pse_474.001 Grundhaltung des tatsächlichen Autors ein innerer Bestandteil pse_474.002 des epischen Werks wird. Aber wie stark der Erzähler als pse_474.003 Individuum hervortritt, ist wieder ganz verschieden: Im pse_474.004 Epos nicht so stark wie im Roman, bei Homer nicht so deutlich pse_474.005 wie in den Werken Sternes.
pse_474.006 Von hier aus gewinnen wir Zugang zu den Erzählstandpunkten pse_474.007 selbst. Einführend sei auf einige Möglichkeiten hingewiesen. pse_474.008 Der Erzähler kann als der Beherrscher des Ganzen pse_474.009 auftreten: er überblickt von Anfang an alles, gruppiert nach pse_474.010 seinem Ermessen, kennt das geheimste Innere der von ihm pse_474.011 geschaffenen Personen und weiß sogar um die Zukunft. Er pse_474.012 kann sich aber auch einschränken: er erzählt nur das, was auch pse_474.013 den Personen jeweils bewußt sein kann, also nur ihre Wirklichkeit. pse_474.014 Er kann auch so tun, als ob ihm das Innere der Personen pse_474.015 verschlossen wäre, er schildert nur das äußere Gehaben, pse_474.016 aber so, daß man das Innere daraus erschließen kann. Das tut pse_474.017 z. B. Stifter im "Witiko". Wenn er aber gleichsam ins Innere pse_474.018 einer Person hineinkriecht, dann wird die Außenwelt nicht pse_474.019 mehr in ihrer Tatsächlichkeit in bezug auf die Personen gestaltet, pse_474.020 sondern als von einer bestimmten Person erlebt und pse_474.021 daher gefärbt. Diese verschiedenen Möglichkeiten kann man pse_474.022 zunächst auf zwei Typen zurückführen: entweder liegt das pse_474.023 Wahrnehmungszentrum im Erzähler, er gestaltet so, wie er pse_474.024 das Ganze sieht, überschaut, wertet und erlebt. Oder das pse_474.025 Wahrnehmungszentrum liegt im Bewußtsein einer Person der pse_474.026 Erzählung. Dann gewinnen Vorgang, Weltsicht und die pse_474.027 anderen Personen eine bestimmte Färbung von dem Bewußtsein pse_474.028 dieser Person aus. Dabei läßt sich ein geschichtlicher Weg pse_474.029 beobachten. Die erste Art liegt entwicklungsgeschichtlich pse_474.030 vor der zweiten; aber sie hört natürlich mit dem Beginn der pse_474.031 zweiten nicht auf. Mit anderen Worten: die Möglichkeiten pse_474.032 erzählerischen Gestaltens sind heute reicher als früher. Auf pse_474.033 dem Weg von der ersten zur zweiten Art gibt es noch dazu pse_474.034 viele Übergänge. Faßt man diese Grenzmöglichkeiten und pse_474.035 eine besonders markante Übergangsstelle als isolierte Typen, pse_474.036 so ergeben sich drei ausgezeichnete Erzählstandpunkte als pse_474.037 besonders markierte Möglichkeiten. Ob sich noch andere pse_474.038 entwickeln können oder ob man auch anders gruppieren
pse_474.001 Grundhaltung des tatsächlichen Autors ein innerer Bestandteil pse_474.002 des epischen Werks wird. Aber wie stark der Erzähler als pse_474.003 Individuum hervortritt, ist wieder ganz verschieden: Im pse_474.004 Epos nicht so stark wie im Roman, bei Homer nicht so deutlich pse_474.005 wie in den Werken Sternes.
