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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Calderon über Racine zu Shakespeare -- keine geschichtliche pse_617.002
Reihe natürlich -- kann man ein Schwächerwerden christlicher pse_617.003
Substanz beobachten.

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Calderon ist der Höhepunkt des christlichen Dramas. Es pse_617.005
hat sich zuerst in den mittelalterlichen Spielen der Heilslehre pse_617.006
darstellend bemächtigt und die Welt in ihrer durchgehenden pse_617.007
Sinnbezogenheit aufs Jenseits gezeigt. Das mittelalterliche pse_617.008
Drama ist daher nicht tragisch. Im Barockzeitalter wird die pse_617.009
dauernde Spannung Diesseits-Jenseits auch dramatisch geformt. pse_617.010
Allegorien größten Ausmaßes und Märtyrerstücke pse_617.011
sind die typischen Ausprägungen. In Spanien, wo die mittellateinische pse_617.012
Literatur ohne Bruch ins Barock hereinwirkt und pse_617.013
die jahrhundertlange Kulturgemeinschaft zwischen christlichem pse_617.014
und maurischem Spanien eine eigenartige Ganzheit pse_617.015
schafft, erreicht das christliche Drama mit Calderon seine pse_617.016
Höhe. Er will in seinen Werken die Seele in ihrer Verstrikkung pse_617.017
an die Welt erhellen und erleuchten. Die ganze Welt pse_617.018
ist in ihnen durchsichtig auf das Absolute und Unveränderliche pse_617.019
hin. Schöpfung, Fall, Erlösung und Gericht sind die pse_617.020
großen bestimmenden Welttatsachen. Calderons Drama ist pse_617.021
metaphysisches, theologisches Theater: indem es die Situation pse_617.022
des Menschen in der Welt darstellt, gibt es zugleich eine pse_617.023
theologische Deutung der Welt. Sein Drama zeigt reichbewegte pse_617.024
Aktion mit überraschenden Wechselfällen und versinnbildet pse_617.025
in ihnen die Unendlichkeit der Weltbezüge.

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3. Mit der französischen Klassik betreten wir den Raum des pse_617.027
weltlichen Dramas, das nun in Frankreich, England und pse_617.028
Deutschland bestimmend bleiben wird. Trotz großer Unterschiede pse_617.029
haben alle drei eine einheitliche Menschenauffassung: pse_617.030
der Mensch steht im Mittelpunkt der Vorgänge, er trägt individuelle pse_617.031
Züge, sein Charakter wird daher sein Schicksal. pse_617.032
Zunächst bleibt noch das Christentum Grundlage, es treten pse_617.033
aber, vor allem in Frankreich, die Kräfte des Humanismus pse_617.034
und der neu sich bildenden Hofkultur dazu. In Racine vollendet pse_617.035
sich die französische Tragödie: Maßlosigkeit und Leidenschaft pse_617.036
gefährden das Dasein. Aber die Bändigung in pse_617.037
höfischer zuchtvoller Haltung schafft den unverkennbaren pse_617.038
künstlerischen Gesamtcharakter. Moliere vollendet die französische

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Calderón über Racine zu Shakespeare — keine geschichtliche pse_617.002
Reihe natürlich — kann man ein Schwächerwerden christlicher pse_617.003
Substanz beobachten.

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Calderón ist der Höhepunkt des christlichen Dramas. Es pse_617.005
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darstellend bemächtigt und die Welt in ihrer durchgehenden pse_617.007
Sinnbezogenheit aufs Jenseits gezeigt. Das mittelalterliche pse_617.008
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metaphysisches, theologisches Theater: indem es die Situation pse_617.022
des Menschen in der Welt darstellt, gibt es zugleich eine pse_617.023
theologische Deutung der Welt. Sein Drama zeigt reichbewegte pse_617.024
Aktion mit überraschenden Wechselfällen und versinnbildet pse_617.025
in ihnen die Unendlichkeit der Weltbezüge.

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weltlichen Dramas, das nun in Frankreich, England und pse_617.028
Deutschland bestimmend bleiben wird. Trotz großer Unterschiede pse_617.029
haben alle drei eine einheitliche Menschenauffassung: pse_617.030
der Mensch steht im Mittelpunkt der Vorgänge, er trägt individuelle pse_617.031
Züge, sein Charakter wird daher sein Schicksal. pse_617.032
Zunächst bleibt noch das Christentum Grundlage, es treten pse_617.033
aber, vor allem in Frankreich, die Kräfte des Humanismus pse_617.034
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sich die französische Tragödie: Maßlosigkeit und Leidenschaft pse_617.036
gefährden das Dasein. Aber die Bändigung in pse_617.037
höfischer zuchtvoller Haltung schafft den unverkennbaren pse_617.038
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 617. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/633>, abgerufen am 22.11.2024.