pse_528.001 Weltteilung zwischen den drei Göttern Zeus, Hades und pse_528.002 Poseidon und öffnet damit einen neuen Blick in den Bau der pse_528.003 Welt und in ihre Lenkung. Ständige Weltweitung ist also das pse_528.004 Strukturprinzip, nach dem das Geschehen des Epos angelegt pse_528.005 ist. Das gilt auch für Milton, Klopstock und Wolfram. Was pse_528.006 dabei mit dem Helden oder den Figuren geschieht, ist eher pse_528.007 sekundär. Vielleicht haben wir hier eine Gesetzlichkeit, die pse_528.008 dem Epos ein schärferes Gesicht gibt. Es kommt also bei den pse_528.009 großepischen Dichtungen darauf an, ob ihr Geschehen eine pse_528.010 fortschreitende Weltweitung erzeugt oder den Helden in pse_528.011 bestimmter Weise entfaltet.
pse_528.012 Trotz diesen gleichbleibenden Zügen kann man verschiedene pse_528.013 Bauformen in den Epen unterscheiden. Es wäre wohl pse_528.014 auch da einseitig, nur eine als wesentlich anzusehen. Eine pse_528.015 Form könnte man die anreihende Geschehnisdarstellung nennen. pse_528.016 In der "Ilias" ist zwar ein Ausgangspunkt gegeben: der pse_528.017 Groll des Achilleus über Agamemnons Handlungsweise. pse_528.018 Aber es kommt doch darauf hinaus, daß im Laufe der Kämpfe pse_528.019 um Troja durch die Gestalten und Ereignisse, durch den pse_528.020 dauernden Wechsel des Schlachtglücks, durch das Eingreifen pse_528.021 und die Haltung der Götter ein immer volleres Bild dieser pse_528.022 Menschen- und Götterwelt sich vor uns entfaltet. Es ist eine pse_528.023 ständige Anreicherung von verhältnismäßig selbständigen pse_528.024 Episoden. Ein wirklicher Abschluß des Vorgangs fehlt, das pse_528.025 Gedicht hört einfach auf. Ganz anders ist die Anlage, wenn pse_528.026 ein Ziel erscheint. In der "Odyssee" wird gleich zu Anfang pse_528.027 klar, daß Odysseus wieder in die Heimat kommen wird. pse_528.028 Damit ist ein Zielpunkt gegeben, aber innerhalb dieser Bewegung pse_528.029 entfalten sich nun die Episoden wieder in größter pse_528.030 Fülle, daß man oft das Ende aus dem Auge verliert. Ähnlich pse_528.031 ist es in der "Äneis", die ja von vornherein vom Dichter pse_528.032 planmäßig auf die Gründung Roms hin angelegt ist. Aber pse_528.033 auch hier begegnet die reiche Entfaltung von verhältnismäßig pse_528.034 selbständigen Teilvorgängen. Wieder anders ist das Nibelungenlied pse_528.035 aufgebaut. Es handelt sich nicht um die Tatsache, pse_528.036 daß es aus zwei Sagenkreisen entstanden ist, sondern wie der pse_528.037 Dichter diese Zweiteiligkeit doch zu einer großen Einheit pse_528.038 verschmilzt. Es ist ein großes Geschehen, in dem sich eins aus
pse_528.001 Weltteilung zwischen den drei Göttern Zeus, Hades und pse_528.002 Poseidon und öffnet damit einen neuen Blick in den Bau der pse_528.003 Welt und in ihre Lenkung. Ständige Weltweitung ist also das pse_528.004 Strukturprinzip, nach dem das Geschehen des Epos angelegt pse_528.005 ist. Das gilt auch für Milton, Klopstock und Wolfram. Was pse_528.006 dabei mit dem Helden oder den Figuren geschieht, ist eher pse_528.007 sekundär. Vielleicht haben wir hier eine Gesetzlichkeit, die pse_528.008 dem Epos ein schärferes Gesicht gibt. Es kommt also bei den pse_528.009 großepischen Dichtungen darauf an, ob ihr Geschehen eine pse_528.010 fortschreitende Weltweitung erzeugt oder den Helden in pse_528.011 bestimmter Weise entfaltet.
