pse_350.001 des Menschen eng zusammenhängen. Denn in allem pse_350.002 Betroffensein von der Welt, vom Sein wird der Mensch vor pse_350.003 allem von der Tatsache erregt, daß alles Sein Zeit ist. Wir pse_350.004 können uns in den Strom der Vergänglichkeit hineinfühlen, pse_350.005 zurücksinken in die Erinnerung; wir können vom Ufer der pse_350.006 Gegenwart aus gleichsam dem Strom zuschauen; wir können pse_350.007 auch auf das hin angespannt sein, was erst kommt. Der Zusammenhang pse_350.008 der dichterischen Gestaltungsweisen mit dem pse_350.009 menschlichen Zeitbezug ist nicht ganz eindeutig, aber man pse_350.010 kann doch wohl am ehesten so sagen: In der Offenbarung pse_350.011 eines gegebenen Zustandes wird uns die Gegenwart bewußt, pse_350.012 die Zeitlichkeit ist hier ganz ohne Beschwernis und Angespanntheit. pse_350.013 Auch das, was im Zurückwenden erfaßt wird, pse_350.014 wird in die Strömung des seelischen Erlebens hereingenommen. pse_350.015 Wir nähern uns hier deutlich dem Lyrischen, wobei pse_350.016 wir nun die Worte im Sinne Staigers nehmen. Vergangenes pse_350.017 Geschehen kann in der dichterischen Gestaltung erinnernd beschworen, pse_350.018 wieder in die Gegenwart heraufgehoben werden, pse_350.019 aber doch zugleich als Vergangenes bewußt bleiben: eine pse_350.020 Grundhaltung des Epischen. Wieder anders ist unsere Haltung pse_350.021 gegenüber dem Zukünftigen: Hier spielen Sorge und Angespanntheit pse_350.022 eine entscheidende Rolle. Da taucht die Atmosphäre pse_350.023 des Schicksals auf. Wir spüren das auch dann, wenn pse_350.024 Vergangenes langsam enthüllt wird. Im "Ödipus" ist alles, was pse_350.025 enthüllt wird, schon längst vergangen, aber wir sind angespannt pse_350.026 auf seine Enthüllung, die in der Zukunft liegt. Hier ist pse_350.027 das Zeiterleben besonders deutlich. Wir sind im Bereich pse_350.028 dramatischen Gestaltens.
pse_350.029 1. Die eine Grundhaltung können wir in kleiner Abänderung pse_350.030 von Staigers Ausdruck als Verinnerung bezeichnen. Es ist pse_350.031 eine Stimmung, in der wir in den Dingen sind und sie in uns: pse_350.032 wir gehen in dem Stück Welt, das uns begegnet, auf und pse_350.033 nehmen es in unser Inneres ganz herein. Solche Stimmung pse_350.034 erschließt uns das Dasein unmittelbarer als Anschauung oder pse_350.035 Begriff. "Alles Seiende ... ist in der Stimmung nicht Gegenstand, pse_350.036 sondern Zustand. Zuständlichkeit ist die Seinsart von pse_350.037 Mensch und Natur in der lyrischen Poesie" (Staiger). Es fehlt pse_350.038 jeder Abstand zwischen Subjekt und Objekt, es ist ein völliges
pse_350.001 des Menschen eng zusammenhängen. Denn in allem pse_350.002 Betroffensein von der Welt, vom Sein wird der Mensch vor pse_350.003 allem von der Tatsache erregt, daß alles Sein Zeit ist. Wir pse_350.004 können uns in den Strom der Vergänglichkeit hineinfühlen, pse_350.005 zurücksinken in die Erinnerung; wir können vom Ufer der pse_350.006 Gegenwart aus gleichsam dem Strom zuschauen; wir können pse_350.007 auch auf das hin angespannt sein, was erst kommt. Der Zusammenhang pse_350.008 der dichterischen Gestaltungsweisen mit dem pse_350.009 menschlichen Zeitbezug ist nicht ganz eindeutig, aber man pse_350.010 kann doch wohl am ehesten so sagen: In der Offenbarung pse_350.011 eines gegebenen Zustandes wird uns die Gegenwart bewußt, pse_350.012 die Zeitlichkeit ist hier ganz ohne Beschwernis und Angespanntheit. pse_350.013 Auch das, was im Zurückwenden erfaßt wird, pse_350.014 wird in die Strömung des seelischen Erlebens hereingenommen. pse_350.015 Wir nähern uns hier deutlich dem Lyrischen, wobei pse_350.016 wir nun die Worte im Sinne Staigers nehmen. Vergangenes pse_350.017 Geschehen kann in der dichterischen Gestaltung erinnernd beschworen, pse_350.018 wieder in die Gegenwart heraufgehoben werden, pse_350.019 aber doch zugleich als Vergangenes bewußt bleiben: eine pse_350.020 Grundhaltung des Epischen. Wieder anders ist unsere Haltung pse_350.021 gegenüber dem Zukünftigen: Hier spielen Sorge und Angespanntheit pse_350.022 eine entscheidende Rolle. Da taucht die Atmosphäre pse_350.023 des Schicksals auf. Wir spüren das auch dann, wenn pse_350.024 Vergangenes langsam enthüllt wird. Im »Ödipus« ist alles, was pse_350.025 enthüllt wird, schon längst vergangen, aber wir sind angespannt pse_350.026 auf seine Enthüllung, die in der Zukunft liegt. Hier ist pse_350.027 das Zeiterleben besonders deutlich. Wir sind im Bereich pse_350.028 dramatischen Gestaltens.
