pse_463.001 eben im Widerspruch zu den Gesetzlichkeiten steht, unter pse_463.002 denen sich uns die reale Welt anbietet. Wo jeder Bezug fehlt, pse_463.003 da verliert ein episches Werk seinen Anspruch auf Gültigkeit. pse_463.004 Es ergibt sich: Durch die sprachliche Gestaltung wird eine in pse_463.005 ihrem Zusammenhang von der Wirklichkeit außerhalb der pse_463.006 Sprache unabhängige Welt geschaffen, deren Glieder und pse_463.007 Aufbaugesetze aber Wirklichkeitsbezüge haben.
pse_463.008 Die andere Tatsache: die dichterische Welt ist eine Welt pse_463.009 für sich. Sie ist durch folgende, uns schon bekannte Züge gekennzeichnet: pse_463.010 eben durch diese Art des Wirklichkeitsbezugs, pse_463.011 die nur für Glieder und Elemente gilt. Die möglicherweise pse_463.012 zugrundeliegenden Wirklichkeiten, etwa die Voralpenlandschaft pse_463.013 mit bestimmten Orten im "Nachsommer", sind für das pse_463.014 Erleben des Erzählwerks belanglos. Höchstens kann ein pse_463.015 Vergleich in die Eigenarten und Geheimnisse der Erzählkunst pse_463.016 einführen. Auch der Ereigniszusammenhang in einem epischen pse_463.017 Werk wird vom Erzähler gebildet und aufgebaut, durch diesen pse_463.018 Aufbau entsteht ein Weltausschnitt dichterischer Art. Der pse_463.019 nächste kennzeichnende Zug der dichterischen Wirklichkeit pse_463.020 ist die Verwesentlichung -- wir haben davon schon gesprochen pse_463.021 (S. 71 ff.) -- und der dritte endlich die Tatsache, daß es sich pse_463.022 um eine menschliche Schöpfung handelt, in der menschliche pse_463.023 Züge immer aufgehoben bleiben (S. 78 ff.).
pse_463.024 Die Epik und die Dramatik heben sich in ihrer Gestaltung pse_463.025 einer Welt von der Lyrik ab (vgl. S. 355 ff.). Der Unterschied pse_463.026 besteht darin, daß die epische und die dramatische Welt eine pse_463.027 bestimmte Begebenheit eindeutig umrissener Art ist. Die pse_463.028 Lyrik hat das nicht nötig. Aber der Bezug zur außersprachlichen pse_463.029 Wirklichkeit ist in allen drei Gattungen belanglos. Es pse_463.030 scheint nicht nötig, für die Art der epischen und dramatischen pse_463.031 Welt den Ausdruck "Fiktion" zu gebrauchen, zumal in der pse_463.032 deutschen Sprache eben immer die Gefahr besteht, unter Fiktion pse_463.033 Erfundenes, Illusionen zu verstehen.
pse_463.034 Man kann verschiedene Arten des Erzählens unterscheiden. pse_463.035 Scheinbar nur nach der äußeren Form sondern sich Prosa- pse_463.036 und Verserzählung. Doch bliebe es oberflächlich, nicht mehr pse_463.037 dahinter zu sehen. Verserzählungen im weitesten Sinn erreichen pse_463.038 entsprechend dem Wesen der Versgestaltung einen
pse_463.001 eben im Widerspruch zu den Gesetzlichkeiten steht, unter pse_463.002 denen sich uns die reale Welt anbietet. Wo jeder Bezug fehlt, pse_463.003 da verliert ein episches Werk seinen Anspruch auf Gültigkeit. pse_463.004 Es ergibt sich: Durch die sprachliche Gestaltung wird eine in pse_463.005 ihrem Zusammenhang von der Wirklichkeit außerhalb der pse_463.006 Sprache unabhängige Welt geschaffen, deren Glieder und pse_463.007 Aufbaugesetze aber Wirklichkeitsbezüge haben.
