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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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eine bestimmte festgefahrene Richtung ästhetischen pse_685.002
Fühlens. Es gibt nicht nur persönlichen Geschmack, sondern pse_685.003
auch zeitgebundenen, der dann mehr oder weniger einer pse_685.004
ganzen Gemeinschaft eigen ist. Wenn einmal das ästhetische pse_685.005
Fühlen des Menschen eine solche feste Richtung bekommen pse_685.006
hat, wird auch die Urteilstätigkeit einsetzen, der Mensch fällt pse_685.007
Urteile über die ästhetischen Gegenstände, die Kunstwerke, pse_685.008
er wertet sie. Man kann den Geschmack bilden in der Richtung pse_685.009
auf richtige, dem Wesen des beurteilten Werkes zukommende pse_685.010
Wertung.

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Eine dritte Möglichkeit ist die, die Dichtung im geschichtlichen pse_685.012
Zusammenhang zu werten. Dabei muß zweierlei unterschieden pse_685.013
werden. 1. Bedeutenden Dichtungen kommt ein pse_685.014
ganz bestimmter Wert in der geschichtlichen Entwicklung pse_685.015
der Dichtkunst zu. Dieser kann aus dem Gesamtblick auf die pse_685.016
Literaturgeschichte ziemlich einwandfrei festgestellt werden. pse_685.017
Gewisse Dichtungen sind dann geradezu durch diese geschichtliche pse_685.018
Bedeutung bekannt geblieben. So etwa Corneilles pse_685.019
"Cid", der Canzoniere des Petrarca, Otfrieds Christusdichtung. pse_685.020
Dieser geschichtliche Wert muß nicht immer mit dem pse_685.021
Wert der Dichtung als künstlerischen Gebildes zusammenfallen, pse_685.022
höchste Kunstwerke werden aber auch meist geschichtlich pse_685.023
bedeutsam sein. Zum geschichtlichen Wert einer pse_685.024
Dichtung gehört auch ihre Anregungskraft. In dieser Hinsicht pse_685.025
stehen Goethes "Werther", "Götz" und "Lehrjahre" an pse_685.026
besonders hoher Stelle. 2. Eine andere Frage ist die nach der pse_685.027
Art, wie zu gewissen Zeiten gewertet wurde. Goethe und pse_685.028
Schiller haben Hölderlin lange nicht so geschätzt, wie wir es pse_685.029
heute tun, Jean Paul und in gebührendem Abstand von ihm pse_685.030
Heyse und Gustav Freytag wurden früher viel höher gewertet pse_685.031
als heute. Diese Betrachtung der Wertung früherer Zeiten pse_685.032
führt zur Geschmacksgeschichte. Man hat zu fragen, was in pse_685.033
bestimmten Zeiten gelesen wurde, warum gerade diese Dichtungen. pse_685.034
Es bilden sich Geschmacksgruppen und Geschmacksträger pse_685.035
heraus, die dann mit der Zeit bestimmend dafür werden, pse_685.036
was und wie gedichtet werden soll. Dabei kann es zu pse_685.037
ragen Fehlurteilen kommen, wie jede Geschichte der literarischen pse_685.038
Wertungen zeigen kann. Unmittelbar nach dem

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eine bestimmte festgefahrene Richtung ästhetischen pse_685.002
Fühlens. Es gibt nicht nur persönlichen Geschmack, sondern pse_685.003
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Fühlen des Menschen eine solche feste Richtung bekommen pse_685.006
hat, wird auch die Urteilstätigkeit einsetzen, der Mensch fällt pse_685.007
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Wertung.

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Eine dritte Möglichkeit ist die, die Dichtung im geschichtlichen pse_685.012
Zusammenhang zu werten. Dabei muß zweierlei unterschieden pse_685.013
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ganz bestimmter Wert in der geschichtlichen Entwicklung pse_685.015
der Dichtkunst zu. Dieser kann aus dem Gesamtblick auf die pse_685.016
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Bedeutung bekannt geblieben. So etwa Corneilles pse_685.019
»Cid«, der Canzoniere des Petrarca, Otfrieds Christusdichtung. pse_685.020
Dieser geschichtliche Wert muß nicht immer mit dem pse_685.021
Wert der Dichtung als künstlerischen Gebildes zusammenfallen, pse_685.022
höchste Kunstwerke werden aber auch meist geschichtlich pse_685.023
bedeutsam sein. Zum geschichtlichen Wert einer pse_685.024
Dichtung gehört auch ihre Anregungskraft. In dieser Hinsicht pse_685.025
stehen Goethes »Werther«, »Götz« und »Lehrjahre« an pse_685.026
besonders hoher Stelle. 2. Eine andere Frage ist die nach der pse_685.027
Art, wie zu gewissen Zeiten gewertet wurde. Goethe und pse_685.028
Schiller haben Hölderlin lange nicht so geschätzt, wie wir es pse_685.029
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als heute. Diese Betrachtung der Wertung früherer Zeiten pse_685.032
führt zur Geschmacksgeschichte. Man hat zu fragen, was in pse_685.033
bestimmten Zeiten gelesen wurde, warum gerade diese Dichtungen. pse_685.034
Es bilden sich Geschmacksgruppen und Geschmacksträger pse_685.035
heraus, die dann mit der Zeit bestimmend dafür werden, pse_685.036
was und wie gedichtet werden soll. Dabei kann es zu pse_685.037
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 685. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/701>, abgerufen am 21.11.2024.