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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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So setzt in Dialog und Rede überhaupt zugleich die Handlung pse_596.002
ein. Daher ergibt sich eine deutliche Zweiheit von pse_596.003
Sprache und Musik an der Wurzel des Dramas. Von hier aus pse_596.004
geht die eine Richtung auf Zurückdrängung der Musik und pse_596.005
auf ihre Beschränkung auf Einlagen: der Chor wird im Augenblick, pse_596.006
wo der Dialog die Möglichkeit unmittelbarer Gestaltung pse_596.007
des Dramatischen geschaffen hat, auf bestimmte Stellen pse_596.008
eingeschränkt und ihm ein besonderer Sinn gegeben: Erhebung, pse_596.009
lyrische Reflexion, Blick aufs Allgemeine. Daraus entstehen pse_596.010
bei weiterer Zurückdrängung des Chores die späteren pse_596.011
Liedeinlagen, die die Stimmungen einzelner Personen ausdrücken pse_596.012
(Thekla im "Wallenstein") oder die Zwischenaktmusik, pse_596.013
wie sie etwa Schiller am Schluß der Rütliszene verlangt. pse_596.014
Solche musikalische Untermalungen sind bis ins moderne pse_596.015
Drama durchaus häufig. Höchste künstlerische Form ist pse_596.016
im Zusammentreffen Goethes und Beethovens im "Egmont" pse_596.017
erreicht worden. In der Ouvertüre, den Liedeinlagen und vor pse_596.018
allem in der Schlußapotheose leistet der musikalische Teil die pse_596.019
Emporführung ins Allgemeinmenschliche, das nur dem Gefühl pse_596.020
unmittelbar zugänglich ist, aber sich doch aus dem pse_596.021
Drama ablöst, welches der Sprache bedarf. Die andere pse_596.022
Richtung dringt zur Gestaltung des Dramatischen in der pse_596.023
Musik vor. Morphologisch ist der Ausgangspunkt die Oper pse_596.024
mit gesprochenen Teilen ("Zauberflöte", "Fidelio"), wo die pse_596.025
Sprache das Konkrete der äußeren Handlung bringt, die pse_596.026
Musik mehr den inneren Vorgang gestaltet. Im Rezitativ pse_596.027
arbeitet dann die Musik das Dramatische einer Sprachreihe pse_596.028
heraus ("Don Giovanni"). In Duetten und Terzetten usw. pse_596.029
wird weiter der wesentliche dramatische Stimmungsgehalt pse_596.030
lebendig; dafür sind die Weisungen Mozarts an Daponte, die pse_596.031
Beethovens an Sonnleithner bezeichnend. Endlich kommt es pse_596.032
zum vollen Durchkomponieren mit bestimmten Leitmotiven. pse_596.033
Der dramatische Vorgang empfängt nur mehr letzte, äußere pse_596.034
Hilfen vom Text, das Dramatische liegt im Geflecht der pse_596.035
Motive: Wagners "Tristan".

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3. Stellen ohne Sprache im Drama (Gebärden, Pantomime, pse_596.037
Musik) zeigen, daß hier die Urgespaltenheit nicht bis ins pse_596.038
letzte bestimmend ist. Denn solche Stellen haben drei Merkmale:

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So setzt in Dialog und Rede überhaupt zugleich die Handlung pse_596.002
ein. Daher ergibt sich eine deutliche Zweiheit von pse_596.003
Sprache und Musik an der Wurzel des Dramas. Von hier aus pse_596.004
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lyrische Reflexion, Blick aufs Allgemeine. Daraus entstehen pse_596.010
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Liedeinlagen, die die Stimmungen einzelner Personen ausdrücken pse_596.012
(Thekla im »Wallenstein«) oder die Zwischenaktmusik, pse_596.013
wie sie etwa Schiller am Schluß der Rütliszene verlangt. pse_596.014
Solche musikalische Untermalungen sind bis ins moderne pse_596.015
Drama durchaus häufig. Höchste künstlerische Form ist pse_596.016
im Zusammentreffen Goethes und Beethovens im »Egmont« pse_596.017
erreicht worden. In der Ouvertüre, den Liedeinlagen und vor pse_596.018
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Emporführung ins Allgemeinmenschliche, das nur dem Gefühl pse_596.020
unmittelbar zugänglich ist, aber sich doch aus dem pse_596.021
Drama ablöst, welches der Sprache bedarf. Die andere pse_596.022
Richtung dringt zur Gestaltung des Dramatischen in der pse_596.023
Musik vor. Morphologisch ist der Ausgangspunkt die Oper pse_596.024
mit gesprochenen Teilen (»Zauberflöte«, »Fidelio«), wo die pse_596.025
Sprache das Konkrete der äußeren Handlung bringt, die pse_596.026
Musik mehr den inneren Vorgang gestaltet. Im Rezitativ pse_596.027
arbeitet dann die Musik das Dramatische einer Sprachreihe pse_596.028
heraus (»Don Giovanni«). In Duetten und Terzetten usw. pse_596.029
wird weiter der wesentliche dramatische Stimmungsgehalt pse_596.030
lebendig; dafür sind die Weisungen Mozarts an Daponte, die pse_596.031
Beethovens an Sonnleithner bezeichnend. Endlich kommt es pse_596.032
zum vollen Durchkomponieren mit bestimmten Leitmotiven. pse_596.033
Der dramatische Vorgang empfängt nur mehr letzte, äußere pse_596.034
Hilfen vom Text, das Dramatische liegt im Geflecht der pse_596.035
Motive: Wagners »Tristan«.