pse_474.006 Von hier aus gewinnen wir Zugang zu den Erzählstandpunkten pse_474.007 selbst. Einführend sei auf einige Möglichkeiten hingewiesen. pse_474.008 Der Erzähler kann als der Beherrscher des Ganzen pse_474.009 auftreten: er überblickt von Anfang an alles, gruppiert nach pse_474.010 seinem Ermessen, kennt das geheimste Innere der von ihm pse_474.011 geschaffenen Personen und weiß sogar um die Zukunft. Er pse_474.012 kann sich aber auch einschränken: er erzählt nur das, was auch pse_474.013 den Personen jeweils bewußt sein kann, also nur ihre Wirklichkeit. pse_474.014 Er kann auch so tun, als ob ihm das Innere der Personen pse_474.015 verschlossen wäre, er schildert nur das äußere Gehaben, pse_474.016 aber so, daß man das Innere daraus erschließen kann. Das tut pse_474.017 z. B. Stifter im »Witiko«. Wenn er aber gleichsam ins Innere pse_474.018 einer Person hineinkriecht, dann wird die Außenwelt nicht pse_474.019 mehr in ihrer Tatsächlichkeit in bezug auf die Personen gestaltet, pse_474.020 sondern als von einer bestimmten Person erlebt und pse_474.021 daher gefärbt. Diese verschiedenen Möglichkeiten kann man pse_474.022 zunächst auf zwei Typen zurückführen: entweder liegt das pse_474.023 Wahrnehmungszentrum im Erzähler, er gestaltet so, wie er pse_474.024 das Ganze sieht, überschaut, wertet und erlebt. Oder das pse_474.025 Wahrnehmungszentrum liegt im Bewußtsein einer Person der pse_474.026 Erzählung. Dann gewinnen Vorgang, Weltsicht und die pse_474.027 anderen Personen eine bestimmte Färbung von dem Bewußtsein pse_474.028 dieser Person aus. Dabei läßt sich ein geschichtlicher Weg pse_474.029 beobachten. Die erste Art liegt entwicklungsgeschichtlich pse_474.030 vor der zweiten; aber sie hört natürlich mit dem Beginn der pse_474.031 zweiten nicht auf. Mit anderen Worten: die Möglichkeiten pse_474.032 erzählerischen Gestaltens sind heute reicher als früher. Auf pse_474.033 dem Weg von der ersten zur zweiten Art gibt es noch dazu pse_474.034 viele Übergänge. Faßt man diese Grenzmöglichkeiten und pse_474.035 eine besonders markante Übergangsstelle als isolierte Typen, pse_474.036 so ergeben sich drei ausgezeichnete Erzählstandpunkte als pse_474.037 besonders markierte Möglichkeiten. Ob sich noch andere pse_474.038 entwickeln können oder ob man auch anders gruppieren
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0490"n="474"/><lbn="pse_474.001"/>
Grundhaltung des tatsächlichen Autors ein innerer Bestandteil <lbn="pse_474.002"/>
des epischen Werks wird. Aber wie stark der Erzähler als <lbn="pse_474.003"/>
Individuum hervortritt, ist wieder ganz verschieden: Im <lbn="pse_474.004"/>
Epos nicht so stark wie im Roman, bei Homer nicht so deutlich <lbn="pse_474.005"/>
wie in den Werken Sternes.</p><p><lbn="pse_474.006"/>
Von hier aus gewinnen wir Zugang zu den Erzählstandpunkten <lbn="pse_474.007"/>
selbst. Einführend sei auf einige Möglichkeiten hingewiesen. <lbn="pse_474.008"/>
Der Erzähler kann als der Beherrscher des Ganzen <lbn="pse_474.009"/>
auftreten: er überblickt von Anfang an alles, gruppiert nach <lbn="pse_474.010"/>
seinem Ermessen, kennt das geheimste Innere der von ihm <lbn="pse_474.011"/>
geschaffenen Personen und weiß sogar um die Zukunft. Er <lbn="pse_474.012"/>
kann sich aber auch einschränken: er erzählt nur das, was auch <lbn="pse_474.013"/>
den Personen jeweils bewußt sein kann, also nur ihre Wirklichkeit. <lbn="pse_474.014"/>
Er kann auch so tun, als ob ihm das Innere der Personen <lbn="pse_474.015"/>
verschlossen wäre, er schildert nur das äußere Gehaben, <lbn="pse_474.016"/>
aber so, daß man das Innere daraus erschließen kann. Das tut <lbn="pse_474.017"/>
z. B. Stifter im »Witiko«. Wenn er aber gleichsam ins Innere <lbn="pse_474.018"/>
einer Person hineinkriecht, dann wird die Außenwelt nicht <lbn="pse_474.019"/>
mehr in ihrer Tatsächlichkeit in bezug auf die Personen gestaltet, <lbn="pse_474.020"/>
sondern als von einer bestimmten Person erlebt und <lbn="pse_474.021"/>
daher gefärbt. Diese verschiedenen Möglichkeiten kann man <lbn="pse_474.022"/>
