ohne den Brief gewusst hat, in welch beklagenswerthem Zu- stande die Geburtshilfe sich in Deutschland und namentlich in Wien befinde; er wisse gewiss, dass die Ursache der grossen Sterblichkeit nur in der grenzenlosen Verwahrlosung liege, der die Wöchnerinnen ausgesetzt seien; so werden z. B. gesunde Wöchnerinnen in Betten gelegt, wo eben eine andere gestorben, ohne dass auch nur das Bettzeug gewechselt würde.
Unser Brief beweist auch, dass uns die englische geburts- hilfliche Literatur ganz unbekannt sei, denn wenn wir die englische Literatur kennen würden, würden wir wissen, dass die Engländer das Kindbettfieber längst für eine contagiose Krankheit halten, und zu deren Verhütung Chlorwaschungen anwenden.
Durch diesen Brief fühlten wir uns nicht veranlasst, die Correspondenz mit Prof. Simpson fortzusetzen; unsere Leser verweisen wir aber auf Seite 193 dieser Schrift, wo wir weit- läufig die wesentlichen Unterschiede zwischen der Ansicht englischer Aerzte und meiner, auseinandersetzten.
Dass Simpson nur in Folge einer Uebereilung meine Ansicht über die Entstehung des Kindbettfiebers mit der Ansicht englischer Aerzte für identisch halten konnte, geht aus einer Correspondenz hervor, welche ich mit Med. Doctor F. H. C. Routh in London führte.
Dr. Routh besuchte als Schüler die I. Gebärklinik zu Wien während meiner Assistenz, und das was er gesehen, überzeugte ihn von der Richtigkeit meiner Lehre. Er reiste mit dem Vorsatze in sein Vaterland zurück, meine Lehre dort zu verbreiten, und ich erhielt den ersten Brief dd. 23. Jän- ner 1849 London, folgenden Inhaltes:
"Comitiis in ultimis septimanis Novembris (1848) convo- catis, illic discursus, in quo tuam inventionem enunciavi, reddens tibi, ut voluit justitia, maximam gloriam, praelectus fuit. Enim vero possum dicere, totum discursum optime ex- ceptum fuisse, et multi inter socios doctissimos attestaverunt
ohne den Brief gewusst hat, in welch beklagenswerthem Zu- stande die Geburtshilfe sich in Deutschland und namentlich in Wien befinde; er wisse gewiss, dass die Ursache der grossen Sterblichkeit nur in der grenzenlosen Verwahrlosung liege, der die Wöchnerinnen ausgesetzt seien; so werden z. B. gesunde Wöchnerinnen in Betten gelegt, wo eben eine andere gestorben, ohne dass auch nur das Bettzeug gewechselt würde.
Unser Brief beweist auch, dass uns die englische geburts- hilfliche Literatur ganz unbekannt sei, denn wenn wir die englische Literatur kennen würden, würden wir wissen, dass die Engländer das Kindbettfieber längst für eine contagiose Krankheit halten, und zu deren Verhütung Chlorwaschungen anwenden.
Durch diesen Brief fühlten wir uns nicht veranlasst, die Correspondenz mit Prof. Simpson fortzusetzen; unsere Leser verweisen wir aber auf Seite 193 dieser Schrift, wo wir weit- läufig die wesentlichen Unterschiede zwischen der Ansicht englischer Aerzte und meiner, auseinandersetzten.
Dass Simpson nur in Folge einer Uebereilung meine Ansicht über die Entstehung des Kindbettfiebers mit der Ansicht englischer Aerzte für identisch halten konnte, geht aus einer Correspondenz hervor, welche ich mit Med. Doctor F. H. C. Routh in London führte.
Dr. Routh besuchte als Schüler die I. Gebärklinik zu Wien während meiner Assistenz, und das was er gesehen, überzeugte ihn von der Richtigkeit meiner Lehre. Er reiste mit dem Vorsatze in sein Vaterland zurück, meine Lehre dort zu verbreiten, und ich erhielt den ersten Brief dd. 23. Jän- ner 1849 London, folgenden Inhaltes:
»Comitiis in ultimis septimanis Novembris (1848) convo- catis, illic discursus, in quo tuam inventionem enunciavi, reddens tibi, ut voluit justitia, maximam gloriam, praelectus fuit. Enim vero possum dicere, totum discursum optime ex- ceptum fuisse, et multi inter socios doctissimos attestaverunt
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ohne den Brief gewusst hat, in welch beklagenswerthem Zu-
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in Wien befinde; er wisse gewiss, dass die Ursache der
grossen Sterblichkeit nur in der grenzenlosen Verwahrlosung
liege, der die Wöchnerinnen ausgesetzt seien; so werden z. B.
gesunde Wöchnerinnen in Betten gelegt, wo eben eine andere
gestorben, ohne dass auch nur das Bettzeug gewechselt
würde.
Unser Brief beweist auch, dass uns die englische geburts-
hilfliche Literatur ganz unbekannt sei, denn wenn wir die
englische Literatur kennen würden, würden wir wissen, dass
die Engländer das Kindbettfieber längst für eine contagiose
Krankheit halten, und zu deren Verhütung Chlorwaschungen
anwenden.
Durch diesen Brief fühlten wir uns nicht veranlasst, die
Correspondenz mit Prof. Simpson fortzusetzen; unsere Leser
verweisen wir aber auf Seite 193 dieser Schrift, wo wir weit-
läufig die wesentlichen Unterschiede zwischen der Ansicht
englischer Aerzte und meiner, auseinandersetzten.
Dass Simpson nur in Folge einer Uebereilung meine
Ansicht über die Entstehung des Kindbettfiebers mit der
Ansicht englischer Aerzte für identisch halten konnte, geht
aus einer Correspondenz hervor, welche ich mit Med. Doctor
F. H. C. Routh in London führte.
Dr. Routh besuchte als Schüler die I. Gebärklinik zu
Wien während meiner Assistenz, und das was er gesehen,
überzeugte ihn von der Richtigkeit meiner Lehre. Er reiste
mit dem Vorsatze in sein Vaterland zurück, meine Lehre dort
zu verbreiten, und ich erhielt den ersten Brief dd. 23. Jän-
ner 1849 London, folgenden Inhaltes:
»Comitiis in ultimis septimanis Novembris (1848) convo-
catis, illic discursus, in quo tuam inventionem enunciavi,
reddens tibi, ut voluit justitia, maximam gloriam, praelectus
fuit. Enim vero possum dicere, totum discursum optime ex-
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/295>, abgerufen am 22.11.2024.
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