pse_183.001 ist zunächst jede zeitliche Gliederung, der ewige Bezug von pse_183.002 Dauer und Wechsel: im Lauf der Gestirne, in den Jahres- und pse_183.003 Tageszeiten, im Wasser, im Wachstum, im Blut, im Atmen. pse_183.004 Er ist sehr tief im menschlichen Leben verankert und ist daher pse_183.005 ein innerstes Prinzip des Menschen bei der Welterfassung, er pse_183.006 bestimmt den Menschen durch und durch und offenbart also pse_183.007 tiefste Seelenkräfte. Er bewältigt das Erfahrene nach tiefinnerlichen pse_183.008 Formen des Menschen und ist eine gefühlhaft pse_183.009 bejahende Reaktion. Zugleich zeigt sich in ihm aber auch das pse_183.010 ästhetische Gefühl der Gliederung. So hat der Rhythmus ganz pse_183.011 bestimmte Wirkungen: die geistige Bewältigung der erfahrenen pse_183.012 Welt in Gliederung und Geordnetheit löst tiefe positive pse_183.013 Gefühle aus, und dadurch steigert sich das gesamte Lebensgefühl. pse_183.014 Die rhythmische Gliederung wird als Geistgeschaffenes pse_183.015 besonders deutlich erlebt, dadurch hebt sich dieses pse_183.016 Geistgeschaffene klar vom Naturgegebenen ab; als Gegennatürliches pse_183.017 wird es gesteigert zum Numinosen; daher spielt pse_183.018 das Rhythmische gerade in kultischen Feiern, im Gesang und pse_183.019 Tanz, eine große Rolle. Rhythmus ist also gemüthafte Gliederung pse_183.020 des zeitlich Verlaufenden. Die wichtigsten Arten sind: pse_183.021 der orchestische Rhythmus, besonders beim Tanz, wo der pse_183.022 Körper der Träger ist, der musikalische und der sprachliche. Sie pse_183.023 können sich in verschiedenster Weise verflechten.
pse_183.024 Die bestimmenden Kräfte des Sprachrhythmus sind die pse_183.025 Hebung und die Senkung: das Herausheben der wichtigen, pse_183.026 das Zurückdrängen der unwichtigen Silben. Hebung und pse_183.027 Senkung werden erzeugt durch die Stärkeabstufung des Tons pse_183.028 (besonders im Deutschen), durch die Höhenabstufung (in den pse_183.029 sogenannten "singenden" Mundarten und im Französischen pse_183.030 besonders), durch die Dauer der Silben; diese wieder ist bestimmt pse_183.031 durch den Gehalt, durch das metrische Schema, von pse_183.032 dem wir sprechen werden, und durch den Lautstoff: man pse_183.033 kann "Rosse" nicht so dehnen wie "süßer Friede". Auch Pausen pse_183.034 spielen eine gliedernde Rolle. Durch das Zusammenwirken all pse_183.035 dieser Kräfte entwickelt sich eine Gesamtlinie des rhythmischen pse_183.036 Ablaufs, vor allem der Charakter des steigenden oder pse_183.037 fallenden Rhythmus. Diese Linie kann sich in verschiedenen pse_183.038 rhythmischen Typen entfalten: im fließenden Rhythmus mit
pse_183.001 ist zunächst jede zeitliche Gliederung, der ewige Bezug von pse_183.002 Dauer und Wechsel: im Lauf der Gestirne, in den Jahres- und pse_183.003 Tageszeiten, im Wasser, im Wachstum, im Blut, im Atmen. pse_183.004 Er ist sehr tief im menschlichen Leben verankert und ist daher pse_183.005 ein innerstes Prinzip des Menschen bei der Welterfassung, er pse_183.006 bestimmt den Menschen durch und durch und offenbart also pse_183.007 tiefste Seelenkräfte. Er bewältigt das Erfahrene nach tiefinnerlichen pse_183.008 Formen des Menschen und ist eine gefühlhaft pse_183.009 bejahende Reaktion. Zugleich zeigt sich in ihm aber auch das pse_183.010 ästhetische Gefühl der Gliederung. So hat der Rhythmus ganz pse_183.011 bestimmte Wirkungen: die geistige Bewältigung der erfahrenen pse_183.012 Welt in Gliederung und Geordnetheit löst tiefe positive pse_183.013 Gefühle aus, und dadurch steigert sich das gesamte Lebensgefühl. pse_183.014 Die rhythmische Gliederung wird als Geistgeschaffenes pse_183.015 besonders deutlich erlebt, dadurch hebt sich dieses pse_183.016 Geistgeschaffene klar vom Naturgegebenen ab; als Gegennatürliches pse_183.017 wird es gesteigert zum Numinosen; daher spielt pse_183.018 das Rhythmische gerade in kultischen Feiern, im Gesang und pse_183.019 Tanz, eine große Rolle. Rhythmus ist also gemüthafte Gliederung pse_183.020 des zeitlich Verlaufenden. Die wichtigsten Arten sind: pse_183.021 der orchestische Rhythmus, besonders beim Tanz, wo der pse_183.022 Körper der Träger ist, der musikalische und der sprachliche. Sie pse_183.023 können sich in verschiedenster Weise verflechten.
pse_183.024 Die bestimmenden Kräfte des Sprachrhythmus sind die pse_183.025 Hebung und die Senkung: das Herausheben der wichtigen, pse_183.026 das Zurückdrängen der unwichtigen Silben. Hebung und pse_183.027 Senkung werden erzeugt durch die Stärkeabstufung des Tons pse_183.028 (besonders im Deutschen), durch die Höhenabstufung (in den pse_183.029 sogenannten »singenden« Mundarten und im Französischen pse_183.030 besonders), durch die Dauer der Silben; diese wieder ist bestimmt pse_183.031 durch den Gehalt, durch das metrische Schema, von pse_183.032 dem wir sprechen werden, und durch den Lautstoff: man pse_183.033 kann »Rosse« nicht so dehnen wie »süßer Friede«. Auch Pausen pse_183.034 spielen eine gliedernde Rolle. Durch das Zusammenwirken all pse_183.035 dieser Kräfte entwickelt sich eine Gesamtlinie des rhythmischen pse_183.036 Ablaufs, vor allem der Charakter des steigenden oder pse_183.037 fallenden Rhythmus. Diese Linie kann sich in verschiedenen pse_183.038 rhythmischen Typen entfalten: im fließenden Rhythmus mit
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Dauer und Wechsel: im Lauf der Gestirne, in den Jahres- und pse_183.003
Tageszeiten, im Wasser, im Wachstum, im Blut, im Atmen. pse_183.004
Er ist sehr tief im menschlichen Leben verankert und ist daher pse_183.005
ein innerstes Prinzip des Menschen bei der Welterfassung, er pse_183.006
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bejahende Reaktion. Zugleich zeigt sich in ihm aber auch das pse_183.010
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/199>, abgerufen am 16.02.2025.
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