zunächst auf zwei Typen zurückführen: entweder liegt das <lbn="pse_474.023"/>
Wahrnehmungszentrum im Erzähler, er gestaltet so, wie er <lbn="pse_474.024"/>
das Ganze sieht, überschaut, wertet und erlebt. Oder das <lbn="pse_474.025"/>
Wahrnehmungszentrum liegt im Bewußtsein einer Person der <lbn="pse_474.026"/>
Erzählung. Dann gewinnen Vorgang, Weltsicht und die <lbn="pse_474.027"/>
anderen Personen eine bestimmte Färbung von dem Bewußtsein <lbn="pse_474.028"/>
dieser Person aus. Dabei läßt sich ein geschichtlicher Weg <lbn="pse_474.029"/>
beobachten. Die erste Art liegt entwicklungsgeschichtlich <lbn="pse_474.030"/>
vor der zweiten; aber sie hört natürlich mit dem Beginn der <lbn="pse_474.031"/>
zweiten nicht auf. Mit anderen Worten: die Möglichkeiten <lbn="pse_474.032"/>
erzählerischen Gestaltens sind heute reicher als früher. Auf <lbn="pse_474.033"/>
dem Weg von der ersten zur zweiten Art gibt es noch dazu <lbn="pse_474.034"/>
viele Übergänge. Faßt man diese Grenzmöglichkeiten und <lbn="pse_474.035"/>
eine besonders markante Übergangsstelle als isolierte Typen, <lbn="pse_474.036"/>
so ergeben sich drei ausgezeichnete Erzählstandpunkte als <lbn="pse_474.037"/>
besonders markierte Möglichkeiten. Ob sich noch andere <lbn="pse_474.038"/>
entwickeln können oder ob man auch anders gruppieren
</p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[474/0490]
pse_474.001
Grundhaltung des tatsächlichen Autors ein innerer Bestandteil pse_474.002
des epischen Werks wird. Aber wie stark der Erzähler als pse_474.003
Individuum hervortritt, ist wieder ganz verschieden: Im pse_474.004
Epos nicht so stark wie im Roman, bei Homer nicht so deutlich pse_474.005
wie in den Werken Sternes.
pse_474.006
Von hier aus gewinnen wir Zugang zu den Erzählstandpunkten pse_474.007
selbst. Einführend sei auf einige Möglichkeiten hingewiesen. pse_474.008
Der Erzähler kann als der Beherrscher des Ganzen pse_474.009
auftreten: er überblickt von Anfang an alles, gruppiert nach pse_474.010
seinem Ermessen, kennt das geheimste Innere der von ihm pse_474.011
geschaffenen Personen und weiß sogar um die Zukunft. Er pse_474.012
kann sich aber auch einschränken: er erzählt nur das, was auch pse_474.013
den Personen jeweils bewußt sein kann, also nur ihre Wirklichkeit. pse_474.014
Er kann auch so tun, als ob ihm das Innere der Personen pse_474.015
verschlossen wäre, er schildert nur das äußere Gehaben, pse_474.016
aber so, daß man das Innere daraus erschließen kann. Das tut pse_474.017
z. B. Stifter im »Witiko«. Wenn er aber gleichsam ins Innere pse_474.018
einer Person hineinkriecht, dann wird die Außenwelt nicht pse_474.019
mehr in ihrer Tatsächlichkeit in bezug auf die Personen gestaltet, pse_474.020
sondern als von einer bestimmten Person erlebt und pse_474.021
daher gefärbt. Diese verschiedenen Möglichkeiten kann man pse_474.022
zunächst auf zwei Typen zurückführen: entweder liegt das pse_474.023
Wahrnehmungszentrum im Erzähler, er gestaltet so, wie er pse_474.024
das Ganze sieht, überschaut, wertet und erlebt. Oder das pse_474.025
Wahrnehmungszentrum liegt im Bewußtsein einer Person der pse_474.026
Erzählung. Dann gewinnen Vorgang, Weltsicht und die pse_474.027
anderen Personen eine bestimmte Färbung von dem Bewußtsein pse_474.028
dieser Person aus. Dabei läßt sich ein geschichtlicher Weg pse_474.029
beobachten. Die erste Art liegt entwicklungsgeschichtlich pse_474.030
vor der zweiten; aber sie hört natürlich mit dem Beginn der pse_474.031
zweiten nicht auf. Mit anderen Worten: die Möglichkeiten pse_474.032
erzählerischen Gestaltens sind heute reicher als früher. Auf pse_474.033
dem Weg von der ersten zur zweiten Art gibt es noch dazu pse_474.034
viele Übergänge. Faßt man diese Grenzmöglichkeiten und pse_474.035
eine besonders markante Übergangsstelle als isolierte Typen, pse_474.036
so ergeben sich drei ausgezeichnete Erzählstandpunkte als pse_474.037
besonders markierte Möglichkeiten. Ob sich noch andere pse_474.038
entwickeln können oder ob man auch anders gruppieren
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/490>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.