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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Das Entscheidende beim Film ist das bewegte Bild. pse_622.002
G. Groll sagt, Film sei die Kunst der verwesentlichenden pse_622.003
Welt- und Lebensgestaltung durch die optisch aufgefaßte pse_622.004
und durchgebildete Bewegung. Andere Gestaltungskräfte pse_622.005
ordnen sich unter. Sprache und Musik sind zwar dem modernen pse_622.006
Filmbesucher beinahe unentbehrlich, aber sie sind pse_622.007
deutlich Diener im Gesamten: man könnte sich einen Film pse_622.008
zur Not bloß gesehen vorstellen, niemals aber nur aus Worten, pse_622.009
Tönen und Geräuschen bestehend. Im Augenblick, wo pse_622.010
die Sprache in den Film eingefügt wird, ist die Frage nach pse_622.011
dem Verhältnis zu den Dichtungsgattungen da, natürlich pse_622.012
zur Epik und Dramatik. Sicher sind Beziehungen zum Drama pse_622.013
gegeben. Vor allem ist beiden die Darstellung durch Menschen pse_622.014
gemeinsam. Aber diese kann im Film schon sehr zurücktreten, pse_622.015
nie im Drama. Auch die Gespanntheit verbindet beide, pse_622.016
obwohl sie für den Film nicht so lebensnotwendig ist wie pse_622.017
für das Drama. Selbstverständlich kann auch im Film die pse_622.018
Urgespaltenheit der Welt lebendig werden, aber auch hier pse_622.019
ist das nicht unbedingt nötig. Das dramatische Werk kann pse_622.020
außerhalb der Bühne existieren, nicht der Film. Das hängt pse_622.021
ausschließlich mit der dichterischen Kraft der Sprache zusammen. pse_622.022
Oper und Film sind gleichsam Formen, in denen pse_622.023
die sprachliche Gestaltung durch andere zurückgedrängt pse_622.024
wird. Durch die breite Entfaltungsmöglichkeit der ganzen pse_622.025
Umwelt, durch das mögliche Fehlen der Urgespaltenheit pse_622.026
nähert sich der Film der Epik. Man hat mit Recht beobachtet, pse_622.027
daß ein Drama sich weniger zur Verfilmung eignet als ein pse_622.028
Roman. Man hat sogar gesagt, ein Drama werde durch Verfilmung pse_622.029
episiert. So aber erweitert man das Wort episch in pse_622.030
seinem Gehalt etwa in dem Sinn, wie man für Tatbestände pse_622.031
und Vorgänge des Alltagslebens auch die Worte lyrisch, pse_622.032
episch und dramatisch gebraucht. Wenn das Erzählen streng pse_622.033
genommen wird, so ist es unbedingt an die Sprache gebunden, pse_622.034
von Epik beim Film zu sprechen, ist eine Übertragung. pse_622.035
Aus diesen grundlegenden Unterschieden des Films zu allen pse_622.036
Dichtungsgattungen ergeben sich auch seine ureigenen Möglichkeiten, pse_622.037
die Fedor Stepun scharf herausgestellt hat: er unterscheidet pse_622.038
die außerkünstlerischen Filmformen wie Lehrfilme

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Das Entscheidende beim Film ist das bewegte Bild. pse_622.002
G. Groll sagt, Film sei die Kunst der verwesentlichenden pse_622.003
Welt- und Lebensgestaltung durch die optisch aufgefaßte pse_622.004
und durchgebildete Bewegung. Andere Gestaltungskräfte pse_622.005
ordnen sich unter. Sprache und Musik sind zwar dem modernen pse_622.006
Filmbesucher beinahe unentbehrlich, aber sie sind pse_622.007
deutlich Diener im Gesamten: man könnte sich einen Film pse_622.008
zur Not bloß gesehen vorstellen, niemals aber nur aus Worten, pse_622.009
Tönen und Geräuschen bestehend. Im Augenblick, wo pse_622.010
die Sprache in den Film eingefügt wird, ist die Frage nach pse_622.011
dem Verhältnis zu den Dichtungsgattungen da, natürlich pse_622.012
zur Epik und Dramatik. Sicher sind Beziehungen zum Drama pse_622.013
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nie im Drama. Auch die Gespanntheit verbindet beide, pse_622.016
obwohl sie für den Film nicht so lebensnotwendig ist wie pse_622.017
für das Drama. Selbstverständlich kann auch im Film die pse_622.018
Urgespaltenheit der Welt lebendig werden, aber auch hier pse_622.019
ist das nicht unbedingt nötig. Das dramatische Werk kann pse_622.020
außerhalb der Bühne existieren, nicht der Film. Das hängt pse_622.021