pse_528.012 Trotz diesen gleichbleibenden Zügen kann man verschiedene pse_528.013 Bauformen in den Epen unterscheiden. Es wäre wohl pse_528.014 auch da einseitig, nur eine als wesentlich anzusehen. Eine pse_528.015 Form könnte man die anreihende Geschehnisdarstellung nennen. pse_528.016 In der »Ilias« ist zwar ein Ausgangspunkt gegeben: der pse_528.017 Groll des Achilleus über Agamemnons Handlungsweise. pse_528.018 Aber es kommt doch darauf hinaus, daß im Laufe der Kämpfe pse_528.019 um Troja durch die Gestalten und Ereignisse, durch den pse_528.020 dauernden Wechsel des Schlachtglücks, durch das Eingreifen pse_528.021 und die Haltung der Götter ein immer volleres Bild dieser pse_528.022 Menschen- und Götterwelt sich vor uns entfaltet. Es ist eine pse_528.023 ständige Anreicherung von verhältnismäßig selbständigen pse_528.024 Episoden. Ein wirklicher Abschluß des Vorgangs fehlt, das pse_528.025 Gedicht hört einfach auf. Ganz anders ist die Anlage, wenn pse_528.026 ein Ziel erscheint. In der »Odyssee« wird gleich zu Anfang pse_528.027 klar, daß Odysseus wieder in die Heimat kommen wird. pse_528.028 Damit ist ein Zielpunkt gegeben, aber innerhalb dieser Bewegung pse_528.029 entfalten sich nun die Episoden wieder in größter pse_528.030 Fülle, daß man oft das Ende aus dem Auge verliert. Ähnlich pse_528.031 ist es in der »Äneis«, die ja von vornherein vom Dichter pse_528.032 planmäßig auf die Gründung Roms hin angelegt ist. Aber pse_528.033 auch hier begegnet die reiche Entfaltung von verhältnismäßig pse_528.034 selbständigen Teilvorgängen. Wieder anders ist das Nibelungenlied pse_528.035 aufgebaut. Es handelt sich nicht um die Tatsache, pse_528.036 daß es aus zwei Sagenkreisen entstanden ist, sondern wie der pse_528.037 Dichter diese Zweiteiligkeit doch zu einer großen Einheit pse_528.038 verschmilzt. Es ist ein großes Geschehen, in dem sich eins aus
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Welt und in ihre Lenkung. Ständige Weltweitung ist also das pse_528.004
Strukturprinzip, nach dem das Geschehen des Epos angelegt pse_528.005
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dabei mit dem Helden oder den Figuren geschieht, ist eher pse_528.007
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dem Epos ein schärferes Gesicht gibt. Es kommt also bei den pse_528.009
großepischen Dichtungen darauf an, ob ihr Geschehen eine pse_528.010
fortschreitende Weltweitung erzeugt oder den Helden in pse_528.011
bestimmter Weise entfaltet.
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Trotz diesen gleichbleibenden Zügen kann man verschiedene pse_528.013
Bauformen in den Epen unterscheiden. Es wäre wohl pse_528.014
auch da einseitig, nur eine als wesentlich anzusehen. Eine pse_528.015
Form könnte man die anreihende Geschehnisdarstellung nennen. pse_528.016
In der »Ilias« ist zwar ein Ausgangspunkt gegeben: der pse_528.017
Groll des Achilleus über Agamemnons Handlungsweise. pse_528.018
Aber es kommt doch darauf hinaus, daß im Laufe der Kämpfe pse_528.019
um Troja durch die Gestalten und Ereignisse, durch den pse_528.020
dauernden Wechsel des Schlachtglücks, durch das Eingreifen pse_528.021
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Menschen- und Götterwelt sich vor uns entfaltet. Es ist eine pse_528.023
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entfalten sich nun die Episoden wieder in größter pse_528.030
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ist es in der »Äneis«, die ja von vornherein vom Dichter pse_528.032
planmäßig auf die Gründung Roms hin angelegt ist. Aber pse_528.033
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/544>, abgerufen am 23.11.2024.
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