pse_065.001 wurden (so wenig dieser Augenblick als etwas pse_065.002 Historisches faßbar ist), daraus entstanden, daß ein Erfahrungsstück pse_065.003 durch sie aus dem Erfahrungsstrom herausgehoben pse_065.004 und als jederzeit verfügbares geistiges Gebilde geprägt wurde. pse_065.005 Ohne diesen Bezug zu einer außersprachlichen Wirklichkeit pse_065.006 wären sie nicht. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich gleich pse_065.007 der weitere, viel wichtigere: durch dieses ständige Schöpfen pse_065.008 der sprachlichen Formung aus dem Erfahrungsstrom steht pse_065.009 sprachliches Gestalten unmittelbar mit dem Leben in Berührung, pse_065.010 denn das Erfassen der auf uns zuströmenden Welt pse_065.011 und unser geistiges Antworten darauf ist ein Gutteil menschliches pse_065.012 Leben. So erkennen wir: Dichtung steht als Kunst in pse_065.013 der Sprache, aus dem Wesen der Sprache und ihres Schöpfertums pse_065.014 heraus im engen Lebenszusammenhang.
pse_065.015 Nun aber ein weiterer Schritt: wenn auch die dichterische pse_065.016 Wirklichkeit gleichsam ihre Wurzeln bis in die außerdichterische pse_065.017 notwendig hinabreichen läßt, so ist die geschlossene pse_065.018 Welt, die nun kraft der Sprache in der Dichtung vor uns pse_065.019 ersteht, keinesfalls eine, die von Gnaden dieser außerdichterischen pse_065.020 ihre Wirkung hätte oder gar auf sie verwiese, als pse_065.021 ob sie stellvertretend für sie da wäre. Ein solches "als ob" pse_065.022 der dichterischen Welt müssen wir ganz ausschalten. Die Feststellungen, pse_065.023 die etwa in Sätzen eines Romans gemacht werden, pse_065.024 beziehen sich nicht wie in der Alltagssprache auf einen Sachverhalt pse_065.025 in der außersprachlichen Welt, sondern verbleiben pse_065.026 in ihrem Aussagewert ganz in der durch die Dichtung geschaffenen pse_065.027 und repräsentierten Welt. Es geht auch nicht an, pse_065.028 diese Welt der Dichtung etwa als Illusion, als bloß fingiert pse_065.029 anzusehen, weil ihr in der außerdichterischen Wirklichkeit pse_065.030 nichts entspreche. Natürlich gibt es Illusionen in einer Dichtung: pse_065.031 wenn eine Gestalt der Dichtung träumt oder sich pse_065.032 Dinge einbildet, die -- im Raum der dichterischen Welt -- pse_065.033 nicht sind. So wenn Othello an die Untreue seiner Gattin pse_065.034 glaubt, wenn Rustan in Grillparzers "Traum ein Leben" in pse_065.035 seinem Traum ein ganzes wirres Leben mitmacht. Aber pse_065.036 Dichtung selbst ist nie Illusion. Denn das Kriterium für eine pse_065.037 solche ist immer das Messen an der Realität, und ein solches pse_065.038 Messen kommt hier nicht in Frage. Illusion löst immer Enttäuschung
pse_065.001 wurden (so wenig dieser Augenblick als etwas pse_065.002 Historisches faßbar ist), daraus entstanden, daß ein Erfahrungsstück pse_065.003 durch sie aus dem Erfahrungsstrom herausgehoben pse_065.004 und als jederzeit verfügbares geistiges Gebilde geprägt wurde. pse_065.005 Ohne diesen Bezug zu einer außersprachlichen Wirklichkeit pse_065.006 wären sie nicht. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich gleich pse_065.007 der weitere, viel wichtigere: durch dieses ständige Schöpfen pse_065.008 der sprachlichen Formung aus dem Erfahrungsstrom steht pse_065.009 sprachliches Gestalten unmittelbar mit dem Leben in Berührung, pse_065.010 denn das Erfassen der auf uns zuströmenden Welt pse_065.011 und unser geistiges Antworten darauf ist ein Gutteil menschliches pse_065.012 Leben. So erkennen wir: Dichtung steht als Kunst in pse_065.013 der Sprache, aus dem Wesen der Sprache und ihres Schöpfertums pse_065.014 heraus im engen Lebenszusammenhang.
