pse_539.001 heraus an eine bestimmte Stelle im Roman sinnhaft gebunden, pse_539.002 man könnte sie auch vertauschen.
pse_539.003 Mit der Säkularisierung der Aufklärungszeit, mit der fortschreitenden pse_539.004 Psychologisierung des Menschenbildes wandelt pse_539.005 sich auch die Romanform. Der Mensch ist jetzt ein in sich geschlossenes, pse_539.006 selbständiges Wesen, in sich determiniert. Die pse_539.007 Außenwelt, nicht mehr die Überwelt, ruft eine Entwicklung pse_539.008 im Inneren des Menschen hervor, indem er sich mit ihr ständig pse_539.009 auseinandersetzt und dabei seine Art ausbildet. Die pse_539.010 höchste Form erreicht in dieser Hinsicht der Bildungsroman, pse_539.011 der das Heranwachsen einer Persönlichkeit in der Auseinandersetzung pse_539.012 mit der Welt gestaltet. Der Liberalismus des pse_539.013 19. Jahrhunderts übersteigert noch die Selbstbestimmtheit des pse_539.014 Individuums. Aus solchem Menschenbild entsteht eine durchgehende, pse_539.015 klare Linie des Geschehnisablaufes, der nur selten pse_539.016 und in verhältnismäßig kurzen Teilen zu Rahmungen, Rückgriffen pse_539.017 und Umschichtungen greift. Vielleicht ist die Umwandlung pse_539.018 der ersten in die zweite Fassung von Kellers pse_539.019 "Grünem Heinrich" bezeichnend für dieses Menschenbild, pse_539.020 auch in der Form des Romanablaufs. Nur in der Romantik pse_539.021 sind Ausnahmen zu beobachten; aber zugleich ist da auch pse_539.022 das Menschenbild durch die Ausrichtung alles Seins auf ein pse_539.023 Höheres, Hintergründiges wesentlich anders.
pse_539.024 Die moderne Welt unseres Jahrhunderts hat auch ein pse_539.025 anderes Menschenbild geschaffen. Ganz allgemein ist es gekennzeichnet pse_539.026 durch die Fragwürdigkeit alles Kreatürlichen, pse_539.027 der Welt und des Menschen im Anblick der furchtbaren pse_539.028 Katastrophen der Zeit. Die Psychologisierung, die den Entwicklungsroman pse_539.029 des 19. Jahrhunderts immer mehr bestimmt pse_539.030 hat, tritt jetzt gänzlich zurück. Denn diese Psychologie war pse_539.031 geschaffen für ein Einzelwesen, dessen Eigentliches sich in pse_539.032 seinem klaren Bewußtsein abspielte. Nun aber wandelte sich pse_539.033 das Menschenbild entscheidend in zweifacher Richtung. Einmal pse_539.034 wurde der Mensch immer deutlicher in die mannigfachsten pse_539.035 Kollektive eingespannt. Man überlege, zu wie vielen pse_539.036 Gemeinschaften, Gesellschaften, Genossenschaften, Vereinen pse_539.037 und Verbänden ein normaler Mensch unserer Zeit gehört und pse_539.038 teilweise gehören muß. Der Mensch wird immer mehr ein
pse_539.001 heraus an eine bestimmte Stelle im Roman sinnhaft gebunden, pse_539.002 man könnte sie auch vertauschen.
pse_539.003 Mit der Säkularisierung der Aufklärungszeit, mit der fortschreitenden pse_539.004 Psychologisierung des Menschenbildes wandelt pse_539.005 sich auch die Romanform. Der Mensch ist jetzt ein in sich geschlossenes, pse_539.006 selbständiges Wesen, in sich determiniert. Die pse_539.007 Außenwelt, nicht mehr die Überwelt, ruft eine Entwicklung pse_539.008 im Inneren des Menschen hervor, indem er sich mit ihr ständig pse_539.009 auseinandersetzt und dabei seine Art ausbildet. Die pse_539.010 höchste Form erreicht in dieser Hinsicht der Bildungsroman, pse_539.011 der das Heranwachsen einer Persönlichkeit in der Auseinandersetzung pse_539.012 mit der Welt gestaltet. Der Liberalismus des pse_539.013 19. Jahrhunderts übersteigert noch die Selbstbestimmtheit des pse_539.014 Individuums. Aus solchem Menschenbild entsteht eine durchgehende, pse_539.015 klare Linie des Geschehnisablaufes, der nur selten pse_539.016 und in verhältnismäßig kurzen Teilen zu Rahmungen, Rückgriffen pse_539.017 und Umschichtungen greift. Vielleicht ist die Umwandlung pse_539.018 der ersten in die zweite Fassung von Kellers pse_539.019 »Grünem Heinrich« bezeichnend für dieses Menschenbild, pse_539.020 auch in der Form des Romanablaufs. Nur in der Romantik pse_539.021 sind Ausnahmen zu beobachten; aber zugleich ist da auch pse_539.022 das Menschenbild durch die Ausrichtung alles Seins auf ein pse_539.023 Höheres, Hintergründiges wesentlich anders.
