pse_683.001 fördern". Der Kritiker hat also eine kulturpädagogische Aufgabe, pse_683.002 und zwar von besonderer Wichtigkeit. Dem Kritiker pse_683.003 ist eine große Macht gegeben, die er auch negativ ausnützen pse_683.004 kann: er kann seine unbegründeten subjektiven Meinungen pse_683.005 dem Publikum aufdrängen wollen, er kann bewußt oder unbewußt pse_683.006 ganz einseitige Arbeit leisten, indem er Schlechtes pse_683.007 propagiert, Gutes in den Kot zieht, er kann Dichtung zerschwätzen, pse_683.008 seine eigenen wolkigen Phrasen vor dem Kunstwerk pse_683.009 aufsteigen lassen und es selbst so dem Menschen verhüllen, pse_683.010 er kann Blasiertheit und Eingebildetheit erzeugen und pse_683.011 damit gerade von echter Dichtung wegführen. Aber er kann pse_683.012 genau so gut das Gegenteil leisten: in gediegener und gebildeter pse_683.013 Weise dem Publikum die Werte der Dichtung erschließen, pse_683.014 es auf das Echte und Gediegene hinweisen, vor dem Schlechten pse_683.015 warnen und damit für die Wirkung der hohen Dichtung pse_683.016 den Boden bereiten. Dazu muß er aber bestimmte Forderungen pse_683.017 erfüllen. Er muß eine wissenschaftliche und gründliche pse_683.018 Ausbildung genossen haben, er muß starke erzieherische pse_683.019 Kräfte entfalten und muß vor allem selbst von Dichtung tief pse_683.020 ergriffen werden. Wieder sagt T. S. Eliot: "Der Literaturkritiker pse_683.021 muß ein ganzer Mensch sein, ein Mensch mit Überzeugungen pse_683.022 und Prinzipien, mit Kenntnissen und Lebenserfahrung."
pse_683.023
pse_683.024 4. Trotz allen diesen Möglichkeiten und Wegen gibt es pse_683.025 Grenzen für die Wirkung der Dichtung. Zwar nicht so viele pse_683.026 wie für die Wissenschaften, wie für die bildenden Künste und pse_683.027 die Musik. Denn die Sprache ist allen Menschen gegeben, pse_683.028 und ihre Werte können bis zu einem gewissen Grade allen pse_683.029 erschlossen werden. Die Grenzen liegen an der Menschlichkeit pse_683.030 sowohl der Dichtung als des Erlebenden. Die Dichtung pse_683.031 schafft ganz bestimmte Situationen für den Menschen, sie pse_683.032 können den einen abstoßen, den anderen anregen. Vor allem pse_683.033 muß zwischen der Struktur einer Dichtung und der inneren pse_683.034 Anlage eines Menschen eine Berührungsmöglichkeit bestehen, pse_683.035 die Art der Dichtung muß im Inneren des Menschen pse_683.036 auf einen fruchtbaren Boden fallen. Wer aus seiner Art heraus pse_683.037 lyrischer Weltbegegnung völlig verschlossen ist, wird nie ein pse_683.038 lyrisches Gedicht tief erleben können. Wir alle werden uns
pse_683.001 fördern«. Der Kritiker hat also eine kulturpädagogische Aufgabe, pse_683.002 und zwar von besonderer Wichtigkeit. Dem Kritiker pse_683.003 ist eine große Macht gegeben, die er auch negativ ausnützen pse_683.004 kann: er kann seine unbegründeten subjektiven Meinungen pse_683.005 dem Publikum aufdrängen wollen, er kann bewußt oder unbewußt pse_683.006 ganz einseitige Arbeit leisten, indem er Schlechtes pse_683.007 propagiert, Gutes in den Kot zieht, er kann Dichtung zerschwätzen, pse_683.008 seine eigenen wolkigen Phrasen vor dem Kunstwerk pse_683.009 aufsteigen lassen und es selbst so dem Menschen verhüllen, pse_683.010 er kann Blasiertheit und Eingebildetheit erzeugen und pse_683.011 damit gerade von echter Dichtung wegführen. Aber er kann pse_683.012 genau so gut das Gegenteil leisten: in gediegener und gebildeter pse_683.013 Weise dem Publikum die Werte der Dichtung erschließen, pse_683.014 es auf das Echte und Gediegene hinweisen, vor dem Schlechten pse_683.015 warnen und damit für die Wirkung der hohen Dichtung pse_683.016 den Boden bereiten. Dazu muß er aber bestimmte Forderungen pse_683.017 erfüllen. Er muß eine wissenschaftliche und gründliche pse_683.018 Ausbildung genossen haben, er muß starke erzieherische pse_683.019 Kräfte entfalten und muß vor allem selbst von Dichtung tief pse_683.020 ergriffen werden. Wieder sagt T. S. Eliot: »Der Literaturkritiker pse_683.021 muß ein ganzer Mensch sein, ein Mensch mit Überzeugungen pse_683.022 und Prinzipien, mit Kenntnissen und Lebenserfahrung.«
