Wenn Scanzoni sagt, dass er die Möglichkeit einer derar- tigen Infection für einzelne Fälle nicht in Abrede stellen wolle, so ist er wieder in einem Irrthume befangen, welcher uns schon nicht mehr überrascht, denn die Irrthümer drängen sich bei Scanzoni zu sehr, als dass uns ein neuer noch überraschen könnte, und um Scanzoni diesen seinen neuen Irrthum selbst einsehen zu lernen, wollen wir ihn nur auf ein einziges Factum aufmerksam machen. Im Jahre 1841 starben an der 1. Klinik zu Wien 237 Wöchnerinnen am Kindbettfieber, im Jahre 1845 starben 241, im Jahre 1844 starben 260, im Jahre 1843 star- ben 274, im Jahre 1846 starben 459, im Jahre 1842 starben 518 Wöchnerinnen am Kindbettfieber. Im Jahre 1848 haben wir den zersetzten Stoff, welcher die Infection bedingt, durch Chlorwaschungen zerstört, und dadurch haben wir die Infec- tionsfälle auf 45 beschränkt. Ist das Kindbettfieber durch Infection entstanden, an der I. Klinik zu Wien nur in einzel- nen Fällen vorgekommen? Ist aus dem, was an der I. Klinik zu Wien geschehen, nicht erlaubt zu schliessen auf das, was in der Vergangenheit geschehen ist, und auf das, was in der Zukunft geschehen wird?
Uebrigens für Scanzoni ist es immerhin ein Fortschritt, dass er die Möglichkeit einer derartigen Infection für einzelne Fälle nicht in Abrede stellen will. Hiermit sind wir am Ende der Scanzonischen Aetiologie des Kindbettfiebers angelangt, und der Leser hat gesehen, wie schlecht die Scanzonische Aetiologie unsere Kritik vertragen, es hat sich herausgestellt, dass ausgenommen einige Facta, die übrigens schon vor Scanzoni beobachtet wurden, und ausgenommen die einzelnen Fälle, wo Scanzoni eine Infection nicht in Abrede stellen will, das Uebrige alles Irrthum und Täuschung ist, und es wäre ein Glück für das gebärende Geschlecht, wenn es ausser der Scanzonischen nicht noch eine andere Aetiologie des Kindbett- fiebers geben würde. Denn gewiss in Folge epidemischer Ein- flüsse ist noch nie eine Wöchnerin am Kindbettfieber gestorben, in Folge der Individualität ist noch nie eine Wöclmerin am
Wenn Scanzoni sagt, dass er die Möglichkeit einer derar- tigen Infection für einzelne Fälle nicht in Abrede stellen wolle, so ist er wieder in einem Irrthume befangen, welcher uns schon nicht mehr überrascht, denn die Irrthümer drängen sich bei Scanzoni zu sehr, als dass uns ein neuer noch überraschen könnte, und um Scanzoni diesen seinen neuen Irrthum selbst einsehen zu lernen, wollen wir ihn nur auf ein einziges Factum aufmerksam machen. Im Jahre 1841 starben an der 1. Klinik zu Wien 237 Wöchnerinnen am Kindbettfieber, im Jahre 1845 starben 241, im Jahre 1844 starben 260, im Jahre 1843 star- ben 274, im Jahre 1846 starben 459, im Jahre 1842 starben 518 Wöchnerinnen am Kindbettfieber. Im Jahre 1848 haben wir den zersetzten Stoff, welcher die Infection bedingt, durch Chlorwaschungen zerstört, und dadurch haben wir die Infec- tionsfälle auf 45 beschränkt. Ist das Kindbettfieber durch Infection entstanden, an der I. Klinik zu Wien nur in einzel- nen Fällen vorgekommen? Ist aus dem, was an der I. Klinik zu Wien geschehen, nicht erlaubt zu schliessen auf das, was in der Vergangenheit geschehen ist, und auf das, was in der Zukunft geschehen wird?
Uebrigens für Scanzoni ist es immerhin ein Fortschritt, dass er die Möglichkeit einer derartigen Infection für einzelne Fälle nicht in Abrede stellen will. Hiermit sind wir am Ende der Scanzonischen Aetiologie des Kindbettfiebers angelangt, und der Leser hat gesehen, wie schlecht die Scanzonische Aetiologie unsere Kritik vertragen, es hat sich herausgestellt, dass ausgenommen einige Facta, die übrigens schon vor Scanzoni beobachtet wurden, und ausgenommen die einzelnen Fälle, wo Scanzoni eine Infection nicht in Abrede stellen will, das Uebrige alles Irrthum und Täuschung ist, und es wäre ein Glück für das gebärende Geschlecht, wenn es ausser der Scanzonischen nicht noch eine andere Aetiologie des Kindbett- fiebers geben würde. Denn gewiss in Folge epidemischer Ein- flüsse ist noch nie eine Wöchnerin am Kindbettfieber gestorben, in Folge der Individualität ist noch nie eine Wöclmerin am
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Wenn Scanzoni sagt, dass er die Möglichkeit einer derar-
tigen Infection für einzelne Fälle nicht in Abrede stellen wolle,
so ist er wieder in einem Irrthume befangen, welcher uns
schon nicht mehr überrascht, denn die Irrthümer drängen sich
bei Scanzoni zu sehr, als dass uns ein neuer noch überraschen
könnte, und um Scanzoni diesen seinen neuen Irrthum selbst
einsehen zu lernen, wollen wir ihn nur auf ein einziges Factum
aufmerksam machen. Im Jahre 1841 starben an der 1. Klinik
zu Wien 237 Wöchnerinnen am Kindbettfieber, im Jahre 1845
starben 241, im Jahre 1844 starben 260, im Jahre 1843 star-
ben 274, im Jahre 1846 starben 459, im Jahre 1842 starben
518 Wöchnerinnen am Kindbettfieber. Im Jahre 1848 haben
wir den zersetzten Stoff, welcher die Infection bedingt, durch
Chlorwaschungen zerstört, und dadurch haben wir die Infec-
tionsfälle auf 45 beschränkt. Ist das Kindbettfieber durch
Infection entstanden, an der I. Klinik zu Wien nur in einzel-
nen Fällen vorgekommen? Ist aus dem, was an der I. Klinik
zu Wien geschehen, nicht erlaubt zu schliessen auf das, was
in der Vergangenheit geschehen ist, und auf das, was in der
Zukunft geschehen wird?
Uebrigens für Scanzoni ist es immerhin ein Fortschritt,
dass er die Möglichkeit einer derartigen Infection für einzelne
Fälle nicht in Abrede stellen will. Hiermit sind wir am Ende
der Scanzonischen Aetiologie des Kindbettfiebers angelangt,
und der Leser hat gesehen, wie schlecht die Scanzonische
Aetiologie unsere Kritik vertragen, es hat sich herausgestellt,
dass ausgenommen einige Facta, die übrigens schon vor
Scanzoni beobachtet wurden, und ausgenommen die einzelnen
Fälle, wo Scanzoni eine Infection nicht in Abrede stellen will,
das Uebrige alles Irrthum und Täuschung ist, und es wäre ein
Glück für das gebärende Geschlecht, wenn es ausser der
Scanzonischen nicht noch eine andere Aetiologie des Kindbett-
fiebers geben würde. Denn gewiss in Folge epidemischer Ein-
flüsse ist noch nie eine Wöchnerin am Kindbettfieber gestorben,
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/412>, abgerufen am 24.11.2024.
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