pse_434.001 sprachlichen Bild. Im Spruch blüht Dichtung pse_434.002 wirklich auf. Der Aphorismus steht in Prosa, aber im Gehalt pse_434.003 nähert er sich sehr der Spruchdichtung. Nur fehlt ihm die pse_434.004 Hinaufführung ins Menschlich-Allgemeine, denn im Aphorismus pse_434.005 wirkt sich eine ganz individuelle Sicht und Aussage aus.
pse_434.006 Der Spruch als dichterische Form kann zur Lyrik gerechnet pse_434.007 werden. Denn auf alle Fälle verdichtet sich in ihm eine Welterfahrung: pse_434.008 irgendein Bereich des Inneren, des Lebens, der pse_434.009 Natur, der Kunst, Religion usw. tritt dem Dichter entgegen, pse_434.010 er nimmt ihn scharf in den Blick und spricht ihn klar und pse_434.011 knapp aus. Zugleich aber ist der Dichter von dieser Begegnung pse_434.012 betroffen, zumindest gestaltet er eine Betroffenheit mit. pse_434.013 Die innere Erregung wird oft durch Geistesspiel abreagiert, pse_434.014 es kommt zu einer überraschenden Lösung. Aber gerade in pse_434.015 dem befreienden Lachen, in der Überraschung spürt man ein pse_434.016 Ich, das sich mit dem Problem abgegeben hat, fühlt man, daß pse_434.017 es sein Inneres angerührt hat, daß dieses Ich aus der Tiefe pse_434.018 heraus mit ihm fertig werden mußte. Grillparzer beginnt pse_434.019 einen Spruch mit dem Vers:
pse_434.020
Erscheint Freund Wagner auch auf der Bühne?
pse_434.021
Die Frage zeigt die Erregung, der Ausdruck "Freund" wirkt pse_434.022 zwiespältig, man spürt, daß ein Ich von der Tatsache betroffen pse_434.023 ist. (Nochmals sei gesagt, daß es natürlich nicht nötig ist, an pse_434.024 den konkreten Dichter Grillparzer zu denken. Ein Mensch pse_434.025 spricht sich hier aus, der von Wagners Erscheinen auf der pse_434.026 Bühne betroffen ist.) Der zweite Vers lautet:
pse_434.027
Ein magrer Geist mit einer Krinoline.
pse_434.028
Mit diesem Witz wird nun der Mensch mit der Lage fertig, pse_434.029 er tut sie ab, indem er sein Geistesspiel als geistige Überlegenheit pse_434.030 in ein scharfes sprachliches Bild prägt, in dem sogar pse_434.031 der "Geist" durch seine Sprachumwelt in merkwürdige Beleuchtung pse_434.032 gerät. Auf alle Fälle hat dem Sprecher der Tatbestand pse_434.033 Unruhe und Anregung verursacht. Unmittelbar ist pse_434.034 der Sprecher von einer Situation betroffen worden. Man kann pse_434.035 also den Spruch doch zur Lyrik rechnen. Denn auch in ihm pse_434.036 kommt es zur Gestaltung einer unmittelbaren Weltbewegung.
pse_434.037 Wir haben hier den Spruch als eine besondere, klar abgegrenzte
pse_434.001 sprachlichen Bild. Im Spruch blüht Dichtung pse_434.002 wirklich auf. Der Aphorismus steht in Prosa, aber im Gehalt pse_434.003 nähert er sich sehr der Spruchdichtung. Nur fehlt ihm die pse_434.004 Hinaufführung ins Menschlich-Allgemeine, denn im Aphorismus pse_434.005 wirkt sich eine ganz individuelle Sicht und Aussage aus.
pse_434.006 Der Spruch als dichterische Form kann zur Lyrik gerechnet pse_434.007 werden. Denn auf alle Fälle verdichtet sich in ihm eine Welterfahrung: pse_434.008 irgendein Bereich des Inneren, des Lebens, der pse_434.009 Natur, der Kunst, Religion usw. tritt dem Dichter entgegen, pse_434.010 er nimmt ihn scharf in den Blick und spricht ihn klar und pse_434.011 knapp aus. Zugleich aber ist der Dichter von dieser Begegnung pse_434.012 betroffen, zumindest gestaltet er eine Betroffenheit mit. pse_434.013 Die innere Erregung wird oft durch Geistesspiel abreagiert, pse_434.014 es kommt zu einer überraschenden Lösung. Aber gerade in pse_434.015 dem befreienden Lachen, in der Überraschung spürt man ein pse_434.016 Ich, das sich mit dem Problem abgegeben hat, fühlt man, daß pse_434.017 es sein Inneres angerührt hat, daß dieses Ich aus der Tiefe pse_434.018 heraus mit ihm fertig werden mußte. Grillparzer beginnt pse_434.019 einen Spruch mit dem Vers:
pse_434.020
Erscheint Freund Wagner auch auf der Bühne?
