Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.pse_602.001 Ein neuer Anfall, heiß wie Wetterstrahl pse_602.009 pse_602.016Schmolz, dieser wuterfüllten Mavorstöchter, pse_602.010 Rings der Ätolier wackre Reihen hin, pse_602.011 Auf uns, wie Wassersturz, hernieder sie, pse_602.012 Die unbesiegten Myrmidonier, gießend, pse_602.013 Vergebens drängen wir dem Fluchtgewog pse_602.014 Entgegen uns: in wilder Überschwemmung pse_602.015 Reißt's uns vom Kampfplatz strudelnd mit sich fort. (Kleist, "Penthesilea" V. 246 ff.) pse_602.017 Auch können die symbolischen Bilder selber in sich voller pse_602.018 Es können auch zwei Bereiche symbolhaft gestaltet werden, pse_602.031 Duncan: Dies Schloß hat eine angenehme Lage, pse_602.038
Mit sanfter Milde schmeichelt sich die Luft pse_602.039 Den zarten Sinnen ein. pse_602.001 Ein neuer Anfall, heiß wie Wetterstrahl pse_602.009 pse_602.016Schmolz, dieser wuterfüllten Mavorstöchter, pse_602.010 Rings der Ätolier wackre Reihen hin, pse_602.011 Auf uns, wie Wassersturz, hernieder sie, pse_602.012 Die unbesiegten Myrmidonier, gießend, pse_602.013 Vergebens drängen wir dem Fluchtgewog pse_602.014 Entgegen uns: in wilder Überschwemmung pse_602.015 Reißt's uns vom Kampfplatz strudelnd mit sich fort. (Kleist, »Penthesilea« V. 246 ff.) pse_602.017 Auch können die symbolischen Bilder selber in sich voller pse_602.018 Es können auch zwei Bereiche symbolhaft gestaltet werden, pse_602.031 Duncan: Dies Schloß hat eine angenehme Lage, pse_602.038
Mit sanfter Milde schmeichelt sich die Luft pse_602.039 Den zarten Sinnen ein. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0618" n="602"/> <p><lb n="pse_602.001"/> Alles, was bisher in verschiedenen Zusammenhängen über <lb n="pse_602.002"/> das Wesen, die Entstehung und die Funktionen der sprachlichen <lb n="pse_602.003"/> Symbole gesagt wurde, gilt auch für das Gebiet der <lb n="pse_602.004"/> Dramatik. Aber es ist noch zu fragen, wie gerade das Dramatische <lb n="pse_602.005"/> auch durch sprachliche Symbole gestaltbar wird. Schon <lb n="pse_602.006"/> die heftige Bewegtheit der zum Symbol gesteigerten sprachlichen <lb n="pse_602.007"/> Bilder ist eine erste Kraft.</p> <lb n="pse_602.008"/> <p> <lg> <l> <hi rendition="#aq">Ein neuer Anfall, heiß wie Wetterstrahl</hi> </l> <lb n="pse_602.009"/> <l> <hi rendition="#aq">Schmolz, dieser wuterfüllten Mavorstöchter,</hi> </l> <lb n="pse_602.010"/> <l> <hi rendition="#aq">Rings der Ätolier wackre Reihen hin,</hi> </l> <lb n="pse_602.011"/> <l> <hi rendition="#aq">Auf uns, wie Wassersturz, hernieder sie,</hi> </l> <lb n="pse_602.012"/> <l> <hi rendition="#aq">Die unbesiegten Myrmidonier, gießend,</hi> </l> <lb n="pse_602.013"/> <l> <hi rendition="#aq">Vergebens drängen wir dem Fluchtgewog</hi> </l> <lb n="pse_602.014"/> <l> <hi rendition="#aq">Entgegen uns: in wilder Überschwemmung</hi> </l> <lb n="pse_602.015"/> <l> <hi rendition="#aq">Reißt's uns vom Kampfplatz strudelnd mit sich fort.</hi> </l> </lg> <lb n="pse_602.016"/> <hi rendition="#right"> <space dim="horizontal"/> <hi rendition="#aq">(Kleist, »Penthesilea« V. 246 ff.)</hi> </hi> </p> <lb n="pse_602.017"/> <p>Auch können die symbolischen Bilder selber in sich voller <lb n="pse_602.018"/> Gegensätzlichkeit sein, schon in der rhythmischen Form. In <lb n="pse_602.019"/> Calderóns Großem Welttheater heißt in Eichendorffs Übersetzung <lb n="pse_602.020"/> eine Reihe von vier Versen in der ständigen Aufteilung <lb n="pse_602.021"/> auf Bettler und Reichen so: <lb n="pse_602.022"/> <hi rendition="#right"><space dim="horizontal"/><hi rendition="#aq">Der Bettler: Welche Freude! <lb n="pse_602.023"/> <space dim="horizontal"/>Der Reiche:<space dim="horizontal"/>Welche Trauer! <lb n="pse_602.024"/> <space dim="horizontal"/>Der Bettler: Welche Tröstung! <lb n="pse_602.025"/> <space dim="horizontal"/>Der Reiche:<space dim="horizontal"/>Welche Qual! <lb n="pse_602.026"/> <space dim="horizontal"/>Der Bettler: Welch Vergnügen! <lb n="pse_602.027"/> <space dim="horizontal"/>Der Reiche:<space dim="horizontal"/>Welche Schmerzen! <lb n="pse_602.028"/> <space dim="horizontal"/>Der Bettler: Welches Glück! <lb n="pse_602.029"/> <space dim="horizontal"/>Der Reiche:<space dim="horizontal"/>O harter Fall!