 die Zweiteilung in Gehalt und Gestalt sehr ergiebig und einleuchtend. pse_144.009 Nicht die Dichtung ist eine Zweiheit von Gehalt pse_144.010 und Gestalt, sondern sie zerfällt uns dazu in theoretischer pse_144.011 Einstellung. Daraus ergibt sich zweierlei: 1. Die Ergiebigkeit pse_144.012 dieser doppelten Sicht für die theoretische Forschung an der pse_144.013 Dichtung, die in der Einseitigkeit je einer Gehalts- oder Gestaltästhetik pse_144.014 dogmatisiert wird. 2. Die große und dauernde pse_144.015 Gefahr jeder theoretischen Einstellung zu einem Kunstwerk — pse_144.016 also auch dieses Versuchs einer Poetik —, über die Sichten die pse_144.017 Einheit des Ganzen immer wieder zu verlieren; vor allem pse_144.018 deshalb, weil ja die Einheit nie in theoretischer Betrachtung pse_144.019 realisierbar ist, sondern immer nur im Kunstwerk selbst und pse_144.020 im tiefen und echten Erleben des Kunstwerks. Die theoretische pse_144.021 Betrachtung kann sich immer nur von allen möglichen pse_144.022 Seiten zu ihr herantasten.
pse_144.023 Damit ergibt sich die Frage der Fachausdrücke. Es wird pse_144.024 nie möglich sein, Ausdrücke wie Form und Inhalt usw. zu pse_144.025 vermeiden, solange wir theoretisch den Geheimnissen des pse_144.026 dichterischen Kunstwerks nahekommen wollen. Und nie pse_144.027 wird es möglich sein, sie ganz scharf voneinander zu trennen. pse_144.028 Denn je schärfer die definitionsmäßige Trennung und gegenseitige pse_144.029 Inbezugsetzung ist, desto mehr befriedigt das die Logik pse_144.030 und die Wissenschaft, desto mehr aber trennen wir uns zugleich pse_144.031 von der Dichtung als Kunstwerk, die wir doch eben pse_144.032 erfassen wollen. Deshalb auch wird es schwer möglich sein, pse_144.033 die Fachausdrücke der verschiedenen Theoretiker aufeinander pse_144.034 abzustimmen. Nur das eine sollte gefordert werden: pse_144.035 Daß jeder einzelne die Fachausdrücke in einem ganzen Werk pse_144.036 in gleicher Weise verwendet. Denn sonst müßte an die pse_144.037 geistige Beweglichkeit eines Lesers zuviel Anspruch gestellt pse_144.038 werden.
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Schau auf ein ästhetisches Gebilde, und theoretisch ist auch pse_144.002
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eine neue Dichtung schaffen —, nur von immer neuen Seiten pse_144.004
erfaßt werden. Der Reichtum einer ästhetischen Einheit pse_144.005
spaltet sich für die theoretische Sicht notwendig in eine Vielheit. pse_144.006
Und da erweist sich: wenn schon diese Aufgliederung pse_144.007
der Sicht in theoretischer Einstellung notwendig ist, so ist pse_144.008
die Zweiteilung in Gehalt und Gestalt sehr ergiebig und einleuchtend. pse_144.009
Nicht die Dichtung ist eine Zweiheit von Gehalt pse_144.010
und Gestalt, sondern sie zerfällt uns dazu in theoretischer pse_144.011
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dieser doppelten Sicht für die theoretische Forschung an der pse_144.013
Dichtung, die in der Einseitigkeit je einer Gehalts- oder Gestaltästhetik pse_144.014
dogmatisiert wird. 2. Die große und dauernde pse_144.015
Gefahr jeder theoretischen Einstellung zu einem Kunstwerk — pse_144.016
also auch dieses Versuchs einer Poetik —, über die Sichten die pse_144.017
Einheit des Ganzen immer wieder zu verlieren; vor allem pse_144.018
deshalb, weil ja die Einheit nie in theoretischer Betrachtung pse_144.019
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im tiefen und echten Erleben des Kunstwerks. Die theoretische pse_144.021
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pse_144.023
Damit ergibt sich die Frage der Fachausdrücke. Es wird pse_144.024
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dichterischen Kunstwerks nahekommen wollen. Und nie pse_144.027
wird es möglich sein, sie ganz scharf voneinander zu trennen. pse_144.028
Denn je schärfer die definitionsmäßige Trennung und gegenseitige pse_144.029
Inbezugsetzung ist, desto mehr befriedigt das die Logik pse_144.030
und die Wissenschaft, desto mehr aber trennen wir uns zugleich pse_144.031
von der Dichtung als Kunstwerk, die wir doch eben pse_144.032
erfassen wollen. Deshalb auch wird es schwer möglich sein, pse_144.033
die Fachausdrücke der verschiedenen Theoretiker aufeinander pse_144.034
abzustimmen. Nur das eine sollte gefordert werden: pse_144.035
Daß jeder einzelne die Fachausdrücke in einem ganzen Werk pse_144.036
in gleicher Weise verwendet. Denn sonst müßte an die pse_144.037
geistige Beweglichkeit eines Lesers zuviel Anspruch gestellt pse_144.038
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/160>, abgerufen am 21.11.2024.
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