pse_277.001 ein Beweis dafür, daß in der sprachlichen Gestaltung, besonders pse_277.002 in der künstlerischen, nicht bloß eine Wirklichkeit pse_277.003 dargestellt wird, sondern auch unsere Einstellung dazu, und pse_277.004 daß der Gehalt volle Wirklichkeit immer erst in einer und pse_277.005 durch eine bestimmte Gestalt wird. Ein anderer künstlerisch pse_277.006 wirkungsvoller Widerspruch besteht darin, daß man den pse_277.007 Gehalt einer hohen Dichtung völlig erniedrigt, daß man ihn pse_277.008 vergröbert und lächerlich macht, aber dabei den hohen Ton pse_277.009 aufrechthält. Das ist die Parodie, wie sie besonders auch pse_277.010 Nestroy pflegte. Hier wird ein niedriger Gehalt, der durch pse_277.011 Umformung eines hohen entstand, in gespreizten und überhitzten pse_277.012 Ton gebracht. Wäre der Ton dem Gehalt angemessen, pse_277.013 hätte man den Eindruck einer geschlossenen Dichtung, die pse_277.014 höchstens als völlige Umformung einer anderen gelten könnte, pse_277.015 aber durchaus auch Eigenwesen hätte. Aber durch den überhöhten pse_277.016 Ton wird der niedere Gehalt wieder in eine auffällige pse_277.017 Beleuchtung gerückt und der Anspruch des menschlich pse_277.018 Niederen bloßgestellt.
pse_277.019 Der Bezug zur außersprachlichen Wirklichkeit, der, wie pse_277.020 wir betont haben, in jeder Dichtung schon durch das Wesen pse_277.021 der Sprache vorhanden ist, kann auch in anderer Weise gestört pse_277.022 werden. Man spricht dafür heute häufig von Deformation pse_277.023 oder Verfremdung. Beide Ausdrücke bedeuten sehr pse_277.024 Ähnliches, nur liegt beim ersten der vergleichende Blick vor pse_277.025 allem auf der außersprachlichen Wirklichkeit, beim zweiten pse_277.026 auf dem Eindruck auf den Erlebenden. Aber beide werden pse_277.027 nicht einheitlich gebraucht. Manchmal wird unter Deformation pse_277.028 rein die Tatsache gemeint, daß ja die Dichtung die pse_277.029 außersprachliche Wirklichkeit geistig neu aufbaut in der pse_277.030 sprachlichen Welt, und daß sie dabei die außersprachliche pse_277.031 Wirklichkeit ändert. Das Wesentliche ist aber nicht, daß die pse_277.032 außersprachliche Wirklichkeit umgeändert, sondern daß eine pse_277.033 neue geistige Welt sprachlich-dichterisch aufgebaut wird. pse_277.034 Aber Deformation hat auch einen anderen Sinn für Dichtung: pse_277.035 da kommt es dem Dichter geradezu darauf an, die zu gestaltende pse_277.036 Wirklichkeit zu verzerren; also die verzerrte außersprachliche pse_277.037 Wirklichkeit ist der wesentliche Gehalt, der Ton pse_277.038 liegt auf der Verzerrung oder Verfremdung. Dazu gehört z. B.
pse_277.001 ein Beweis dafür, daß in der sprachlichen Gestaltung, besonders pse_277.002 in der künstlerischen, nicht bloß eine Wirklichkeit pse_277.003 dargestellt wird, sondern auch unsere Einstellung dazu, und pse_277.004 daß der Gehalt volle Wirklichkeit immer erst in einer und pse_277.005 durch eine bestimmte Gestalt wird. Ein anderer künstlerisch pse_277.006 wirkungsvoller Widerspruch besteht darin, daß man den pse_277.007 Gehalt einer hohen Dichtung völlig erniedrigt, daß man ihn pse_277.008 vergröbert und lächerlich macht, aber dabei den hohen Ton pse_277.009 aufrechthält. Das ist die Parodie, wie sie besonders auch pse_277.010 Nestroy pflegte. Hier wird ein niedriger Gehalt, der durch pse_277.011 Umformung eines hohen entstand, in gespreizten und überhitzten pse_277.012 Ton gebracht. Wäre der Ton dem Gehalt angemessen, pse_277.013 hätte man den Eindruck einer geschlossenen Dichtung, die pse_277.014 höchstens als völlige Umformung einer anderen gelten könnte, pse_277.015 aber durchaus auch Eigenwesen hätte. Aber durch den überhöhten pse_277.016 Ton wird der niedere Gehalt wieder in eine auffällige pse_277.017 Beleuchtung gerückt und der Anspruch des menschlich pse_277.018 Niederen bloßgestellt.
