pse_260.001 voneinander ab. Die Dichtung gliedert sich so in pse_260.002 Stimmungsgruppen. Ein Beispiel ist Goethes Gedicht "Auf pse_260.003 dem See", in dem gerade im Aufeinander der Stimmungen, pse_260.004 die jede Strophe beherrschen, der tiefe Gehalt lebendig wird. pse_260.005 Aber auch Erzählungen und Dramen können durch solche pse_260.006 Abfolge von Stimmungen gebaut sein. In Th. Manns "Tod pse_260.007 in Venedig" sind als Kapitel zwei und vier verhältnismäßig pse_260.008 sachliche Teile eingeschoben, die die eigenartige Stimmung pse_260.009 der anderen drei Teile erst recht hervorheben. Die drei Teile pse_260.010 der Gretchentragödie, die durch den Einschub der Szene pse_260.011 "Wald und Hölle" und der Walpurgisnacht entstehen, sind pse_260.012 in ihrer Stimmung deutlich voneinander abgehoben und gestalten pse_260.013 den Schicksalsweg Gretchens sehr eindringlich: Heiterkeit pse_260.014 -- wachsende Unruhe -- Verzweiflung. Auch bestimmte pse_260.015 Handlungsmotive können Glieder sein, so die verschiedenen pse_260.016 Szenen im "Tasso", wo der Kranz eine Rolle spielt, das Knien pse_260.017 Ottokars vom Schluß des dritten Akts bis im fünften an der pse_260.018 Leiche Margaretes, die Entwicklung wahrhafter und lügnerischer pse_260.019 Aussagen in Grillparzers "Weh dem, der lügt!" pse_260.020 Endlich selbstverständlich die Abschnitte, in denen eine Handlung pse_260.021 angelegt ist und die oft, wie besonders in Stifters Novellen, pse_260.022 schon durch die Titel hervorgehoben sind. Aber auch pse_260.023 Bilder im weiteren Sinn des Wortes, als geschlossene Sinneinheiten pse_260.024 oder größere sprachliche Bildgruppen, können pse_260.025 Glieder einer Dichtung sein. Sie deuten in ihrer Abfolge die pse_260.026 Handlung oder auch die Personen. Zugleich bilden sie Stellen, pse_260.027 die durch bestimmte Gefühle herausgehoben sind und damit pse_260.028 wieder dem Aufbau dienen.
pse_260.029 Alle diese Glieder, vor allem die Bilder, mögen aus der pse_260.030 Tradition entnommen und der Mode unterworfen sein. Aber pse_260.031 das Entscheidende ist, daß sie als sinnvolle Glieder ins Ganze pse_260.032 eingefügt sind, daß dieses ohne sie anders oder unvollkommener pse_260.033 wäre, daß der Eindruck der künstlerischen Ganzheit pse_260.034 durch sie besonders bestimmt ist. Auch ihr gegenseitiges pse_260.035 Verhältnis kann da von Bedeutung sein: Wechsel, Steigerung pse_260.036 oder Abklingen. Dabei geht im echten Kunstwerk diese pse_260.037 Durchgliederung bis ins kleinste. So kann auch ein nur als pse_260.038 Bruchstück erhaltenes Gedicht sich als großes Kunstwerk erweisen,
pse_260.001 voneinander ab. Die Dichtung gliedert sich so in pse_260.002 Stimmungsgruppen. Ein Beispiel ist Goethes Gedicht »Auf pse_260.003 dem See«, in dem gerade im Aufeinander der Stimmungen, pse_260.004 die jede Strophe beherrschen, der tiefe Gehalt lebendig wird. pse_260.005 Aber auch Erzählungen und Dramen können durch solche pse_260.006 Abfolge von Stimmungen gebaut sein. In Th. Manns »Tod pse_260.007 in Venedig« sind als Kapitel zwei und vier verhältnismäßig pse_260.008 sachliche Teile eingeschoben, die die eigenartige Stimmung pse_260.009 der anderen drei Teile erst recht hervorheben. Die drei Teile pse_260.010 der Gretchentragödie, die durch den Einschub der Szene pse_260.011 »Wald und Hölle« und der Walpurgisnacht entstehen, sind pse_260.012 in ihrer Stimmung deutlich voneinander abgehoben und gestalten pse_260.013 den Schicksalsweg Gretchens sehr eindringlich: Heiterkeit pse_260.014 — wachsende Unruhe — Verzweiflung. Auch bestimmte pse_260.015 Handlungsmotive können Glieder sein, so die verschiedenen pse_260.016 Szenen im »Tasso«, wo der Kranz eine Rolle spielt, das Knien pse_260.017 Ottokars vom Schluß des dritten Akts bis im fünften an der pse_260.018 Leiche Margaretes, die Entwicklung wahrhafter und lügnerischer pse_260.019 Aussagen in Grillparzers »Weh dem, der lügt!« pse_260.020 Endlich selbstverständlich die Abschnitte, in denen eine Handlung pse_260.021 angelegt ist und die oft, wie besonders in Stifters Novellen, pse_260.022 schon durch die Titel hervorgehoben sind. Aber auch pse_260.023 Bilder im weiteren Sinn des Wortes, als geschlossene Sinneinheiten pse_260.024 oder größere sprachliche Bildgruppen, können pse_260.025 Glieder einer Dichtung sein. Sie deuten in ihrer Abfolge die pse_260.026 Handlung oder auch die Personen. Zugleich bilden sie Stellen, pse_260.027 die durch bestimmte Gefühle herausgehoben sind und damit pse_260.028 wieder dem Aufbau dienen.
