pse_429.001 grundsätzlich in all diesen Möglichkeiten schon mitgegeben. pse_429.002 Da aber der Begriff in der bisherigen Poetik eine Rolle spielt, pse_429.003 muß er auch betrachtet werden. Wir kommen zu ihm, wenn pse_429.004 wir die Weltausschnitte, die zur lyrischen Ergriffenheit führen, pse_429.005 auseinanderfalten und sondern, und zwar nicht mehr pse_429.006 nach Höhe und seelischer Bedeutsamkeit, sondern gleichsam pse_429.007 nach sachlichen Grundsätzen, die nicht im Wesen der Dichtung pse_429.008 unmittelbar liegen. Wir haben die Fülle der Bereiche, pse_429.009 die zu lyrischer Gestaltung führen können, schon erwähnt: das pse_429.010 Menscheninnere selbst, die menschlichen Kulturbereiche, die pse_429.011 Natur als die vom Menschen unabhängige Schöpfung im pse_429.012 weitesten. Zu den seelischen Bereichen und Vorgängen, die pse_429.013 dem Menschen zum eigenen Erlebnis werden, gehören neben pse_429.014 Liebe, Freude, Leid usw. auch die Gedanken: seelische Vorgänge pse_429.015 also, die in den Bereich des Rationalen hineinreichen, pse_429.016 Urteilszusammenhänge vom einfachsten und kürzesten bis pse_429.017 zu umfangreichen Gebilden rein denkerischer Art, wie das pse_429.018 Erfassen und Erkennen, das Suchen und Ringen um philosophische pse_429.019 Probleme, bis hin zu Weltbildfragen und -ordnungen. pse_429.020 Diese ideellen Zusammenhänge, der gedankliche pse_429.021 Gehalt im Weltbild, in tiefen Erkenntnissen, in sittlichen Forderungen, pse_429.022 sind nun der Weltausschnitt. Wenn von einem pse_429.023 solchen die Seele des Menschen aufs tiefste ergriffen wird, pse_429.024 wenn das Denken solcher Zusammenhänge das Innerste des pse_429.025 Menschen erregt und der Zusammenhang mit der Erregung, pse_429.026 dem tiefen Betroffensein in einer künstlerischen Einheit Gestalt pse_429.027 wird, dann sind wir im Bereich unmittelbaren Welterlebens, pse_429.028 im Bereich lyrischer Dichtung. So gesehen ist Gedankenlyrik pse_429.029 echte Lyrik, da ja aus den unendlichen Möglichkeiten pse_429.030 nur eine bestimmte in Sonderbeleuchtung gerückt pse_429.031 wird. Innerhalb dieses Gesamtbereichs an Gedanklichem kann pse_429.032 es viele Spielarten geben. Philosophische Zusammenhänge pse_429.033 sind immer Hauptanliegen der Gedankenlyrik gewesen. Die pse_429.034 heutige Welt unseres 20. Jahrhunderts bietet sie immer noch, pse_429.035 besonders im Existenzialismus. Aber die moderne Zeit mit pse_429.036 ihrer Überrationalisierung, mit der Fülle von Leistungen, die pse_429.037 aus schärfster Verstandeszucht und Urteilsanstrengung erwachsen: pse_429.038 Atomphysik, Astrophysik, Erzeugung von Elektronenrechenmaschinen
pse_429.001 grundsätzlich in all diesen Möglichkeiten schon mitgegeben. pse_429.002 Da aber der Begriff in der bisherigen Poetik eine Rolle spielt, pse_429.003 muß er auch betrachtet werden. Wir kommen zu ihm, wenn pse_429.004 wir die Weltausschnitte, die zur lyrischen Ergriffenheit führen, pse_429.005 auseinanderfalten und sondern, und zwar nicht mehr pse_429.006 nach Höhe und seelischer Bedeutsamkeit, sondern gleichsam pse_429.007 nach sachlichen Grundsätzen, die nicht im Wesen der Dichtung pse_429.008 unmittelbar liegen. Wir haben die Fülle der Bereiche, pse_429.009 die zu lyrischer Gestaltung führen können, schon erwähnt: das pse_429.010 Menscheninnere selbst, die menschlichen Kulturbereiche, die pse_429.011 Natur als die vom Menschen unabhängige Schöpfung im pse_429.012 weitesten. Zu den seelischen Bereichen und Vorgängen, die pse_429.013 dem Menschen zum eigenen