pse_539.024 Die moderne Welt unseres Jahrhunderts hat auch ein pse_539.025 anderes Menschenbild geschaffen. Ganz allgemein ist es gekennzeichnet pse_539.026 durch die Fragwürdigkeit alles Kreatürlichen, pse_539.027 der Welt und des Menschen im Anblick der furchtbaren pse_539.028 Katastrophen der Zeit. Die Psychologisierung, die den Entwicklungsroman pse_539.029 des 19. Jahrhunderts immer mehr bestimmt pse_539.030 hat, tritt jetzt gänzlich zurück. Denn diese Psychologie war pse_539.031 geschaffen für ein Einzelwesen, dessen Eigentliches sich in pse_539.032 seinem klaren Bewußtsein abspielte. Nun aber wandelte sich pse_539.033 das Menschenbild entscheidend in zweifacher Richtung. Einmal pse_539.034 wurde der Mensch immer deutlicher in die mannigfachsten pse_539.035 Kollektive eingespannt. Man überlege, zu wie vielen pse_539.036 Gemeinschaften, Gesellschaften, Genossenschaften, Vereinen pse_539.037 und Verbänden ein normaler Mensch unserer Zeit gehört und pse_539.038 teilweise gehören muß. Der Mensch wird immer mehr ein
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Psychologisierung des Menschenbildes wandelt pse_539.005
sich auch die Romanform. Der Mensch ist jetzt ein in sich geschlossenes, pse_539.006
selbständiges Wesen, in sich determiniert. Die pse_539.007
Außenwelt, nicht mehr die Überwelt, ruft eine Entwicklung pse_539.008
im Inneren des Menschen hervor, indem er sich mit ihr ständig pse_539.009
auseinandersetzt und dabei seine Art ausbildet. Die pse_539.010
höchste Form erreicht in dieser Hinsicht der Bildungsroman, pse_539.011
der das Heranwachsen einer Persönlichkeit in der Auseinandersetzung pse_539.012
mit der Welt gestaltet. Der Liberalismus des pse_539.013
19. Jahrhunderts übersteigert noch die Selbstbestimmtheit des pse_539.014
Individuums. Aus solchem Menschenbild entsteht eine durchgehende, pse_539.015
klare Linie des Geschehnisablaufes, der nur selten pse_539.016
und in verhältnismäßig kurzen Teilen zu Rahmungen, Rückgriffen pse_539.017
und Umschichtungen greift. Vielleicht ist die Umwandlung pse_539.018
der ersten in die zweite Fassung von Kellers pse_539.019
»Grünem Heinrich« bezeichnend für dieses Menschenbild, pse_539.020
auch in der Form des Romanablaufs. Nur in der Romantik pse_539.021
sind Ausnahmen zu beobachten; aber zugleich ist da auch pse_539.022
das Menschenbild durch die Ausrichtung alles Seins auf ein pse_539.023
Höheres, Hintergründiges wesentlich anders.
pse_539.024
Die moderne Welt unseres Jahrhunderts hat auch ein pse_539.025
anderes Menschenbild geschaffen. Ganz allgemein ist es gekennzeichnet pse_539.026
durch die Fragwürdigkeit alles Kreatürlichen, pse_539.027
der Welt und des Menschen im Anblick der furchtbaren pse_539.028
Katastrophen der Zeit. Die Psychologisierung, die den Entwicklungsroman pse_539.029
des 19. Jahrhunderts immer mehr bestimmt pse_539.030
hat, tritt jetzt gänzlich zurück. Denn diese Psychologie war pse_539.031
geschaffen für ein Einzelwesen, dessen Eigentliches sich in pse_539.032
seinem klaren Bewußtsein abspielte. Nun aber wandelte sich pse_539.033
das Menschenbild entscheidend in zweifacher Richtung. Einmal pse_539.034
wurde der Mensch immer deutlicher in die mannigfachsten pse_539.035
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Gemeinschaften, Gesellschaften, Genossenschaften, Vereinen pse_539.037
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teilweise gehören muß. Der Mensch wird immer mehr ein
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/555>, abgerufen am 22.11.2024.
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