pse_260.029 Alle diese Glieder, vor allem die Bilder, mögen aus der pse_260.030 Tradition entnommen und der Mode unterworfen sein. Aber pse_260.031 das Entscheidende ist, daß sie als sinnvolle Glieder ins Ganze pse_260.032 eingefügt sind, daß dieses ohne sie anders oder unvollkommener pse_260.033 wäre, daß der Eindruck der künstlerischen Ganzheit pse_260.034 durch sie besonders bestimmt ist. Auch ihr gegenseitiges pse_260.035 Verhältnis kann da von Bedeutung sein: Wechsel, Steigerung pse_260.036 oder Abklingen. Dabei geht im echten Kunstwerk diese pse_260.037 Durchgliederung bis ins kleinste. So kann auch ein nur als pse_260.038 Bruchstück erhaltenes Gedicht sich als großes Kunstwerk erweisen,
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dem See«, in dem gerade im Aufeinander der Stimmungen, pse_260.004
die jede Strophe beherrschen, der tiefe Gehalt lebendig wird. pse_260.005
Aber auch Erzählungen und Dramen können durch solche pse_260.006
Abfolge von Stimmungen gebaut sein. In Th. Manns »Tod pse_260.007
in Venedig« sind als Kapitel zwei und vier verhältnismäßig pse_260.008
sachliche Teile eingeschoben, die die eigenartige Stimmung pse_260.009
der anderen drei Teile erst recht hervorheben. Die drei Teile pse_260.010
der Gretchentragödie, die durch den Einschub der Szene pse_260.011
»Wald und Hölle« und der Walpurgisnacht entstehen, sind pse_260.012
in ihrer Stimmung deutlich voneinander abgehoben und gestalten pse_260.013
den Schicksalsweg Gretchens sehr eindringlich: Heiterkeit pse_260.014
— wachsende Unruhe — Verzweiflung. Auch bestimmte pse_260.015
Handlungsmotive können Glieder sein, so die verschiedenen pse_260.016
Szenen im »Tasso«, wo der Kranz eine Rolle spielt, das Knien pse_260.017
Ottokars vom Schluß des dritten Akts bis im fünften an der pse_260.018
Leiche Margaretes, die Entwicklung wahrhafter und lügnerischer pse_260.019
Aussagen in Grillparzers »Weh dem, der lügt!« pse_260.020
Endlich selbstverständlich die Abschnitte, in denen eine Handlung pse_260.021
angelegt ist und die oft, wie besonders in Stifters Novellen, pse_260.022
schon durch die Titel hervorgehoben sind. Aber auch pse_260.023
Bilder im weiteren Sinn des Wortes, als geschlossene Sinneinheiten pse_260.024
oder größere sprachliche Bildgruppen, können pse_260.025
Glieder einer Dichtung sein. Sie deuten in ihrer Abfolge die pse_260.026
Handlung oder auch die Personen. Zugleich bilden sie Stellen, pse_260.027
die durch bestimmte Gefühle herausgehoben sind und damit pse_260.028
wieder dem Aufbau dienen.
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Alle diese Glieder, vor allem die Bilder, mögen aus der pse_260.030
Tradition entnommen und der Mode unterworfen sein. Aber pse_260.031
das Entscheidende ist, daß sie als sinnvolle Glieder ins Ganze pse_260.032
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durch sie besonders bestimmt ist. Auch ihr gegenseitiges pse_260.035
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oder Abklingen. Dabei geht im echten Kunstwerk diese pse_260.037
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Bruchstück erhaltenes Gedicht sich als großes Kunstwerk erweisen,
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/276>, abgerufen am 21.11.2024.
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