</hi></hi></p> <lb n="pse_602.030"/> <p>Es können auch zwei Bereiche symbolhaft gestaltet werden, <lb n="pse_602.031"/> die in Gegensatz zueinander stehen, so daß Gegensymbole <lb n="pse_602.032"/> erwachsen. In Shakespeares »Macbeth« hören wir neben allen <lb n="pse_602.033"/> Blut- und Mordbildern, die das Stück durchziehen, an bedeutsamer <lb n="pse_602.034"/> Stelle, als Duncan das Schloß Macbeths betritt und <lb n="pse_602.035"/> bevor dieser mit seinen Mordabsichten beginnt, folgende <lb n="pse_602.036"/> Verse:</p> <lb n="pse_602.037"/> <sp who="#DUN"> <speaker>Duncan:</speaker> <p>Dies Schloß hat eine angenehme Lage, <lb n="pse_602.038"/> <space dim="horizontal"/>Mit sanfter Milde schmeichelt sich die Luft <lb n="pse_602.039"/> <space dim="horizontal"/>Den zarten Sinnen ein.</p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [602/0618]
pse_602.001
Alles, was bisher in verschiedenen Zusammenhängen über pse_602.002
das Wesen, die Entstehung und die Funktionen der sprachlichen pse_602.003
Symbole gesagt wurde, gilt auch für das Gebiet der pse_602.004
Dramatik. Aber es ist noch zu fragen, wie gerade das Dramatische pse_602.005
auch durch sprachliche Symbole gestaltbar wird. Schon pse_602.006
die heftige Bewegtheit der zum Symbol gesteigerten sprachlichen pse_602.007
Bilder ist eine erste Kraft.
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Ein neuer Anfall, heiß wie Wetterstrahl pse_602.009
Schmolz, dieser wuterfüllten Mavorstöchter, pse_602.010
Rings der Ätolier wackre Reihen hin, pse_602.011
Auf uns, wie Wassersturz, hernieder sie, pse_602.012
Die unbesiegten Myrmidonier, gießend, pse_602.013
Vergebens drängen wir dem Fluchtgewog pse_602.014
Entgegen uns: in wilder Überschwemmung pse_602.015
Reißt's uns vom Kampfplatz strudelnd mit sich fort.
pse_602.016
(Kleist, »Penthesilea« V. 246 ff.)
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Auch können die symbolischen Bilder selber in sich voller pse_602.018
Gegensätzlichkeit sein, schon in der rhythmischen Form. In pse_602.019
Calderóns Großem Welttheater heißt in Eichendorffs Übersetzung pse_602.020
eine Reihe von vier Versen in der ständigen Aufteilung pse_602.021
auf Bettler und Reichen so: pse_602.022
Der Bettler: Welche Freude! pse_602.023
Der Reiche: Welche Trauer! pse_602.024
Der Bettler: Welche Tröstung! pse_602.025
Der Reiche: Welche Qual! pse_602.026
Der Bettler: Welch Vergnügen! pse_602.027
Der Reiche: Welche Schmerzen! pse_602.028
Der Bettler: Welches Glück! pse_602.029
Der Reiche: O harter Fall!
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Es können auch zwei Bereiche symbolhaft gestaltet werden, pse_602.031
die in Gegensatz zueinander stehen, so daß Gegensymbole pse_602.032
erwachsen. In Shakespeares »Macbeth« hören wir neben allen pse_602.033
Blut- und Mordbildern, die das Stück durchziehen, an bedeutsamer pse_602.034
Stelle, als Duncan das Schloß Macbeths betritt und pse_602.035
bevor dieser mit seinen Mordabsichten beginnt, folgende pse_602.036
Verse:
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Duncan: Dies Schloß hat eine angenehme Lage, pse_602.038
Mit sanfter Milde schmeichelt sich die Luft pse_602.039
Den zarten Sinnen ein.
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