ausschließlich mit der dichterischen Kraft der Sprache zusammen. pse_622.022
Oper und Film sind gleichsam Formen, in denen pse_622.023
die sprachliche Gestaltung durch andere zurückgedrängt pse_622.024
wird. Durch die breite Entfaltungsmöglichkeit der ganzen pse_622.025
Umwelt, durch das mögliche Fehlen der Urgespaltenheit pse_622.026
nähert sich der Film der Epik. Man hat mit Recht beobachtet, pse_622.027
daß ein Drama sich weniger zur Verfilmung eignet als ein pse_622.028
Roman. Man hat sogar gesagt, ein Drama werde durch Verfilmung pse_622.029
episiert. So aber erweitert man das Wort episch in pse_622.030
seinem Gehalt etwa in dem Sinn, wie man für Tatbestände pse_622.031
und Vorgänge des Alltagslebens auch die Worte lyrisch, pse_622.032
episch und dramatisch gebraucht. Wenn das Erzählen streng pse_622.033
genommen wird, so ist es unbedingt an die Sprache gebunden, pse_622.034
von Epik beim Film zu sprechen, ist eine Übertragung. pse_622.035
Aus diesen grundlegenden Unterschieden des Films zu allen pse_622.036
Dichtungsgattungen ergeben sich auch seine ureigenen Möglichkeiten, pse_622.037
die Fedor Stepun scharf herausgestellt hat: er unterscheidet pse_622.038
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[622/0638] pse_622.001 Das Entscheidende beim Film ist das bewegte Bild. pse_622.002 G. Groll sagt, Film sei die Kunst der verwesentlichenden pse_622.003 Welt- und Lebensgestaltung durch die optisch aufgefaßte pse_622.004 und durchgebildete Bewegung. Andere Gestaltungskräfte pse_622.005 ordnen sich unter. Sprache und Musik sind zwar dem modernen pse_622.006 Filmbesucher beinahe unentbehrlich, aber sie sind pse_622.007 deutlich Diener im Gesamten: man könnte sich einen Film pse_622.008 zur Not bloß gesehen vorstellen, niemals aber nur aus Worten, pse_622.009 Tönen und Geräuschen bestehend. Im Augenblick, wo pse_622.010 die Sprache in den Film eingefügt wird, ist die Frage nach pse_622.011 dem Verhältnis zu den Dichtungsgattungen da, natürlich pse_622.012 zur Epik und Dramatik. Sicher sind Beziehungen zum Drama pse_622.013 gegeben. Vor allem ist beiden die Darstellung durch Menschen pse_622.014 gemeinsam. Aber diese kann im Film schon sehr zurücktreten, pse_622.015 nie im Drama. Auch die Gespanntheit verbindet beide, pse_622.016 obwohl sie für den Film nicht so lebensnotwendig ist wie pse_622.017 für das Drama. Selbstverständlich kann auch im Film die pse_622.018 Urgespaltenheit der Welt lebendig werden, aber auch hier pse_622.019 ist das nicht unbedingt nötig. Das dramatische Werk kann pse_622.020 außerhalb der Bühne existieren, nicht der Film. Das hängt pse_622.021 ausschließlich mit der dichterischen Kraft der Sprache zusammen. pse_622.022 Oper und Film sind gleichsam Formen, in denen pse_622.023 die sprachliche Gestaltung durch andere zurückgedrängt pse_622.024 wird. Durch die breite Entfaltungsmöglichkeit der ganzen pse_622.025 Umwelt, durch das mögliche Fehlen der Urgespaltenheit pse_622.026 nähert sich der Film der Epik. Man hat mit Recht beobachtet, pse_622.027 daß ein Drama sich weniger zur Verfilmung eignet als ein pse_622.028 Roman. Man hat sogar gesagt, ein Drama werde durch Verfilmung pse_622.029 episiert. So aber erweitert man das Wort episch in pse_622.030 seinem Gehalt etwa in dem Sinn, wie man für Tatbestände pse_622.031 und Vorgänge des Alltagslebens auch die Worte lyrisch, pse_622.032 episch und dramatisch gebraucht. Wenn das Erzählen streng pse_622.033 genommen wird, so ist es unbedingt an die Sprache gebunden, pse_622.034 von Epik beim Film zu sprechen, ist eine Übertragung. pse_622.035 Aus diesen grundlegenden Unterschieden des Films zu allen pse_622.036 Dichtungsgattungen ergeben sich auch seine ureigenen Möglichkeiten, pse_622.037 die Fedor Stepun scharf herausgestellt hat: er unterscheidet pse_622.038 die außerkünstlerischen Filmformen wie Lehrfilme

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 622. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/638>, abgerufen am 22.11.2024.