pse_277.019 Der Bezug zur außersprachlichen Wirklichkeit, der, wie pse_277.020 wir betont haben, in jeder Dichtung schon durch das Wesen pse_277.021 der Sprache vorhanden ist, kann auch in anderer Weise gestört pse_277.022 werden. Man spricht dafür heute häufig von Deformation pse_277.023 oder Verfremdung. Beide Ausdrücke bedeuten sehr pse_277.024 Ähnliches, nur liegt beim ersten der vergleichende Blick vor pse_277.025 allem auf der außersprachlichen Wirklichkeit, beim zweiten pse_277.026 auf dem Eindruck auf den Erlebenden. Aber beide werden pse_277.027 nicht einheitlich gebraucht. Manchmal wird unter Deformation pse_277.028 rein die Tatsache gemeint, daß ja die Dichtung die pse_277.029 außersprachliche Wirklichkeit geistig neu aufbaut in der pse_277.030 sprachlichen Welt, und daß sie dabei die außersprachliche pse_277.031 Wirklichkeit ändert. Das Wesentliche ist aber nicht, daß die pse_277.032 außersprachliche Wirklichkeit umgeändert, sondern daß eine pse_277.033 neue geistige Welt sprachlich-dichterisch aufgebaut wird. pse_277.034 Aber Deformation hat auch einen anderen Sinn für Dichtung: pse_277.035 da kommt es dem Dichter geradezu darauf an, die zu gestaltende pse_277.036 Wirklichkeit zu verzerren; also die verzerrte außersprachliche pse_277.037 Wirklichkeit ist der wesentliche Gehalt, der Ton pse_277.038 liegt auf der Verzerrung oder Verfremdung. Dazu gehört z. B.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0293"n="277"/><lbn="pse_277.001"/>
ein Beweis dafür, daß in der sprachlichen Gestaltung, besonders <lbn="pse_277.002"/>
in der künstlerischen, nicht bloß eine Wirklichkeit <lbn="pse_277.003"/>
dargestellt wird, sondern auch unsere Einstellung dazu, und <lbn="pse_277.004"/>
daß der Gehalt volle Wirklichkeit immer erst in einer und <lbn="pse_277.005"/>
durch eine bestimmte Gestalt wird. Ein anderer künstlerisch <lbn="pse_277.006"/>
wirkungsvoller Widerspruch besteht darin, daß man den <lbn="pse_277.007"/>
Gehalt einer hohen Dichtung völlig erniedrigt, daß man ihn <lbn="pse_277.008"/>
vergröbert und lächerlich macht, aber dabei den hohen Ton <lbn="pse_277.009"/>
aufrechthält. Das ist die Parodie, wie sie besonders auch <lbn="pse_277.010"/>
Nestroy pflegte. Hier wird ein niedriger Gehalt, der durch <lbn="pse_277.011"/>
Umformung eines hohen entstand, in gespreizten und überhitzten <lbn="pse_277.012"/>
Ton gebracht. Wäre der Ton dem Gehalt angemessen, <lbn="pse_277.013"/>
hätte man den Eindruck einer geschlossenen Dichtung, die <lbn="pse_277.014"/>
höchstens als völlige Umformung einer anderen gelten könnte, <lbn="pse_277.015"/>
aber durchaus auch Eigenwesen hätte. Aber durch den überhöhten <lbn="pse_277.016"/>
Ton wird der niedere Gehalt wieder in eine auffällige <lbn="pse_277.017"/>
Beleuchtung gerückt und der Anspruch des menschlich <lbn="pse_277.018"/>
Niederen bloßgestellt.</p><p><lbn="pse_277.019"/>
Der Bezug zur außersprachlichen Wirklichkeit, der, wie <lbn="pse_277.020"/>
wir betont haben, in jeder Dichtung schon durch das Wesen <lbn="pse_277.021"/>
der Sprache vorhanden ist, kann auch in anderer Weise gestört <lbn="pse_277.022"/>
werden. Man spricht dafür heute häufig von Deformation <lbn="pse_277.023"/>
oder Verfremdung. Beide Ausdrücke bedeuten sehr <lbn="pse_277.024"/>
Ähnliches, nur liegt beim ersten der vergleichende Blick vor <lbn="pse_277.025"/>
allem auf der außersprachlichen Wirklichkeit, beim zweiten <lbn="pse_277.026"/>
auf dem Eindruck auf den Erlebenden. Aber beide werden <lbn="pse_277.027"/>
nicht einheitlich gebraucht. Manchmal wird unter Deformation <lbn="pse_277.028"/>
rein die Tatsache gemeint, daß ja die Dichtung die <lbn="pse_277.029"/>
außersprachliche Wirklichkeit geistig neu aufbaut in der <lbn="pse_277.030"/>
sprachlichen Welt, und daß sie dabei die außersprachliche <lbn="pse_277.031"/>
Wirklichkeit ändert. Das Wesentliche ist aber nicht, daß die <lbn="pse_277.032"/>
außersprachliche Wirklichkeit umgeändert, sondern daß eine <lbn="pse_277.033"/>
neue geistige Welt sprachlich-dichterisch aufgebaut wird. <lbn="pse_277.034"/>
Aber Deformation hat auch einen anderen Sinn für Dichtung: <lbn="pse_277.035"/>
da kommt es dem Dichter geradezu darauf an, die zu gestaltende <lbn="pse_277.036"/>
Wirklichkeit zu verzerren; also die verzerrte außersprachliche <lbn="pse_277.037"/>
Wirklichkeit ist der wesentliche Gehalt, der Ton <lbn="pse_277.038"/>
liegt auf der Verzerrung oder Verfremdung. Dazu gehört z. B.