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3. Stellen ohne Sprache im Drama (Gebärden, Pantomime, pse_596.037
Musik) zeigen, daß hier die Urgespaltenheit nicht bis ins pse_596.038
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[596/0612] pse_596.001 So setzt in Dialog und Rede überhaupt zugleich die Handlung pse_596.002 ein. Daher ergibt sich eine deutliche Zweiheit von pse_596.003 Sprache und Musik an der Wurzel des Dramas. Von hier aus pse_596.004 geht die eine Richtung auf Zurückdrängung der Musik und pse_596.005 auf ihre Beschränkung auf Einlagen: der Chor wird im Augenblick, pse_596.006 wo der Dialog die Möglichkeit unmittelbarer Gestaltung pse_596.007 des Dramatischen geschaffen hat, auf bestimmte Stellen pse_596.008 eingeschränkt und ihm ein besonderer Sinn gegeben: Erhebung, pse_596.009 lyrische Reflexion, Blick aufs Allgemeine. Daraus entstehen pse_596.010 bei weiterer Zurückdrängung des Chores die späteren pse_596.011 Liedeinlagen, die die Stimmungen einzelner Personen ausdrücken pse_596.012 (Thekla im »Wallenstein«) oder die Zwischenaktmusik, pse_596.013 wie sie etwa Schiller am Schluß der Rütliszene verlangt. pse_596.014 Solche musikalische Untermalungen sind bis ins moderne pse_596.015 Drama durchaus häufig. Höchste künstlerische Form ist pse_596.016 im Zusammentreffen Goethes und Beethovens im »Egmont« pse_596.017 erreicht worden. In der Ouvertüre, den Liedeinlagen und vor pse_596.018 allem in der Schlußapotheose leistet der musikalische Teil die pse_596.019 Emporführung ins Allgemeinmenschliche, das nur dem Gefühl pse_596.020 unmittelbar zugänglich ist, aber sich doch aus dem pse_596.021 Drama ablöst, welches der Sprache bedarf. Die andere pse_596.022 Richtung dringt zur Gestaltung des Dramatischen in der pse_596.023 Musik vor. Morphologisch ist der Ausgangspunkt die Oper pse_596.024 mit gesprochenen Teilen (»Zauberflöte«, »Fidelio«), wo die pse_596.025 Sprache das Konkrete der äußeren Handlung bringt, die pse_596.026 Musik mehr den inneren Vorgang gestaltet. Im Rezitativ pse_596.027 arbeitet dann die Musik das Dramatische einer Sprachreihe pse_596.028 heraus (»Don Giovanni«). In Duetten und Terzetten usw. pse_596.029 wird weiter der wesentliche dramatische Stimmungsgehalt pse_596.030 lebendig; dafür sind die Weisungen Mozarts an Daponte, die pse_596.031 Beethovens an Sonnleithner bezeichnend. Endlich kommt es pse_596.032 zum vollen Durchkomponieren mit bestimmten Leitmotiven. pse_596.033 Der dramatische Vorgang empfängt nur mehr letzte, äußere pse_596.034 Hilfen vom Text, das Dramatische liegt im Geflecht der pse_596.035 Motive: Wagners »Tristan«. pse_596.036 3. Stellen ohne Sprache im Drama (Gebärden, Pantomime, pse_596.037 Musik) zeigen, daß hier die Urgespaltenheit nicht bis ins pse_596.038 letzte bestimmend ist. Denn solche Stellen haben drei Merkmale:

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/612>, abgerufen am 22.11.2024.