Erlebnis werden, gehören neben pse_429.014 Liebe, Freude, Leid usw. auch die Gedanken: seelische Vorgänge pse_429.015 also, die in den Bereich des Rationalen hineinreichen, pse_429.016 Urteilszusammenhänge vom einfachsten und kürzesten bis pse_429.017 zu umfangreichen Gebilden rein denkerischer Art, wie das pse_429.018 Erfassen und Erkennen, das Suchen und Ringen um philosophische pse_429.019 Probleme, bis hin zu Weltbildfragen und -ordnungen. pse_429.020 Diese ideellen Zusammenhänge, der gedankliche pse_429.021 Gehalt im Weltbild, in tiefen Erkenntnissen, in sittlichen Forderungen, pse_429.022 sind nun der Weltausschnitt. Wenn von einem pse_429.023 solchen die Seele des Menschen aufs tiefste ergriffen wird, pse_429.024 wenn das Denken solcher Zusammenhänge das Innerste des pse_429.025 Menschen erregt und der Zusammenhang mit der Erregung, pse_429.026 dem tiefen Betroffensein in einer künstlerischen Einheit Gestalt pse_429.027 wird, dann sind wir im Bereich unmittelbaren Welterlebens, pse_429.028 im Bereich lyrischer Dichtung. So gesehen ist Gedankenlyrik pse_429.029 echte Lyrik, da ja aus den unendlichen Möglichkeiten pse_429.030 nur eine bestimmte in Sonderbeleuchtung gerückt pse_429.031 wird. Innerhalb dieses Gesamtbereichs an Gedanklichem kann pse_429.032 es viele Spielarten geben. Philosophische Zusammenhänge pse_429.033 sind immer Hauptanliegen der Gedankenlyrik gewesen. Die pse_429.034 heutige Welt unseres 20. Jahrhunderts bietet sie immer noch, pse_429.035 besonders im Existenzialismus. Aber die moderne Zeit mit pse_429.036 ihrer Überrationalisierung, mit der Fülle von Leistungen, die pse_429.037 aus schärfster Verstandeszucht und Urteilsanstrengung erwachsen: pse_429.038 Atomphysik, Astrophysik, Erzeugung von Elektronenrechenmaschinen
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Da aber der Begriff in der bisherigen Poetik eine Rolle spielt, pse_429.003
muß er auch betrachtet werden. Wir kommen zu ihm, wenn pse_429.004
wir die Weltausschnitte, die zur lyrischen Ergriffenheit führen, pse_429.005
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nach sachlichen Grundsätzen, die nicht im Wesen der Dichtung pse_429.008
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Menscheninnere selbst, die menschlichen Kulturbereiche, die pse_429.011
Natur als die vom Menschen unabhängige Schöpfung im pse_429.012
weitesten. Zu den seelischen Bereichen und Vorgängen, die pse_429.013
dem Menschen zum eigenen Erlebnis werden, gehören neben pse_429.014
Liebe, Freude, Leid usw. auch die Gedanken: seelische Vorgänge pse_429.015
also, die in den Bereich des Rationalen hineinreichen, pse_429.016
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wenn das Denken solcher Zusammenhänge das Innerste des pse_429.025
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im Bereich lyrischer Dichtung. So gesehen ist Gedankenlyrik pse_429.029
echte Lyrik, da ja aus den unendlichen Möglichkeiten pse_429.030
nur eine bestimmte in Sonderbeleuchtung gerückt pse_429.031
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heutige Welt unseres 20. Jahrhunderts bietet sie immer noch, pse_429.035
besonders im Existenzialismus. Aber die moderne Zeit mit pse_429.036
ihrer Überrationalisierung, mit der Fülle von Leistungen, die pse_429.037
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Atomphysik, Astrophysik, Erzeugung von Elektronenrechenmaschinen
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/445>, abgerufen am 22.11.2024.
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