pse_350.029 1. Die eine Grundhaltung können wir in kleiner Abänderung pse_350.030 von Staigers Ausdruck als Verinnerung bezeichnen. Es ist pse_350.031 eine Stimmung, in der wir in den Dingen sind und sie in uns: pse_350.032 wir gehen in dem Stück Welt, das uns begegnet, auf und pse_350.033 nehmen es in unser Inneres ganz herein. Solche Stimmung pse_350.034 erschließt uns das Dasein unmittelbarer als Anschauung oder pse_350.035 Begriff. »Alles Seiende ... ist in der Stimmung nicht Gegenstand, pse_350.036 sondern Zustand. Zuständlichkeit ist die Seinsart von pse_350.037 Mensch und Natur in der lyrischen Poesie« (Staiger). Es fehlt pse_350.038 jeder Abstand zwischen Subjekt und Objekt, es ist ein völliges
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0366"n="350"/><lbn="pse_350.001"/>
des Menschen eng zusammenhängen. Denn in allem <lbn="pse_350.002"/>
Betroffensein von der Welt, vom Sein wird der Mensch vor <lbn="pse_350.003"/>
allem von der Tatsache erregt, daß alles Sein Zeit ist. Wir <lbn="pse_350.004"/>
können uns in den Strom der Vergänglichkeit hineinfühlen, <lbn="pse_350.005"/>
zurücksinken in die Erinnerung; wir können vom Ufer der <lbn="pse_350.006"/>
Gegenwart aus gleichsam dem Strom zuschauen; wir können <lbn="pse_350.007"/>
auch auf das hin angespannt sein, was erst kommt. Der Zusammenhang <lbn="pse_350.008"/>
der dichterischen Gestaltungsweisen mit dem <lbn="pse_350.009"/>
menschlichen Zeitbezug ist nicht ganz eindeutig, aber man <lbn="pse_350.010"/>
kann doch wohl am ehesten so sagen: In der Offenbarung <lbn="pse_350.011"/>
eines gegebenen Zustandes wird uns die Gegenwart bewußt, <lbn="pse_350.012"/>
die Zeitlichkeit ist hier ganz ohne Beschwernis und Angespanntheit. <lbn="pse_350.013"/>
Auch das, was im Zurückwenden erfaßt wird, <lbn="pse_350.014"/>
wird in die Strömung des seelischen Erlebens hereingenommen. <lbn="pse_350.015"/>
Wir nähern uns hier deutlich dem Lyrischen, wobei <lbn="pse_350.016"/>
wir nun die Worte im Sinne Staigers nehmen. Vergangenes <lbn="pse_350.017"/>
Geschehen kann in der dichterischen Gestaltung erinnernd beschworen, <lbn="pse_350.018"/>
wieder in die Gegenwart heraufgehoben werden, <lbn="pse_350.019"/>
aber doch zugleich als Vergangenes bewußt bleiben: eine <lbn="pse_350.020"/>
Grundhaltung des Epischen. Wieder anders ist unsere Haltung <lbn="pse_350.021"/>
gegenüber dem Zukünftigen: Hier spielen Sorge und Angespanntheit <lbn="pse_350.022"/>
eine entscheidende Rolle. Da taucht die Atmosphäre <lbn="pse_350.023"/>
des Schicksals auf. Wir spüren das auch dann, wenn <lbn="pse_350.024"/>
Vergangenes langsam enthüllt wird. Im »Ödipus« ist alles, was <lbn="pse_350.025"/>
enthüllt wird, schon längst vergangen, aber wir sind angespannt <lbn="pse_350.026"/>
auf seine Enthüllung, die in der Zukunft liegt. Hier ist <lbn="pse_350.027"/>
das Zeiterleben besonders deutlich. Wir sind im Bereich <lbn="pse_350.028"/>
dramatischen Gestaltens.</p><p><lbn="pse_350.029"/>
1. Die eine Grundhaltung können wir in kleiner Abänderung <lbn="pse_350.030"/>
von Staigers Ausdruck als <hirendition="#i">Verinnerung</hi> bezeichnen. Es ist <lbn="pse_350.031"/>
eine Stimmung, in der wir in den Dingen sind und sie in uns: <lbn="pse_350.032"/>
wir gehen in dem Stück Welt, das uns begegnet, auf und <lbn="pse_350.033"/>
