pse_154.001 Dichtung erfassen können; denn auch im schönen Sagen pse_154.002 und in der Anwendung der überlieferten Schmuckformen, pse_154.003 in der Absicht, neben allen anderen Werten auch die der pse_154.004 Schönheit der Form herauszustellen, lebt eine bestimmte innere pse_154.005 Haltung; etwa der ritterliche "hohe muot", die Eleganz, pse_154.006 das Höfische, in allem aber die Liebe zum Schönen, wenn auch pse_154.007 das, was man darunter verstand, sich ändern mochte. Und pse_154.008 auch der Dichter, der seine tiefen Erlebnisse ausdrücken pse_154.009 wollte, hat doch immer wieder sich auch an Muster gehalten, pse_154.010 überlieferte Formen aufgegriffen und umgegossen. Umgekehrt pse_154.011 bleiben wir mit einer Stilauffassung, die ausschließlich pse_154.012 das Moment der Wirkung durch schöne Formen sieht, pse_154.013 einerseits an der Oberfläche, andererseits werden wir mit ihr pse_154.014 auch früheren Gestalten, etwa einem Dante, den großen pse_154.015 Ritterdichtern, Calderon, Cervantes, Grimmelshausen, Gryphius pse_154.016 und Paul Gerhardt nicht voll gerecht.
pse_154.017 Die Verwendung schöner Stilformen in der Dichtung führt pse_154.018 zur Frage der Stilentwertung. Diese kann schon auf dem Wege pse_154.019 der Ökonomisierung eintreten. Worte, die zu bloßen Verständigungszeichen pse_154.020 im Alltag oder zu reinen Begriffszeichen pse_154.021 werden, verlieren die Fülle des Gehaltes, vor allem die Gemütswerte, pse_154.022 die auch in ihnen ursprünglich enthalten waren. pse_154.023 Aber auch die sogenannten Stilfiguren und die noch später pse_154.024 zu betrachtenden topoi, geprägte Bilder und Formeln nämlich, pse_154.025 die an gewissen Stellen von Dichtungen nach der früheren pse_154.026 Poetik beinahe verpflichtend waren, verflachen bei pse_154.027 dauernder Verwendung und verlieren damit die ästhetischen pse_154.028 Werte. Man muß sich klar sein, daß solche Stilfiguren ursprünglich pse_154.029 keine Formeln waren, sondern schöpferische Gestaltung pse_154.030 des Schönen. Erst als sie Tradition und dichterisches pse_154.031 Gebrauchsgut wurden, begannen sie zu verblassen. Das war pse_154.032 für Dichterlinge gefährlich; denn ihr "Verwenden" gab nie pse_154.033 und nimmer ein Gedicht. Daraus erhebt sich eine Frage, die pse_154.034 bei der Beurteilung solcher Figuren in einem konkreten pse_154.035 Dichtwerk immer gestellt werden muß. Man gewinnt nichts pse_154.036 für die Erkenntnis des Wertes einer Dichtung, wenn man pse_154.037 solche Figuren aufdeckt, registriert, auf ihren Ursprung zurückführt pse_154.038 und ihre Verwendung bis zu dem betreffenden
pse_154.001 Dichtung erfassen können; denn auch im schönen Sagen pse_154.002 und in der Anwendung der überlieferten Schmuckformen, pse_154.003 in der Absicht, neben allen anderen Werten auch die der pse_154.004 Schönheit der Form herauszustellen, lebt eine bestimmte innere pse_154.005 Haltung; etwa der ritterliche »hohe muot«, die Eleganz, pse_154.006 das Höfische, in allem aber die Liebe zum Schönen, wenn auch pse_154.007 das, was man darunter verstand, sich ändern mochte. Und pse_154.008 auch der Dichter, der seine tiefen Erlebnisse ausdrücken pse_154.009 wollte, hat doch immer wieder sich auch an Muster gehalten, pse_154.010 überlieferte Formen aufgegriffen und umgegossen. Umgekehrt pse_154.011 bleiben wir mit einer Stilauffassung, die ausschließlich pse_154.012 das Moment der Wirkung durch schöne Formen sieht, pse_154.013 einerseits an der Oberfläche, andererseits werden wir mit ihr pse_154.014 auch früheren Gestalten, etwa einem Dante, den großen pse_154.015 Ritterdichtern, Calderón, Cervantes, Grimmelshausen, Gryphius pse_154.016 und Paul Gerhardt nicht voll gerecht.
