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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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dieses Feiern: wieder ist das Ergriffensein des Innersten da. pse_400.002
Und auch ein Zusammenbruch wirkt immer auf den tiefsten pse_400.003
Menschen, sonst ist es für ihn gar kein Zusammenbruch. Zu pse_400.004
einem Zusammenbruch werden äußere Sachverhalte nur für pse_400.005
den, der sie als solchen erlebt und im Innersten davon erschüttert pse_400.006
wird. Und endlich die Enthumanisierung. Mallarme sagt: pse_400.007
"Du reste, je ne veux rien d'humain." Da ist die Enthumanisierung pse_400.008
als Ziel gesetzt. Aber man beachte das "je" und "veux": pse_400.009
ein Ich und ein Wille sind da, die irgendwohin streben, aber pse_400.010
selbst nicht ausschaltbar sind. Im Streben nach der Enthumanisierung pse_400.011
ist das Menschliche -- eben als Streben -- als unaufhebbar pse_400.012
mitgegeben. Und von der Sprache in Gedichten des Franzosen pse_400.013
Ponge, die Brot, Türe, Muschel, Kiesel, Kerze, Zigaretten pse_400.014
zum Gegenstand haben, sagt Friedrich: "Sie deformiert pse_400.015
nicht eigentlich die Dinge, sondern läßt sie so sehr erstarren pse_400.016
oder gibt den von Natur aus starren ein so seltsames Leben, pse_400.017
daß eine geisterhafte Unwirklichkeit entsteht. Ausgeschieden pse_400.018
aber ist der Mensch." Als Stoff, aber nicht als der, der eben in pse_400.019
der sprachlichen Schöpfung die Dinge so ergreift und gestaltet pse_400.020
und der als Gestaltender in die Dichtung mit eingeht. Und wo pse_400.021
Starrheit, seltsames Leben und geisterhafte Unwirklichkeit in pse_400.022
der Sprache lebendig werden, da wächst solche Schau nicht pse_400.023
aus den beruhigten Bewußtseinsschichten, sondern aus pse_400.024
menschlichen Tiefen. Benn selbst spricht vom monologischen pse_400.025
Charakter solcher Gedichte, d. h. sie sprechen niemanden mehr pse_400.026
bewußt an, sind an niemanden gerichtet, aber sie sprechen aus pse_400.027
jemandem heraus. Und die sprachliche Gestaltung auch der pse_400.028
modernen Lyrik mit diesen Zügen zeigt, daß in aller pse_400.029
eisigen Intellektualität, aller Dissonanz und allem Streben pse_400.030
nach Enthumanisierung ein tiefes Innere des Menschen beteiligt pse_400.031
ist. Es bleibt auch in solcher Lyrik bei einem unmittelbaren pse_400.032
Welterlebnis.

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c) Für die Gestaltung ist auch der Unterschied von individueller pse_400.034
Lyrik
und volkstümlicher Lyrik wichtig. Der erste pse_400.035
Ausdruck ist eine Verlegenheit. Denn selbstverständlich ist pse_400.036
jedes Gedicht die Schöpfung eines Einzelmenschen, ob er pse_400.037
bekannt ist oder nicht. Aber es ist ein Unterschied auch pse_400.038
künstlerischer Art, ob ein Gedicht in weiten Kreisen lebendig

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dieses Feiern: wieder ist das Ergriffensein des Innersten da. pse_400.002
Und auch ein Zusammenbruch wirkt immer auf den tiefsten pse_400.003
Menschen, sonst ist es für ihn gar kein Zusammenbruch. Zu pse_400.004
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den, der sie als solchen erlebt und im Innersten davon erschüttert pse_400.006
wird. Und endlich die Enthumanisierung. Mallarmé sagt: pse_400.007
»Du reste, je ne veux rien d'humain.« Da ist die Enthumanisierung pse_400.008
als Ziel gesetzt. Aber man beachte das »je« und »veux«: pse_400.009
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selbst nicht ausschaltbar sind. Im Streben nach der Enthumanisierung pse_400.011
ist das Menschliche — eben als Streben — als unaufhebbar pse_400.012
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Ponge, die Brot, Türe, Muschel, Kiesel, Kerze, Zigaretten pse_400.014
zum Gegenstand haben, sagt Friedrich: »Sie deformiert pse_400.015
nicht eigentlich die Dinge, sondern läßt sie so sehr erstarren pse_400.016
oder gibt den von Natur aus starren ein so seltsames Leben, pse_400.017
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aber ist der Mensch.« Als Stoff, aber nicht als der, der eben in pse_400.019
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und der als Gestaltender in die Dichtung mit eingeht. Und wo pse_400.021
Starrheit, seltsames Leben und geisterhafte Unwirklichkeit in pse_400.022
der Sprache lebendig werden, da wächst solche Schau nicht pse_400.023
aus den beruhigten Bewußtseinsschichten, sondern aus pse_400.024
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modernen Lyrik mit diesen Zügen zeigt, daß in aller pse_400.029
eisigen Intellektualität, aller Dissonanz und allem Streben pse_400.030
nach Enthumanisierung ein tiefes Innere des Menschen beteiligt pse_400.031
ist. Es bleibt auch in solcher Lyrik bei einem unmittelbaren pse_400.032
Welterlebnis.

