Hier ist eine innere Erfahrung, ein Gefühlsstrom sprachlich pse_210.002 zur Einheit geformt: in der Schlichtheit und gefühlsmäßigen pse_210.003 Weite der Wortgehalte und in der rhythmischen Kunst: das pse_210.004 steigt auf und klingt aus und ist damit eine Einheit und Geschlossenheit, pse_210.005 die gewöhnlicher Sachprosa nie eigen ist.
pse_210.006 Nicht Anschaulichkeit und nicht bloßer Sprachschmuck. pse_210.007 Und wo wirklich in langen Epochen Dichter bewußt pse_210.008 schmückende Bilder eingesetzt haben, so geschieht das eben pse_210.009 doch aus einer bestimmten inneren Haltung, die auf Erhöhung pse_210.010 des Daseins in Schönheit ausgerichtet ist. Sondern anderes ist pse_210.011 wesentlich fürs sprachliche Bild: die Geschlossenheit durch pse_210.012 die Einheit des erfassenden Aktes, wobei nach unten und oben pse_210.013 Anreicherung und Gliederung entstehen kann, die Gefühlseinprägsamkeit pse_210.014 aus der inneren Haltung, in der der sprachliche pse_210.015 Erfassungsakt geschieht. Gefühlsspannungen sind dabei pse_210.016 möglich aus den Spannungen, die zwischen dem erfassenden pse_210.017 Inneren und der Welt bestehen können.
pse_210.018 Zwei Typen der Vereindringlichung im sprachlichen Bild pse_210.019 unterscheiden wir. "Dort erregte er ein großes Erstaunen und pse_210.020 eine unverhehlte Freude, die allsobald nach Schüsseln und pse_210.021 Tellern, nach Töpfchen und Gläsern, nach Eingemachtem pse_210.022 und Gebackenem auseinanderlief" (G. Keller). Aus dem Vorgangswort pse_210.023 fließt Leben und Bewegung auch in das schon pse_210.024 Abstraktum gewordene "Freude". Aus dem lebendigen Kraftstrom pse_210.025 des Erzählers fließt das Leben und die Bewegung hinüber pse_210.026 in die gestaltete Welt, sie wird hereingezogen in die pse_210.027 Allfülle und das All-Leben. Diese Art der Vereindringlichung pse_210.028 im sprachlichen Bild nennt man mit Fug Beseelung. "Nun pse_210.029 erst, inmitten der nachtkühlen schweigenden Bäume und pse_210.030 Gebäude, spürte er durchdringend und schmerzlich, daß er pse_210.031 dies alles nun zum letztenmal vor Augen habe, zum letztenmal pse_210.032 dem Stillwerden und Einschlummern der tagsüber so belebten pse_210.033 Siedlung lausche, zum letztenmal das kleine Licht pse_210.034 überm Pförtnerhaus sich im Brunnenbecken spiegeln, zum pse_210.035 letztenmal das Nachtgewölk über die Bäume seines Magistergartens pse_210.036 ziehen sehe" (Hesse, Glasperlenspiel). Man beachte pse_210.037 hier die Vorgangsworte spüren, lauschen, sehen und die eindringliche pse_210.038 Wiederholung des "zum letztenmal". Es ist hier
pse_210.001
Hier ist eine innere Erfahrung, ein Gefühlsstrom sprachlich pse_210.002 zur Einheit geformt: in der Schlichtheit und gefühlsmäßigen pse_210.003 Weite der Wortgehalte und in der rhythmischen Kunst: das pse_210.004 steigt auf und klingt aus und ist damit eine Einheit und Geschlossenheit, pse_210.005 die gewöhnlicher Sachprosa nie eigen ist.
pse_210.006 Nicht Anschaulichkeit und nicht bloßer Sprachschmuck. pse_210.007 Und wo wirklich in langen Epochen Dichter bewußt pse_210.008 schmückende Bilder eingesetzt haben, so geschieht das eben pse_210.009 doch aus einer bestimmten inneren Haltung, die auf Erhöhung pse_210.010 des Daseins in Schönheit ausgerichtet ist. Sondern anderes ist pse_210.011 wesentlich fürs sprachliche Bild: die Geschlossenheit durch pse_210.012 die Einheit des erfassenden Aktes, wobei nach unten und oben pse_210.013 Anreicherung und Gliederung entstehen kann, die Gefühlseinprägsamkeit pse_210.014 aus der inneren Haltung, in der der sprachliche pse_210.015 Erfassungsakt geschieht. Gefühlsspannungen sind dabei pse_210.016 möglich aus den Spannungen, die zwischen dem erfassenden pse_210.017 Inneren und der Welt bestehen können.