pse_463.008 Die andere Tatsache: die dichterische Welt ist eine Welt pse_463.009 für sich. Sie ist durch folgende, uns schon bekannte Züge gekennzeichnet: pse_463.010 eben durch diese Art des Wirklichkeitsbezugs, pse_463.011 die nur für Glieder und Elemente gilt. Die möglicherweise pse_463.012 zugrundeliegenden Wirklichkeiten, etwa die Voralpenlandschaft pse_463.013 mit bestimmten Orten im »Nachsommer«, sind für das pse_463.014 Erleben des Erzählwerks belanglos. Höchstens kann ein pse_463.015 Vergleich in die Eigenarten und Geheimnisse der Erzählkunst pse_463.016 einführen. Auch der Ereigniszusammenhang in einem epischen pse_463.017 Werk wird vom Erzähler gebildet und aufgebaut, durch diesen pse_463.018 Aufbau entsteht ein Weltausschnitt dichterischer Art. Der pse_463.019 nächste kennzeichnende Zug der dichterischen Wirklichkeit pse_463.020 ist die Verwesentlichung — wir haben davon schon gesprochen pse_463.021 (S. 71 ff.) — und der dritte endlich die Tatsache, daß es sich pse_463.022 um eine menschliche Schöpfung handelt, in der menschliche pse_463.023 Züge immer aufgehoben bleiben (S. 78 ff.).
pse_463.024 Die Epik und die Dramatik heben sich in ihrer Gestaltung pse_463.025 einer Welt von der Lyrik ab (vgl. S. 355 ff.). Der Unterschied pse_463.026 besteht darin, daß die epische und die dramatische Welt eine pse_463.027 bestimmte Begebenheit eindeutig umrissener Art ist. Die pse_463.028 Lyrik hat das nicht nötig. Aber der Bezug zur außersprachlichen pse_463.029 Wirklichkeit ist in allen drei Gattungen belanglos. Es pse_463.030 scheint nicht nötig, für die Art der epischen und dramatischen pse_463.031 Welt den Ausdruck »Fiktion« zu gebrauchen, zumal in der pse_463.032 deutschen Sprache eben immer die Gefahr besteht, unter Fiktion pse_463.033 Erfundenes, Illusionen zu verstehen.
pse_463.034 Man kann verschiedene Arten des Erzählens unterscheiden. pse_463.035 Scheinbar nur nach der äußeren Form sondern sich Prosa- pse_463.036 und Verserzählung. Doch bliebe es oberflächlich, nicht mehr pse_463.037 dahinter zu sehen. Verserzählungen im weitesten Sinn erreichen pse_463.038 entsprechend dem Wesen der Versgestaltung einen
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eben im Widerspruch zu den Gesetzlichkeiten steht, unter pse_463.002
denen sich uns die reale Welt anbietet. Wo jeder Bezug fehlt, pse_463.003
da verliert ein episches Werk seinen Anspruch auf Gültigkeit. pse_463.004
Es ergibt sich: Durch die sprachliche Gestaltung wird eine in pse_463.005
ihrem Zusammenhang von der Wirklichkeit außerhalb der pse_463.006
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Aufbaugesetze aber Wirklichkeitsbezüge haben.
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Die andere Tatsache: die dichterische Welt ist eine Welt pse_463.009
für sich. Sie ist durch folgende, uns schon bekannte Züge gekennzeichnet: pse_463.010
eben durch diese Art des Wirklichkeitsbezugs, pse_463.011
die nur für Glieder und Elemente gilt. Die möglicherweise pse_463.012
zugrundeliegenden Wirklichkeiten, etwa die Voralpenlandschaft pse_463.013
mit bestimmten Orten im »Nachsommer«, sind für das pse_463.014
Erleben des Erzählwerks belanglos. Höchstens kann ein pse_463.015
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Aufbau entsteht ein Weltausschnitt dichterischer Art. Der pse_463.019
nächste kennzeichnende Zug der dichterischen Wirklichkeit pse_463.020
ist die Verwesentlichung — wir haben davon schon gesprochen pse_463.021
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um eine menschliche Schöpfung handelt, in der menschliche pse_463.023
Züge immer aufgehoben bleiben (S. 78 ff.).
pse_463.024
Die Epik und die Dramatik heben sich in ihrer Gestaltung pse_463.025
einer Welt von der Lyrik ab (vgl. S. 355 ff.). Der Unterschied pse_463.026
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bestimmte Begebenheit eindeutig umrissener Art ist. Die pse_463.028
Lyrik hat das nicht nötig. Aber der Bezug zur außersprachlichen pse_463.029
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und Verserzählung. Doch bliebe es oberflächlich, nicht mehr pse_463.037
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/479>, abgerufen am 22.11.2024.
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