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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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der Mensch aus seinen Funktionen herausgehoben sei und an pse_526.002
sich sein könne. Es bleibt aber doch die Frage, ob hier nicht pse_526.003
ein zu eng begrenzter Begriff des Epos zugrunde liegt. Das pse_526.004
Entscheidende ist die dichterische Leistung, der epische Bau pse_526.005
einer sinnhaften Weltganzheit. Warum sollte dem großen pse_526.006
epischen Dichter nicht die Gestaltung und Entfaltung eines pse_526.007
umfangreichen und umfassenden Vorgangs möglich sein, in pse_526.008
dem zugleich ein Weltbild in seiner Geordnetheit und Ganzheit pse_526.009
lebendig wird? Fragwürdig wird allerdings die Gestaltung pse_526.010
eines Epos, wenn das Menschenbild sich stark ändert pse_526.011
und der Glaube an eine sinnvolle Welteinheit verlorengeht.

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Die Stellung des Menschen ist im Epos genau festgelegt: er pse_526.013
ist als innerlich reich entfaltetes Glied dem Kosmos eingefügt, pse_526.014
die Menschen bilden im Epos eine Lebensgemeinschaft von pse_526.015
Persönlichkeiten, nicht eine Masse, keine Nummern in einem pse_526.016
Kollektiv. Die Menschen eines Epos sind gekennzeichnet pse_526.017
durch innere Fülle des Daseins. Sie sind ein in sich gerundeter pse_526.018
und vollendeter Organismus.

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Auch der Erzähler eines Epos hat eine ganz bestimmte Haltung, pse_526.020
die ihn vom Romanerzähler unterscheidet und damit pse_526.021
auch das Epos selbst vom Roman. Der Erzähler des Epos ist pse_526.022
auch in das kosmische Weltgefüge eingebaut, das im Epos pse_526.023
entfaltet wird. Er verehrt es als höchste Gegebenheit. Zugleich pse_526.024
aber ist er, gerade wegen dieses Hinnehmens der Welt pse_526.025
als solchen Kosmos, im Erzählen fähig, sich von ihm zu distanzieren, pse_526.026
ihn ehrfürchtig als großes Gebilde vollkommen pse_526.027
objektiv zu sehen. Diese objektive Haltung bedeutet nicht pse_526.028
Kühle; schon in der Ehrfurcht liegt Ergriffenheit, die aber pse_526.029
nicht so weit geht, die einzelnen Phasen und Episoden in pse_526.030
wechselnder Stimmung mitzuerleben. Es bleibt bei einer pse_526.031
durchgehenden Haltung, die man deshalb auch Gleichmut pse_526.032
nennen kann. Damit ist zugleich gegeben, daß im Epos der pse_526.033
Erzählstandpunkt nicht wechselt. Trotzdem aber macht sich pse_526.034
auch hier ein Erzähler bemerkbar. Wir erkennen ihn daran, daß pse_526.035
ohne Zweifel in der Art des Erzählens und im Weltbild zwischen pse_526.036
Homer, Vergil, Dante, Milton und Klopstock wesentliche pse_526.037
Unterschiede bestehen. Sie gehen nicht bloß auf die pse_526.038
großen Unterschiede der geistesgeschichtlichen und weltanschaulichen

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der Mensch aus seinen Funktionen herausgehoben sei und an pse_526.002
sich sein könne. Es bleibt aber doch die Frage, ob hier nicht pse_526.003
ein zu eng begrenzter Begriff des Epos zugrunde liegt. Das pse_526.004
Entscheidende ist die dichterische Leistung, der epische Bau pse_526.005
einer sinnhaften Weltganzheit. Warum sollte dem großen pse_526.006
epischen Dichter nicht die Gestaltung und Entfaltung eines pse_526.007
umfangreichen und umfassenden Vorgangs möglich sein, in pse_526.008
dem zugleich ein Weltbild in seiner Geordnetheit und Ganzheit pse_526.009
lebendig wird? Fragwürdig wird allerdings die Gestaltung pse_526.010
eines Epos, wenn das Menschenbild sich stark ändert pse_526.011
und der Glaube an eine sinnvolle Welteinheit verlorengeht.

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Die Stellung des Menschen ist im Epos genau festgelegt: er pse_526.013
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die Menschen bilden im Epos eine Lebensgemeinschaft von pse_526.015
Persönlichkeiten, nicht eine Masse, keine Nummern in einem pse_526.016
Kollektiv. Die Menschen eines Epos sind gekennzeichnet pse_526.017
durch innere Fülle des Daseins. Sie sind ein in sich gerundeter pse_526.018
und vollendeter Organismus.

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Auch der Erzähler eines Epos hat eine ganz bestimmte Haltung, pse_526.020
die ihn vom Romanerzähler unterscheidet und damit pse_526.021
auch das Epos selbst vom Roman. Der Erzähler des Epos ist pse_526.022
auch in das kosmische Weltgefüge eingebaut, das im Epos pse_526.023
entfaltet wird. Er verehrt es als höchste Gegebenheit. Zugleich pse_526.024
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als solchen Kosmos, im Erzählen fähig, sich von ihm zu distanzieren, pse_526.026
ihn ehrfürchtig als großes Gebilde vollkommen pse_526.027
objektiv zu sehen. Diese objektive Haltung bedeutet nicht pse_526.028
Kühle; schon in der Ehrfurcht liegt Ergriffenheit, die aber pse_526.029
nicht so weit geht, die einzelnen Phasen und Episoden in pse_526.030
wechselnder Stimmung mitzuerleben. Es bleibt bei einer pse_526.031
durchgehenden Haltung, die man deshalb auch Gleichmut pse_526.032
nennen kann. Damit ist zugleich gegeben, daß im Epos der pse_526.033
Erzählstandpunkt nicht wechselt. Trotzdem aber macht sich pse_526.034
auch hier ein Erzähler bemerkbar. Wir erkennen ihn daran, daß pse_526.035
ohne Zweifel in der Art des Erzählens und im Weltbild zwischen pse_526.036
Homer, Vergil, Dante, Milton und Klopstock wesentliche pse_526.037
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/542>, abgerufen am 23.11.2024.