</p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[277/0293]
pse_277.001
ein Beweis dafür, daß in der sprachlichen Gestaltung, besonders pse_277.002
in der künstlerischen, nicht bloß eine Wirklichkeit pse_277.003
dargestellt wird, sondern auch unsere Einstellung dazu, und pse_277.004
daß der Gehalt volle Wirklichkeit immer erst in einer und pse_277.005
durch eine bestimmte Gestalt wird. Ein anderer künstlerisch pse_277.006
wirkungsvoller Widerspruch besteht darin, daß man den pse_277.007
Gehalt einer hohen Dichtung völlig erniedrigt, daß man ihn pse_277.008
vergröbert und lächerlich macht, aber dabei den hohen Ton pse_277.009
aufrechthält. Das ist die Parodie, wie sie besonders auch pse_277.010
Nestroy pflegte. Hier wird ein niedriger Gehalt, der durch pse_277.011
Umformung eines hohen entstand, in gespreizten und überhitzten pse_277.012
Ton gebracht. Wäre der Ton dem Gehalt angemessen, pse_277.013
hätte man den Eindruck einer geschlossenen Dichtung, die pse_277.014
höchstens als völlige Umformung einer anderen gelten könnte, pse_277.015
aber durchaus auch Eigenwesen hätte. Aber durch den überhöhten pse_277.016
Ton wird der niedere Gehalt wieder in eine auffällige pse_277.017
Beleuchtung gerückt und der Anspruch des menschlich pse_277.018
Niederen bloßgestellt.
pse_277.019
Der Bezug zur außersprachlichen Wirklichkeit, der, wie pse_277.020
wir betont haben, in jeder Dichtung schon durch das Wesen pse_277.021
der Sprache vorhanden ist, kann auch in anderer Weise gestört pse_277.022
werden. Man spricht dafür heute häufig von Deformation pse_277.023
oder Verfremdung. Beide Ausdrücke bedeuten sehr pse_277.024
Ähnliches, nur liegt beim ersten der vergleichende Blick vor pse_277.025
allem auf der außersprachlichen Wirklichkeit, beim zweiten pse_277.026
auf dem Eindruck auf den Erlebenden. Aber beide werden pse_277.027
nicht einheitlich gebraucht. Manchmal wird unter Deformation pse_277.028
rein die Tatsache gemeint, daß ja die Dichtung die pse_277.029
außersprachliche Wirklichkeit geistig neu aufbaut in der pse_277.030
sprachlichen Welt, und daß sie dabei die außersprachliche pse_277.031
Wirklichkeit ändert. Das Wesentliche ist aber nicht, daß die pse_277.032
außersprachliche Wirklichkeit umgeändert, sondern daß eine pse_277.033
neue geistige Welt sprachlich-dichterisch aufgebaut wird. pse_277.034
Aber Deformation hat auch einen anderen Sinn für Dichtung: pse_277.035
da kommt es dem Dichter geradezu darauf an, die zu gestaltende pse_277.036
Wirklichkeit zu verzerren; also die verzerrte außersprachliche pse_277.037
Wirklichkeit ist der wesentliche Gehalt, der Ton pse_277.038
liegt auf der Verzerrung oder Verfremdung. Dazu gehört z. B.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/293>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.