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pse_683.024 4. Trotz allen diesen Möglichkeiten und Wegen gibt es pse_683.025 Grenzen für die Wirkung der Dichtung. Zwar nicht so viele pse_683.026 wie für die Wissenschaften, wie für die bildenden Künste und pse_683.027 die Musik. Denn die Sprache ist allen Menschen gegeben, pse_683.028 und ihre Werte können bis zu einem gewissen Grade allen pse_683.029 erschlossen werden. Die Grenzen liegen an der Menschlichkeit pse_683.030 sowohl der Dichtung als des Erlebenden. Die Dichtung pse_683.031 schafft ganz bestimmte Situationen für den Menschen, sie pse_683.032 können den einen abstoßen, den anderen anregen. Vor allem pse_683.033 muß zwischen der Struktur einer Dichtung und der inneren pse_683.034 Anlage eines Menschen eine Berührungsmöglichkeit bestehen, pse_683.035 die Art der Dichtung muß im Inneren des Menschen pse_683.036 auf einen fruchtbaren Boden fallen. Wer aus seiner Art heraus pse_683.037 lyrischer Weltbegegnung völlig verschlossen ist, wird nie ein pse_683.038 lyrisches Gedicht tief erleben können. Wir alle werden uns
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und zwar von besonderer Wichtigkeit. Dem Kritiker pse_683.003
ist eine große Macht gegeben, die er auch negativ ausnützen pse_683.004
kann: er kann seine unbegründeten subjektiven Meinungen pse_683.005
dem Publikum aufdrängen wollen, er kann bewußt oder unbewußt pse_683.006
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propagiert, Gutes in den Kot zieht, er kann Dichtung zerschwätzen, pse_683.008
seine eigenen wolkigen Phrasen vor dem Kunstwerk pse_683.009
aufsteigen lassen und es selbst so dem Menschen verhüllen, pse_683.010
er kann Blasiertheit und Eingebildetheit erzeugen und pse_683.011
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genau so gut das Gegenteil leisten: in gediegener und gebildeter pse_683.013
Weise dem Publikum die Werte der Dichtung erschließen, pse_683.014
es auf das Echte und Gediegene hinweisen, vor dem Schlechten pse_683.015
warnen und damit für die Wirkung der hohen Dichtung pse_683.016
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Ausbildung genossen haben, er muß starke erzieherische pse_683.019
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ergriffen werden. Wieder sagt T. S. Eliot: »Der Literaturkritiker pse_683.021
muß ein ganzer Mensch sein, ein Mensch mit Überzeugungen pse_683.022
und Prinzipien, mit Kenntnissen und Lebenserfahrung.«
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Grenzen für die Wirkung der Dichtung. Zwar nicht so viele pse_683.026
wie für die Wissenschaften, wie für die bildenden Künste und pse_683.027
die Musik. Denn die Sprache ist allen Menschen gegeben, pse_683.028
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sowohl der Dichtung als des Erlebenden. Die Dichtung pse_683.031
schafft ganz bestimmte Situationen für den Menschen, sie pse_683.032
können den einen abstoßen, den anderen anregen. Vor allem pse_683.033
muß zwischen der Struktur einer Dichtung und der inneren pse_683.034
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 683. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/699>, abgerufen am 22.11.2024.
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