pse_210.018 Zwei Typen der Vereindringlichung im sprachlichen Bild pse_210.019 unterscheiden wir. »Dort erregte er ein großes Erstaunen und pse_210.020 eine unverhehlte Freude, die allsobald nach Schüsseln und pse_210.021 Tellern, nach Töpfchen und Gläsern, nach Eingemachtem pse_210.022 und Gebackenem auseinanderlief« (G. Keller). Aus dem Vorgangswort pse_210.023 fließt Leben und Bewegung auch in das schon pse_210.024 Abstraktum gewordene »Freude«. Aus dem lebendigen Kraftstrom pse_210.025 des Erzählers fließt das Leben und die Bewegung hinüber pse_210.026 in die gestaltete Welt, sie wird hereingezogen in die pse_210.027 Allfülle und das All-Leben. Diese Art der Vereindringlichung pse_210.028 im sprachlichen Bild nennt man mit Fug Beseelung. »Nun pse_210.029 erst, inmitten der nachtkühlen schweigenden Bäume und pse_210.030 Gebäude, spürte er durchdringend und schmerzlich, daß er pse_210.031 dies alles nun zum letztenmal vor Augen habe, zum letztenmal pse_210.032 dem Stillwerden und Einschlummern der tagsüber so belebten pse_210.033 Siedlung lausche, zum letztenmal das kleine Licht pse_210.034 überm Pförtnerhaus sich im Brunnenbecken spiegeln, zum pse_210.035 letztenmal das Nachtgewölk über die Bäume seines Magistergartens pse_210.036 ziehen sehe« (Hesse, Glasperlenspiel). Man beachte pse_210.037 hier die Vorgangsworte spüren, lauschen, sehen und die eindringliche pse_210.038 Wiederholung des »zum letztenmal«. Es ist hier
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0226"n="210"/><lbn="pse_210.001"/><p>Hier ist eine innere Erfahrung, ein Gefühlsstrom sprachlich <lbn="pse_210.002"/>
zur Einheit geformt: in der Schlichtheit und gefühlsmäßigen <lbn="pse_210.003"/>
Weite der Wortgehalte und in der rhythmischen Kunst: das <lbn="pse_210.004"/>
steigt auf und klingt aus und ist damit eine Einheit und Geschlossenheit, <lbn="pse_210.005"/>
die gewöhnlicher Sachprosa nie eigen ist.</p><p><lbn="pse_210.006"/>
Nicht Anschaulichkeit und nicht bloßer Sprachschmuck. <lbn="pse_210.007"/>
Und wo wirklich in langen Epochen Dichter bewußt <lbn="pse_210.008"/>
schmückende Bilder eingesetzt haben, so geschieht das eben <lbn="pse_210.009"/>
doch aus einer bestimmten inneren Haltung, die auf Erhöhung <lbn="pse_210.010"/>
des Daseins in Schönheit ausgerichtet ist. Sondern anderes ist <lbn="pse_210.011"/>
wesentlich fürs sprachliche Bild: die Geschlossenheit durch <lbn="pse_210.012"/>
die Einheit des erfassenden Aktes, wobei nach unten und oben <lbn="pse_210.013"/>
Anreicherung und Gliederung entstehen kann, die Gefühlseinprägsamkeit <lbn="pse_210.014"/>
aus der inneren Haltung, in der der sprachliche <lbn="pse_210.015"/>
Erfassungsakt geschieht. Gefühlsspannungen sind dabei <lbn="pse_210.016"/>
möglich aus den Spannungen, die zwischen dem erfassenden <lbn="pse_210.017"/>
Inneren und der Welt bestehen können.</p><p><lbn="pse_210.018"/>
Zwei Typen der Vereindringlichung im sprachlichen Bild <lbn="pse_210.019"/>
unterscheiden wir. »Dort erregte er ein großes Erstaunen und <lbn="pse_210.020"/>
eine unverhehlte Freude, die allsobald nach Schüsseln und <lbn="pse_210.021"/>
Tellern, nach Töpfchen und Gläsern, nach Eingemachtem <lbn="pse_210.022"/>
und Gebackenem auseinanderlief« (G. Keller). Aus dem Vorgangswort <lbn="pse_210.023"/>
fließt Leben und Bewegung auch in das schon <lbn="pse_210.024"/>
Abstraktum gewordene »Freude«. Aus dem lebendigen Kraftstrom <lbn="pse_210.025"/>
des Erzählers fließt das Leben und die Bewegung hinüber <lbn="pse_210.026"/>
in die gestaltete Welt, sie wird hereingezogen in die <lbn="pse_210.027"/>
Allfülle und das All-Leben. Diese Art der Vereindringlichung <lbn="pse_210.028"/>