pse_434.021
Die Frage zeigt die Erregung, der Ausdruck »Freund« wirkt pse_434.022 zwiespältig, man spürt, daß ein Ich von der Tatsache betroffen pse_434.023 ist. (Nochmals sei gesagt, daß es natürlich nicht nötig ist, an pse_434.024 den konkreten Dichter Grillparzer zu denken. Ein Mensch pse_434.025 spricht sich hier aus, der von Wagners Erscheinen auf der pse_434.026 Bühne betroffen ist.) Der zweite Vers lautet:
pse_434.027
Ein magrer Geist mit einer Krinoline.
pse_434.028
Mit diesem Witz wird nun der Mensch mit der Lage fertig, pse_434.029 er tut sie ab, indem er sein Geistesspiel als geistige Überlegenheit pse_434.030 in ein scharfes sprachliches Bild prägt, in dem sogar pse_434.031 der »Geist« durch seine Sprachumwelt in merkwürdige Beleuchtung pse_434.032 gerät. Auf alle Fälle hat dem Sprecher der Tatbestand pse_434.033 Unruhe und Anregung verursacht. Unmittelbar ist pse_434.034 der Sprecher von einer Situation betroffen worden. Man kann pse_434.035 also den Spruch doch zur Lyrik rechnen. Denn auch in ihm pse_434.036 kommt es zur Gestaltung einer unmittelbaren Weltbewegung.
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wirklich auf. Der Aphorismus steht in Prosa, aber im Gehalt pse_434.003
nähert er sich sehr der Spruchdichtung. Nur fehlt ihm die pse_434.004
Hinaufführung ins Menschlich-Allgemeine, denn im Aphorismus pse_434.005
wirkt sich eine ganz individuelle Sicht und Aussage aus.
pse_434.006
Der Spruch als dichterische Form kann zur Lyrik gerechnet pse_434.007
werden. Denn auf alle Fälle verdichtet sich in ihm eine Welterfahrung: pse_434.008
irgendein Bereich des Inneren, des Lebens, der pse_434.009
Natur, der Kunst, Religion usw. tritt dem Dichter entgegen, pse_434.010
er nimmt ihn scharf in den Blick und spricht ihn klar und pse_434.011
knapp aus. Zugleich aber ist der Dichter von dieser Begegnung pse_434.012
betroffen, zumindest gestaltet er eine Betroffenheit mit. pse_434.013
Die innere Erregung wird oft durch Geistesspiel abreagiert, pse_434.014
es kommt zu einer überraschenden Lösung. Aber gerade in pse_434.015
dem befreienden Lachen, in der Überraschung spürt man ein pse_434.016
Ich, das sich mit dem Problem abgegeben hat, fühlt man, daß pse_434.017
es sein Inneres angerührt hat, daß dieses Ich aus der Tiefe pse_434.018
heraus mit ihm fertig werden mußte. Grillparzer beginnt pse_434.019
einen Spruch mit dem Vers:
pse_434.020
Erscheint Freund Wagner auch auf der Bühne?
pse_434.021
Die Frage zeigt die Erregung, der Ausdruck »Freund« wirkt pse_434.022
zwiespältig, man spürt, daß ein Ich von der Tatsache betroffen pse_434.023
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spricht sich hier aus, der von Wagners Erscheinen auf der pse_434.026
Bühne betroffen ist.) Der zweite Vers lautet:
pse_434.027
Ein magrer Geist mit einer Krinoline.
pse_434.028
Mit diesem Witz wird nun der Mensch mit der Lage fertig, pse_434.029
er tut sie ab, indem er sein Geistesspiel als geistige Überlegenheit pse_434.030
in ein scharfes sprachliches Bild prägt, in dem sogar pse_434.031
der »Geist« durch seine Sprachumwelt in merkwürdige Beleuchtung pse_434.032
gerät. Auf alle Fälle hat dem Sprecher der Tatbestand pse_434.033
Unruhe und Anregung verursacht. Unmittelbar ist pse_434.034
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also den Spruch doch zur Lyrik rechnen. Denn auch in ihm pse_434.036
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Wir haben hier den Spruch als eine besondere, klar abgegrenzte
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/450>, abgerufen am 22.11.2024.
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