pse_154.017 Die Verwendung schöner Stilformen in der Dichtung führt pse_154.018 zur Frage der Stilentwertung. Diese kann schon auf dem Wege pse_154.019 der Ökonomisierung eintreten. Worte, die zu bloßen Verständigungszeichen pse_154.020 im Alltag oder zu reinen Begriffszeichen pse_154.021 werden, verlieren die Fülle des Gehaltes, vor allem die Gemütswerte, pse_154.022 die auch in ihnen ursprünglich enthalten waren. pse_154.023 Aber auch die sogenannten Stilfiguren und die noch später pse_154.024 zu betrachtenden topoi, geprägte Bilder und Formeln nämlich, pse_154.025 die an gewissen Stellen von Dichtungen nach der früheren pse_154.026 Poetik beinahe verpflichtend waren, verflachen bei pse_154.027 dauernder Verwendung und verlieren damit die ästhetischen pse_154.028 Werte. Man muß sich klar sein, daß solche Stilfiguren ursprünglich pse_154.029 keine Formeln waren, sondern schöpferische Gestaltung pse_154.030 des Schönen. Erst als sie Tradition und dichterisches pse_154.031 Gebrauchsgut wurden, begannen sie zu verblassen. Das war pse_154.032 für Dichterlinge gefährlich; denn ihr »Verwenden« gab nie pse_154.033 und nimmer ein Gedicht. Daraus erhebt sich eine Frage, die pse_154.034 bei der Beurteilung solcher Figuren in einem konkreten pse_154.035 Dichtwerk immer gestellt werden muß. Man gewinnt nichts pse_154.036 für die Erkenntnis des Wertes einer Dichtung, wenn man pse_154.037 solche Figuren aufdeckt, registriert, auf ihren Ursprung zurückführt pse_154.038 und ihre Verwendung bis zu dem betreffenden
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Schönheit der Form herauszustellen, lebt eine bestimmte innere pse_154.005
Haltung; etwa der ritterliche »hohe muot«, die Eleganz, pse_154.006
das Höfische, in allem aber die Liebe zum Schönen, wenn auch pse_154.007
das, was man darunter verstand, sich ändern mochte. Und pse_154.008
auch der Dichter, der seine tiefen Erlebnisse ausdrücken pse_154.009
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überlieferte Formen aufgegriffen und umgegossen. Umgekehrt pse_154.011
bleiben wir mit einer Stilauffassung, die ausschließlich pse_154.012
das Moment der Wirkung durch schöne Formen sieht, pse_154.013
einerseits an der Oberfläche, andererseits werden wir mit ihr pse_154.014
auch früheren Gestalten, etwa einem Dante, den großen pse_154.015
Ritterdichtern, Calderón, Cervantes, Grimmelshausen, Gryphius pse_154.016
und Paul Gerhardt nicht voll gerecht.
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Die Verwendung schöner Stilformen in der Dichtung führt pse_154.018
zur Frage der Stilentwertung. Diese kann schon auf dem Wege pse_154.019
der Ökonomisierung eintreten. Worte, die zu bloßen Verständigungszeichen pse_154.020
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Aber auch die sogenannten Stilfiguren und die noch später pse_154.024
zu betrachtenden topoi, geprägte Bilder und Formeln nämlich, pse_154.025
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dauernder Verwendung und verlieren damit die ästhetischen pse_154.028
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Gebrauchsgut wurden, begannen sie zu verblassen. Das war pse_154.032
für Dichterlinge gefährlich; denn ihr »Verwenden« gab nie pse_154.033
und nimmer ein Gedicht. Daraus erhebt sich eine Frage, die pse_154.034
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/170>, abgerufen am 24.11.2024.
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