pse_541.001 es hineinzustellen in die Fülle menschlicher und pse_541.002 dinglicher Bezüge des Alltags, es wirbelt in modernen Romanen pse_541.003 vielfach nur mehr eine Gesellschaftswelt vor uns pse_541.004 vorüber. Meisterhaft ist das Doderer in der "Strudlhofstiege" pse_541.005 gelungen. Der Blick in die Seelengründe aber, der nun Geheimstes pse_541.006 ans Tageslicht zieht, führt der künstlerischen Gestaltung pse_541.007 ganz neue Bereiche zu: die Bewußtseinsbewegungen, pse_541.008 das Unterbewußte, den Durchstoß zu außerzeitlichen Daseinsgründen. pse_541.009 Das ergibt neue Möglichkeiten des Aufbaus, pse_541.010 der Zeitschichtung und der Perspektiven.
pse_541.011 2. Wir sind damit schon zu den Fragen der künstlerischen pse_541.012 Gestaltung des Romans gekommen. Wieder ergibt schon der pse_541.013 Vergleich mit dem Epos manches. Während das Epos breit pse_541.014 dahinströmt und in die breite, ausgewogene Gestaltung auch pse_541.015 die einzelnen Episoden hineinzieht, so daß sie sich gar nicht pse_541.016 scharf gegeneinander abheben, gewinnen die Teile des Romans pse_541.017 mehr Selbständigkeit, die Gliederung wird deutlicher, mannigfaltiger, pse_541.018 und so kann es auch zu Steigerungen, Spannungen, pse_541.019 Lösungen, zu Absinken und Wiederanstieg kommen. Der pse_541.020 Bau des Romans ist viel differenzierter, viel artikulierter.
pse_541.021 Dabei ist die Frage, ob Vers oder Prosa, zwar wichtig, aber pse_541.022 nicht entscheidend. Das Entscheidende ist die allgemeine pse_541.023 durchgehende stilhafte Gestaltung der Sprache überhaupt. pse_541.024 Und aus dem, was wir über den Sprachstil des Epos gesagt pse_541.025 haben, ergibt sich: der Vers ist zwar keine unbedingte Voraussetzung pse_541.026 eines Epos, wohl aber ein Anzeichen der Kunst pse_541.027 eines Epos. Er schafft die Erhebung über den Alltag, die Verwesentlichung, pse_541.028 damit auch die Distanz vom Geschehen, pse_541.029 fördert also das epische Zuschauen. Im durchgehenden pse_541.030 Rhythmus kommt eine innerste Haltung des Menschen zum pse_541.031 Ausdruck, zugleich aber wird die ganze dargestellte Welt in pse_541.032 diesen weiten Dauerrhythmus eingefangen und beginnt als pse_541.033 Kosmos sich rhythmisch zu bewegen. Die Feierlichkeit entspricht pse_541.034 der Größe und Welthaltigkeit. Auch gewährt der pse_541.035 Vers mit der Enthebung Beseligung, Leichtigkeit, Lockerung pse_541.036 der Bande, die uns an den Alltag fesseln und das Leben unwürdig pse_541.037 umschlingen. Dem Epos liegt also grundsätzlich die pse_541.038 Versgestaltung nahe, dem Roman die Prosa, da sie die Mannigfaltigkeit
pse_541.001 es hineinzustellen in die Fülle menschlicher und pse_541.002 dinglicher Bezüge des Alltags, es wirbelt in modernen Romanen pse_541.003 vielfach nur mehr eine Gesellschaftswelt vor uns pse_541.004 vorüber. Meisterhaft ist das Doderer in der »Strudlhofstiege« pse_541.005 gelungen. Der Blick in die Seelengründe aber, der nun Geheimstes pse_541.006 ans Tageslicht zieht, führt der künstlerischen Gestaltung pse_541.007 ganz neue Bereiche zu: die Bewußtseinsbewegungen, pse_541.008 das Unterbewußte, den Durchstoß zu außerzeitlichen Daseinsgründen. pse_541.009 Das ergibt neue Möglichkeiten des Aufbaus, pse_541.010 der Zeitschichtung und der Perspektiven.
pse_541.011 2. Wir sind damit schon zu den Fragen der künstlerischen pse_541.012 Gestaltung des Romans gekommen. Wieder ergibt schon der pse_541.013 Vergleich mit dem Epos manches. Während das Epos breit pse_541.014 dahinströmt und in die breite, ausgewogene Gestaltung auch pse_541.015 die einzelnen Episoden hineinzieht, so daß sie sich gar nicht pse_541.016 scharf gegeneinander abheben, gewinnen die Teile des Romans pse_541.017 mehr Selbständigkeit, die Gliederung wird deutlicher, mannigfaltiger, pse_541.018 und so kann es auch zu Steigerungen, Spannungen, pse_541.019 Lösungen, zu Absinken und Wiederanstieg kommen. Der pse_541.020 Bau des Romans ist viel differenzierter, viel artikulierter.