pse_065.015 Nun aber ein weiterer Schritt: wenn auch die dichterische pse_065.016 Wirklichkeit gleichsam ihre Wurzeln bis in die außerdichterische pse_065.017 notwendig hinabreichen läßt, so ist die geschlossene pse_065.018 Welt, die nun kraft der Sprache in der Dichtung vor uns pse_065.019 ersteht, keinesfalls eine, die von Gnaden dieser außerdichterischen pse_065.020 ihre Wirkung hätte oder gar auf sie verwiese, als pse_065.021 ob sie stellvertretend für sie da wäre. Ein solches »als ob« pse_065.022 der dichterischen Welt müssen wir ganz ausschalten. Die Feststellungen, pse_065.023 die etwa in Sätzen eines Romans gemacht werden, pse_065.024 beziehen sich nicht wie in der Alltagssprache auf einen Sachverhalt pse_065.025 in der außersprachlichen Welt, sondern verbleiben pse_065.026 in ihrem Aussagewert ganz in der durch die Dichtung geschaffenen pse_065.027 und repräsentierten Welt. Es geht auch nicht an, pse_065.028 diese Welt der Dichtung etwa als Illusion, als bloß fingiert pse_065.029 anzusehen, weil ihr in der außerdichterischen Wirklichkeit pse_065.030 nichts entspreche. Natürlich gibt es Illusionen in einer Dichtung: pse_065.031 wenn eine Gestalt der Dichtung träumt oder sich pse_065.032 Dinge einbildet, die — im Raum der dichterischen Welt — pse_065.033 nicht sind. So wenn Othello an die Untreue seiner Gattin pse_065.034 glaubt, wenn Rustan in Grillparzers »Traum ein Leben« in pse_065.035 seinem Traum ein ganzes wirres Leben mitmacht. Aber pse_065.036 Dichtung selbst ist nie Illusion. Denn das Kriterium für eine pse_065.037 solche ist immer das Messen an der Realität, und ein solches pse_065.038 Messen kommt hier nicht in Frage. Illusion löst immer Enttäuschung
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Historisches faßbar ist), daraus entstanden, daß ein Erfahrungsstück pse_065.003
durch sie aus dem Erfahrungsstrom herausgehoben pse_065.004
und als jederzeit verfügbares geistiges Gebilde geprägt wurde. pse_065.005
Ohne diesen Bezug zu einer außersprachlichen Wirklichkeit pse_065.006
wären sie nicht. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich gleich pse_065.007
der weitere, viel wichtigere: durch dieses ständige Schöpfen pse_065.008
der sprachlichen Formung aus dem Erfahrungsstrom steht pse_065.009
sprachliches Gestalten unmittelbar mit dem Leben in Berührung, pse_065.010
denn das Erfassen der auf uns zuströmenden Welt pse_065.011
und unser geistiges Antworten darauf ist ein Gutteil menschliches pse_065.012
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Nun aber ein weiterer Schritt: wenn auch die dichterische pse_065.016
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ihre Wirkung hätte oder gar auf sie verwiese, als pse_065.021
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der dichterischen Welt müssen wir ganz ausschalten. Die Feststellungen, pse_065.023
die etwa in Sätzen eines Romans gemacht werden, pse_065.024
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anzusehen, weil ihr in der außerdichterischen Wirklichkeit pse_065.030
nichts entspreche. Natürlich gibt es Illusionen in einer Dichtung: pse_065.031
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seinem Traum ein ganzes wirres Leben mitmacht. Aber pse_065.036
Dichtung selbst ist nie Illusion. Denn das Kriterium für eine pse_065.037
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Messen kommt hier nicht in Frage. Illusion löst immer Enttäuschung
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/81>, abgerufen am 24.11.2024.
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