nehmen es in unser Inneres ganz herein. Solche Stimmung <lbn="pse_350.034"/>
erschließt uns das Dasein unmittelbarer als Anschauung oder <lbn="pse_350.035"/>
Begriff. »Alles Seiende ... ist in der Stimmung nicht Gegenstand, <lbn="pse_350.036"/>
sondern Zustand. Zuständlichkeit ist die Seinsart von <lbn="pse_350.037"/>
Mensch und Natur in der lyrischen Poesie« (Staiger). Es fehlt <lbn="pse_350.038"/>
jeder Abstand zwischen Subjekt und Objekt, es ist ein völliges
</p></div></div></div></body></text></TEI>
[350/0366]
pse_350.001
des Menschen eng zusammenhängen. Denn in allem pse_350.002
Betroffensein von der Welt, vom Sein wird der Mensch vor pse_350.003
allem von der Tatsache erregt, daß alles Sein Zeit ist. Wir pse_350.004
können uns in den Strom der Vergänglichkeit hineinfühlen, pse_350.005
zurücksinken in die Erinnerung; wir können vom Ufer der pse_350.006
Gegenwart aus gleichsam dem Strom zuschauen; wir können pse_350.007
auch auf das hin angespannt sein, was erst kommt. Der Zusammenhang pse_350.008
der dichterischen Gestaltungsweisen mit dem pse_350.009
menschlichen Zeitbezug ist nicht ganz eindeutig, aber man pse_350.010
kann doch wohl am ehesten so sagen: In der Offenbarung pse_350.011
eines gegebenen Zustandes wird uns die Gegenwart bewußt, pse_350.012
die Zeitlichkeit ist hier ganz ohne Beschwernis und Angespanntheit. pse_350.013
Auch das, was im Zurückwenden erfaßt wird, pse_350.014
wird in die Strömung des seelischen Erlebens hereingenommen. pse_350.015
Wir nähern uns hier deutlich dem Lyrischen, wobei pse_350.016
wir nun die Worte im Sinne Staigers nehmen. Vergangenes pse_350.017
Geschehen kann in der dichterischen Gestaltung erinnernd beschworen, pse_350.018
wieder in die Gegenwart heraufgehoben werden, pse_350.019
aber doch zugleich als Vergangenes bewußt bleiben: eine pse_350.020
Grundhaltung des Epischen. Wieder anders ist unsere Haltung pse_350.021
gegenüber dem Zukünftigen: Hier spielen Sorge und Angespanntheit pse_350.022
eine entscheidende Rolle. Da taucht die Atmosphäre pse_350.023
des Schicksals auf. Wir spüren das auch dann, wenn pse_350.024
Vergangenes langsam enthüllt wird. Im »Ödipus« ist alles, was pse_350.025
enthüllt wird, schon längst vergangen, aber wir sind angespannt pse_350.026
auf seine Enthüllung, die in der Zukunft liegt. Hier ist pse_350.027
das Zeiterleben besonders deutlich. Wir sind im Bereich pse_350.028
dramatischen Gestaltens.
pse_350.029
1. Die eine Grundhaltung können wir in kleiner Abänderung pse_350.030
von Staigers Ausdruck als Verinnerung bezeichnen. Es ist pse_350.031
eine Stimmung, in der wir in den Dingen sind und sie in uns: pse_350.032
wir gehen in dem Stück Welt, das uns begegnet, auf und pse_350.033
nehmen es in unser Inneres ganz herein. Solche Stimmung pse_350.034
erschließt uns das Dasein unmittelbarer als Anschauung oder pse_350.035
Begriff. »Alles Seiende ... ist in der Stimmung nicht Gegenstand, pse_350.036
sondern Zustand. Zuständlichkeit ist die Seinsart von pse_350.037
Mensch und Natur in der lyrischen Poesie« (Staiger). Es fehlt pse_350.038
jeder Abstand zwischen Subjekt und Objekt, es ist ein völliges
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/366>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.