pse_263.001 auswirken. Wir greifen als wesentliche heraus: die durchgehende pse_263.002 Bewegung, das System der verschiedenen Wiederholungen, pse_263.003 die Ausgewogenheit der Glieder, endlich Raum pse_263.004 und Rahmung.
pse_263.005 1. Die durchgehende Bewegung schafft im zeitlichen Ablauf pse_263.006 des dichterischen Kunstwerks die Einheit. An sich ist die pse_263.007 innere und dann in der Form gestaltete Bewegung in allen pse_263.008 Künsten eine der stärksten Kräfte, die aus dem Innersten pse_263.009 kommen. Wie mannigfach diese Bewegung sein kann, zeigen pse_263.010 die beiden großen Werke der deutschen Musik: Bachs Matthäuspassion pse_263.011 und Wagners "Tristan". Auch in der Dichtung pse_263.012 kann man gerade an der Verschiedenheit der Bewegung stiltypologische pse_263.013 Unterscheidungen anknüpfen. In der Dichtung pse_263.014 kommt nun zu der aus der Seele des Schöpfers als eines Menschen pse_263.015 erwachsenden Bewegung noch die durch das Wesen pse_263.016 der Sprache gegebene. Das in den Sprachkunstwerken eingeformte pse_263.017 Zeiterlebnis hängt damit zusammen. Die durchgehende pse_263.018 Bewegung durch eine Dichtung hat verschiedene pse_263.019 Verlaufsarten. Viele Erzählungen sind in ihrem Ablauflückenlos. pse_263.020 Das heißt: ein Glied ist ans andere sinnvoll angeknüpft; pse_263.021 so entsteht eine streng logische Reihe, die pausenlos abläuft. pse_263.022 Dieser Ablauf muß nicht rational durchdacht sein, er kann pse_263.023 auch stimmungshaft fließen und dabei dieselbe Lückenlosigkeit pse_263.024 aufweisen. Homers Epik zeigt das besonders. Man beobachte, pse_263.025 wie die Glieder vom kleinsten, vom einzelnen sprachlichen pse_263.026 Bild an, bis zu den größten durch eine Fülle von Bindewörtern pse_263.027 aneinandergefügt sind, eine Fülle, die kaum jemals in pse_263.028 der Übersetzung wiedergegeben werden kann. Kein Glied pse_263.029 hängt so in der Luft, jedes ist in seinem Stellenwert genau bestimmt. pse_263.030 Ähnliche Lückenlosigkeit zeigt auch der Barockroman, pse_263.031 wo gerade die rationale Verknüpftheit besonders deutlich ist. pse_263.032 Auch die Lyrik kann diese Form zeigen. Schillers Gedankenlyrik pse_263.033 formt den unaufhörlichen Fluß nicht nur durch den weitschwingenden, pse_263.034 mächtig tragenden Rhythmus, sondern auch pse_263.035 durch den streng durchdachten Ablauf der Bilder. Ganz pse_263.036 anders ist die durchgehende Bewegung, wenn Glieder stark pse_263.037 für sich herausgestellt sind, wenn zwischen ihnen gleichsam pse_263.038 ein Raum ausgespart wird. Der Aufbau wird sprunghaft.
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pse_263.005 1. Die durchgehende Bewegung schafft im zeitlichen Ablauf pse_263.006 des dichterischen Kunstwerks die Einheit. An sich ist die pse_263.007 innere und dann in der Form gestaltete Bewegung in allen pse_263.008 Künsten eine der stärksten Kräfte, die aus dem Innersten pse_263.009 kommen. Wie mannigfach diese Bewegung sein kann, zeigen pse_263.010 die beiden großen Werke der deutschen Musik: Bachs Matthäuspassion pse_263.011 und Wagners »Tristan«. Auch in der Dichtung pse_263.012 kann man gerade an der Verschiedenheit der Bewegung stiltypologische pse_263.013 Unterscheidungen anknüpfen. In der Dichtung pse_263.014 kommt nun zu der aus der Seele des Schöpfers als eines Menschen pse_263.015 erwachsenden Bewegung noch die durch das Wesen pse_263.016 der Sprache gegebene. Das in den Sprachkunstwerken eingeformte pse_263.017 Zeiterlebnis hängt damit zusammen. Die durchgehende pse_263.018 Bewegung durch eine Dichtung hat verschiedene pse_263.019 Verlaufsarten. Viele Erzählungen sind in ihrem Ablauflückenlos. pse_263.020 Das heißt: ein Glied ist ans andere sinnvoll angeknüpft; pse_263.021 so entsteht eine streng logische Reihe, die pausenlos abläuft. pse_263.022 Dieser Ablauf muß nicht rational durchdacht sein, er kann pse_263.023 auch stimmungshaft fließen und dabei dieselbe Lückenlosigkeit pse_263.024 aufweisen. Homers Epik zeigt das besonders. Man beobachte, pse_263.025 wie die Glieder vom kleinsten, vom einzelnen sprachlichen pse_263.026 Bild an, bis zu den größten durch eine Fülle von Bindewörtern pse_263.027 aneinandergefügt sind, eine Fülle, die kaum jemals in pse_263.028 der Übersetzung wiedergegeben werden kann. Kein Glied pse_263.029 hängt so in der Luft, jedes ist in seinem Stellenwert genau bestimmt. pse_263.030 Ähnliche Lückenlosigkeit zeigt auch der Barockroman, pse_263.031 wo gerade die rationale Verknüpftheit besonders deutlich ist. pse_263.032 Auch die Lyrik kann diese Form zeigen. Schillers Gedankenlyrik pse_263.033 formt den unaufhörlichen Fluß nicht nur durch den weitschwingenden, pse_263.034 mächtig tragenden Rhythmus, sondern auch pse_263.035 durch den streng durchdachten Ablauf der Bilder. Ganz pse_263.036 anders ist die durchgehende Bewegung, wenn Glieder stark pse_263.037 für sich herausgestellt sind, wenn zwischen ihnen gleichsam pse_263.038 ein Raum ausgespart wird. Der Aufbau wird sprunghaft.
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1. Die durchgehende Bewegung schafft im zeitlichen Ablauf pse_263.006
des dichterischen Kunstwerks die Einheit. An sich ist die pse_263.007
innere und dann in der Form gestaltete Bewegung in allen pse_263.008
Künsten eine der stärksten Kräfte, die aus dem Innersten pse_263.009
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die beiden großen Werke der deutschen Musik: Bachs Matthäuspassion pse_263.011
und Wagners »Tristan«. Auch in der Dichtung pse_263.012
kann man gerade an der Verschiedenheit der Bewegung stiltypologische pse_263.013
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/279>, abgerufen am 21.11.2024.
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