im sprachlichen Bild nennt man mit Fug Beseelung. »Nun <lbn="pse_210.029"/>
erst, inmitten der nachtkühlen schweigenden Bäume und <lbn="pse_210.030"/>
Gebäude, spürte er durchdringend und schmerzlich, daß er <lbn="pse_210.031"/>
dies alles nun zum letztenmal vor Augen habe, zum letztenmal <lbn="pse_210.032"/>
dem Stillwerden und Einschlummern der tagsüber so belebten <lbn="pse_210.033"/>
Siedlung lausche, zum letztenmal das kleine Licht <lbn="pse_210.034"/>
überm Pförtnerhaus sich im Brunnenbecken spiegeln, zum <lbn="pse_210.035"/>
letztenmal das Nachtgewölk über die Bäume seines Magistergartens <lbn="pse_210.036"/>
ziehen sehe« (Hesse, Glasperlenspiel). Man beachte <lbn="pse_210.037"/>
hier die Vorgangsworte spüren, lauschen, sehen und die eindringliche <lbn="pse_210.038"/>
Wiederholung des »zum letztenmal«. Es ist hier
</p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[210/0226]
pse_210.001
Hier ist eine innere Erfahrung, ein Gefühlsstrom sprachlich pse_210.002
zur Einheit geformt: in der Schlichtheit und gefühlsmäßigen pse_210.003
Weite der Wortgehalte und in der rhythmischen Kunst: das pse_210.004
steigt auf und klingt aus und ist damit eine Einheit und Geschlossenheit, pse_210.005
die gewöhnlicher Sachprosa nie eigen ist.
pse_210.006
Nicht Anschaulichkeit und nicht bloßer Sprachschmuck. pse_210.007
Und wo wirklich in langen Epochen Dichter bewußt pse_210.008
schmückende Bilder eingesetzt haben, so geschieht das eben pse_210.009
doch aus einer bestimmten inneren Haltung, die auf Erhöhung pse_210.010
des Daseins in Schönheit ausgerichtet ist. Sondern anderes ist pse_210.011
wesentlich fürs sprachliche Bild: die Geschlossenheit durch pse_210.012
die Einheit des erfassenden Aktes, wobei nach unten und oben pse_210.013
Anreicherung und Gliederung entstehen kann, die Gefühlseinprägsamkeit pse_210.014
aus der inneren Haltung, in der der sprachliche pse_210.015
Erfassungsakt geschieht. Gefühlsspannungen sind dabei pse_210.016
möglich aus den Spannungen, die zwischen dem erfassenden pse_210.017
Inneren und der Welt bestehen können.
pse_210.018
Zwei Typen der Vereindringlichung im sprachlichen Bild pse_210.019
unterscheiden wir. »Dort erregte er ein großes Erstaunen und pse_210.020
eine unverhehlte Freude, die allsobald nach Schüsseln und pse_210.021
Tellern, nach Töpfchen und Gläsern, nach Eingemachtem pse_210.022
und Gebackenem auseinanderlief« (G. Keller). Aus dem Vorgangswort pse_210.023
fließt Leben und Bewegung auch in das schon pse_210.024
Abstraktum gewordene »Freude«. Aus dem lebendigen Kraftstrom pse_210.025
des Erzählers fließt das Leben und die Bewegung hinüber pse_210.026
in die gestaltete Welt, sie wird hereingezogen in die pse_210.027
Allfülle und das All-Leben. Diese Art der Vereindringlichung pse_210.028
im sprachlichen Bild nennt man mit Fug Beseelung. »Nun pse_210.029
erst, inmitten der nachtkühlen schweigenden Bäume und pse_210.030
Gebäude, spürte er durchdringend und schmerzlich, daß er pse_210.031
dies alles nun zum letztenmal vor Augen habe, zum letztenmal pse_210.032
dem Stillwerden und Einschlummern der tagsüber so belebten pse_210.033
Siedlung lausche, zum letztenmal das kleine Licht pse_210.034
überm Pförtnerhaus sich im Brunnenbecken spiegeln, zum pse_210.035
letztenmal das Nachtgewölk über die Bäume seines Magistergartens pse_210.036
ziehen sehe« (Hesse, Glasperlenspiel). Man beachte pse_210.037
hier die Vorgangsworte spüren, lauschen, sehen und die eindringliche pse_210.038
Wiederholung des »zum letztenmal«. Es ist hier
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/226>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.