pse_541.021 Dabei ist die Frage, ob Vers oder Prosa, zwar wichtig, aber pse_541.022 nicht entscheidend. Das Entscheidende ist die allgemeine pse_541.023 durchgehende stilhafte Gestaltung der Sprache überhaupt. pse_541.024 Und aus dem, was wir über den Sprachstil des Epos gesagt pse_541.025 haben, ergibt sich: der Vers ist zwar keine unbedingte Voraussetzung pse_541.026 eines Epos, wohl aber ein Anzeichen der Kunst pse_541.027 eines Epos. Er schafft die Erhebung über den Alltag, die Verwesentlichung, pse_541.028 damit auch die Distanz vom Geschehen, pse_541.029 fördert also das epische Zuschauen. Im durchgehenden pse_541.030 Rhythmus kommt eine innerste Haltung des Menschen zum pse_541.031 Ausdruck, zugleich aber wird die ganze dargestellte Welt in pse_541.032 diesen weiten Dauerrhythmus eingefangen und beginnt als pse_541.033 Kosmos sich rhythmisch zu bewegen. Die Feierlichkeit entspricht pse_541.034 der Größe und Welthaltigkeit. Auch gewährt der pse_541.035 Vers mit der Enthebung Beseligung, Leichtigkeit, Lockerung pse_541.036 der Bande, die uns an den Alltag fesseln und das Leben unwürdig pse_541.037 umschlingen. Dem Epos liegt also grundsätzlich die pse_541.038 Versgestaltung nahe, dem Roman die Prosa, da sie die Mannigfaltigkeit
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dinglicher Bezüge des Alltags, es wirbelt in modernen Romanen pse_541.003
vielfach nur mehr eine Gesellschaftswelt vor uns pse_541.004
vorüber. Meisterhaft ist das Doderer in der »Strudlhofstiege« pse_541.005
gelungen. Der Blick in die Seelengründe aber, der nun Geheimstes pse_541.006
ans Tageslicht zieht, führt der künstlerischen Gestaltung pse_541.007
ganz neue Bereiche zu: die Bewußtseinsbewegungen, pse_541.008
das Unterbewußte, den Durchstoß zu außerzeitlichen Daseinsgründen. pse_541.009
Das ergibt neue Möglichkeiten des Aufbaus, pse_541.010
der Zeitschichtung und der Perspektiven.
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2. Wir sind damit schon zu den Fragen der künstlerischen pse_541.012
Gestaltung des Romans gekommen. Wieder ergibt schon der pse_541.013
Vergleich mit dem Epos manches. Während das Epos breit pse_541.014
dahinströmt und in die breite, ausgewogene Gestaltung auch pse_541.015
die einzelnen Episoden hineinzieht, so daß sie sich gar nicht pse_541.016
scharf gegeneinander abheben, gewinnen die Teile des Romans pse_541.017
mehr Selbständigkeit, die Gliederung wird deutlicher, mannigfaltiger, pse_541.018
und so kann es auch zu Steigerungen, Spannungen, pse_541.019
Lösungen, zu Absinken und Wiederanstieg kommen. Der pse_541.020
Bau des Romans ist viel differenzierter, viel artikulierter.
pse_541.021
Dabei ist die Frage, ob Vers oder Prosa, zwar wichtig, aber pse_541.022
nicht entscheidend. Das Entscheidende ist die allgemeine pse_541.023
durchgehende stilhafte Gestaltung der Sprache überhaupt. pse_541.024
Und aus dem, was wir über den Sprachstil des Epos gesagt pse_541.025
haben, ergibt sich: der Vers ist zwar keine unbedingte Voraussetzung pse_541.026
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damit auch die Distanz vom Geschehen, pse_541.029
fördert also das epische Zuschauen. Im durchgehenden pse_541.030
Rhythmus kommt eine innerste Haltung des Menschen zum pse_541.031
Ausdruck, zugleich aber wird die ganze dargestellte Welt in pse_541.032
diesen weiten Dauerrhythmus eingefangen und beginnt als pse_541.033
Kosmos sich rhythmisch zu bewegen. Die Feierlichkeit entspricht pse_541.034
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/557>, abgerufen am 22.11.2024.
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