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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

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den Chlorwaschungen zahlreiche Infectionsfälle von aussen
hatten, weil wir damals noch so unbewandert waren, dass wir
uns nach der Untersuchung eines Medullarkrebses der Gebär-
mutter nicht die Hände in Chlor wuschen, wir sonderten nicht
die Kranken mit dem cariösen Knie, und damals hatten wir
uns auch über Schüler zu beklagen, welche die Chlorwaschun-
gen nicht strenge genug beobachteten. Im Wiener Gebärhause,
in welchem, während die Medicin der anatomischen Grundlage
entbehrte, innerhalb 39 Jahren 25 Jahre nicht eine Wöchnerin
von 100 starb, 7 Jahre 1 Wöchnerin von 100, 5 Jahre 2 Wöch-
nerinnen von 100, 1 Jahr 3 und 1 Jahr 4 Wöchnerinnen von 100
starben, steigerte sich die Sterblichkeit in Folge der anato-
mischen Richtung der Medicin in dem Grade, dass die Sterb-
lichkeit des Gebärhauses als Ganzes genommen im Jahre die
Höhe von 12 % erreichte, die I. Gebärklinik für sich genom-
men, die Höhe von 15 % und die Monate der I. Gebärklinik
genommen bis zur Höhe von 31 %.

Die medicinische Schule zu Prag ist wie die Wiener eine
anatomische; wenn in Wien die anatomische Richtung der
Medicin so viel Unglück über das Wiener Gebärhaus brachte,
so muss dasselbe in Prag, da die Gesetze der Natur in Wien
und in Prag dieselben sind, auch geschehen sein, der natür-
liche Schluss ist daher, dass das Prager Gebärhaus traurigere
Zeiten gesehen haben muss, als während der 15 Monate, von
welchen uns Scanzoni die Rapporte mittheilt. Das Prager
Gebärhaus ist, sowie das Wiener, in eine Klinik für Aerzte
und in eine Klinik für Hebammen eingetheilt, und gewiss
würden wir in Prag dasselbe Factum zur Beobachtung bekom-
men haben, welches wir in Wien und Strassburg beobachteten,
nämlich dass in zwei Abtheilungen einer und derselben An-
stalt ein auffallend differenter Gesundheitszustand, und zwar
zu Ungunsten der Klinik für Aerzte herrsche, wenn nicht durch
regelmässig vorgenommene Transferirungen der Unterschied
ausgeglichen worden wäre.

Für unsere Behauptung, dass das Prager Gebärhaus trau-

den Chlorwaschungen zahlreiche Infectionsfälle von aussen
hatten, weil wir damals noch so unbewandert waren, dass wir
uns nach der Untersuchung eines Medullarkrebses der Gebär-
mutter nicht die Hände in Chlor wuschen, wir sonderten nicht
die Kranken mit dem cariösen Knie, und damals hatten wir
uns auch über Schüler zu beklagen, welche die Chlorwaschun-
gen nicht strenge genug beobachteten. Im Wiener Gebärhause,
in welchem, während die Medicin der anatomischen Grundlage
entbehrte, innerhalb 39 Jahren 25 Jahre nicht eine Wöchnerin
von 100 starb, 7 Jahre 1 Wöchnerin von 100, 5 Jahre 2 Wöch-
nerinnen von 100, 1 Jahr 3 und 1 Jahr 4 Wöchnerinnen von 100
starben, steigerte sich die Sterblichkeit in Folge der anato-
mischen Richtung der Medicin in dem Grade, dass die Sterb-
lichkeit des Gebärhauses als Ganzes genommen im Jahre die
Höhe von 12 % erreichte, die I. Gebärklinik für sich genom-
men, die Höhe von 15 % und die Monate der I. Gebärklinik
genommen bis zur Höhe von 31 %.

Die medicinische Schule zu Prag ist wie die Wiener eine
anatomische; wenn in Wien die anatomische Richtung der
Medicin so viel Unglück über das Wiener Gebärhaus brachte,
so muss dasselbe in Prag, da die Gesetze der Natur in Wien
und in Prag dieselben sind, auch geschehen sein, der natür-
liche Schluss ist daher, dass das Prager Gebärhaus traurigere
Zeiten gesehen haben muss, als während der 15 Monate, von
welchen uns Scanzoni die Rapporte mittheilt. Das Prager
Gebärhaus ist, sowie das Wiener, in eine Klinik für Aerzte
und in eine Klinik für Hebammen eingetheilt, und gewiss
würden wir in Prag dasselbe Factum zur Beobachtung bekom-
men haben, welches wir in Wien und Strassburg beobachteten,
nämlich dass in zwei Abtheilungen einer und derselben An-
stalt ein auffallend differenter Gesundheitszustand, und zwar
zu Ungunsten der Klinik für Aerzte herrsche, wenn nicht durch
regelmässig vorgenommene Transferirungen der Unterschied
ausgeglichen worden wäre.

Für unsere Behauptung, dass das Prager Gebärhaus trau-

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[322/0334] den Chlorwaschungen zahlreiche Infectionsfälle von aussen hatten, weil wir damals noch so unbewandert waren, dass wir uns nach der Untersuchung eines Medullarkrebses der Gebär- mutter nicht die Hände in Chlor wuschen, wir sonderten nicht die Kranken mit dem cariösen Knie, und damals hatten wir uns auch über Schüler zu beklagen, welche die Chlorwaschun- gen nicht strenge genug beobachteten. Im Wiener Gebärhause, in welchem, während die Medicin der anatomischen Grundlage entbehrte, innerhalb 39 Jahren 25 Jahre nicht eine Wöchnerin von 100 starb, 7 Jahre 1 Wöchnerin von 100, 5 Jahre 2 Wöch- nerinnen von 100, 1 Jahr 3 und 1 Jahr 4 Wöchnerinnen von 100 starben, steigerte sich die Sterblichkeit in Folge der anato- mischen Richtung der Medicin in dem Grade, dass die Sterb- lichkeit des Gebärhauses als Ganzes genommen im Jahre die Höhe von 12 % erreichte, die I. Gebärklinik für sich genom- men, die Höhe von 15 % und die Monate der I. Gebärklinik genommen bis zur Höhe von 31 %. Die medicinische Schule zu Prag ist wie die Wiener eine anatomische; wenn in Wien die anatomische Richtung der Medicin so viel Unglück über das Wiener Gebärhaus brachte, so muss dasselbe in Prag, da die Gesetze der Natur in Wien und in Prag dieselben sind, auch geschehen sein, der natür- liche Schluss ist daher, dass das Prager Gebärhaus traurigere Zeiten gesehen haben muss, als während der 15 Monate, von welchen uns Scanzoni die Rapporte mittheilt. Das Prager Gebärhaus ist, sowie das Wiener, in eine Klinik für Aerzte und in eine Klinik für Hebammen eingetheilt, und gewiss würden wir in Prag dasselbe Factum zur Beobachtung bekom- men haben, welches wir in Wien und Strassburg beobachteten, nämlich dass in zwei Abtheilungen einer und derselben An- stalt ein auffallend differenter Gesundheitszustand, und zwar zu Ungunsten der Klinik für Aerzte herrsche, wenn nicht durch regelmässig vorgenommene Transferirungen der Unterschied ausgeglichen worden wäre. Für unsere Behauptung, dass das Prager Gebärhaus trau-

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Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/334>, abgerufen am 22.11.2024.