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c) Für die Gestaltung ist auch der Unterschied von individueller pse_400.034
Lyrik
und volkstümlicher Lyrik wichtig. Der erste pse_400.035
Ausdruck ist eine Verlegenheit. Denn selbstverständlich ist pse_400.036
jedes Gedicht die Schöpfung eines Einzelmenschen, ob er pse_400.037
bekannt ist oder nicht. Aber es ist ein Unterschied auch pse_400.038
künstlerischer Art, ob ein Gedicht in weiten Kreisen lebendig

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[400/0416] pse_400.001 dieses Feiern: wieder ist das Ergriffensein des Innersten da. pse_400.002 Und auch ein Zusammenbruch wirkt immer auf den tiefsten pse_400.003 Menschen, sonst ist es für ihn gar kein Zusammenbruch. Zu pse_400.004 einem Zusammenbruch werden äußere Sachverhalte nur für pse_400.005 den, der sie als solchen erlebt und im Innersten davon erschüttert pse_400.006 wird. Und endlich die Enthumanisierung. Mallarmé sagt: pse_400.007 »Du reste, je ne veux rien d'humain.« Da ist die Enthumanisierung pse_400.008 als Ziel gesetzt. Aber man beachte das »je« und »veux«: pse_400.009 ein Ich und ein Wille sind da, die irgendwohin streben, aber pse_400.010 selbst nicht ausschaltbar sind. Im Streben nach der Enthumanisierung pse_400.011 ist das Menschliche — eben als Streben — als unaufhebbar pse_400.012 mitgegeben. Und von der Sprache in Gedichten des Franzosen pse_400.013 Ponge, die Brot, Türe, Muschel, Kiesel, Kerze, Zigaretten pse_400.014 zum Gegenstand haben, sagt Friedrich: »Sie deformiert pse_400.015 nicht eigentlich die Dinge, sondern läßt sie so sehr erstarren pse_400.016 oder gibt den von Natur aus starren ein so seltsames Leben, pse_400.017 daß eine geisterhafte Unwirklichkeit entsteht. Ausgeschieden pse_400.018 aber ist der Mensch.« Als Stoff, aber nicht als der, der eben in pse_400.019 der sprachlichen Schöpfung die Dinge so ergreift und gestaltet pse_400.020 und der als Gestaltender in die Dichtung mit eingeht. Und wo pse_400.021 Starrheit, seltsames Leben und geisterhafte Unwirklichkeit in pse_400.022 der Sprache lebendig werden, da wächst solche Schau nicht pse_400.023 aus den beruhigten Bewußtseinsschichten, sondern aus pse_400.024 menschlichen Tiefen. Benn selbst spricht vom monologischen pse_400.025 Charakter solcher Gedichte, d. h. sie sprechen niemanden mehr pse_400.026 bewußt an, sind an niemanden gerichtet, aber sie sprechen aus pse_400.027 jemandem heraus. Und die sprachliche Gestaltung auch der pse_400.028 modernen Lyrik mit diesen Zügen zeigt, daß in aller pse_400.029 eisigen Intellektualität, aller Dissonanz und allem Streben pse_400.030 nach Enthumanisierung ein tiefes Innere des Menschen beteiligt pse_400.031 ist. Es bleibt auch in solcher Lyrik bei einem unmittelbaren pse_400.032 Welterlebnis. pse_400.033 c) Für die Gestaltung ist auch der Unterschied von individueller pse_400.034 Lyrik und volkstümlicher Lyrik wichtig. Der erste pse_400.035 Ausdruck ist eine Verlegenheit. Denn selbstverständlich ist pse_400.036 jedes Gedicht die Schöpfung eines Einzelmenschen, ob er pse_400.037 bekannt ist oder nicht. Aber es ist ein Unterschied auch pse_400.038 künstlerischer Art, ob ein Gedicht in weiten Kreisen lebendig

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/416>, abgerufen am 25.11.2024.