theilt werden, auf dem Continente im Verhältniss sehr selten und von einzelnen sehr erfahrenen Aerzten gar nicht gemacht werden. So muss Ref. anführen, dass es ihm, ohngeachtet er seit mehreren Jahren dieser Untersuchung viel Sorgfalt zu- gewendet hat, bei gebotener reichlicher Gelegenheit nie mög- lich wurde, Erfahrungen, die für jene Behauptungen nur halb- wegs entscheidend gewesen wären, zu sammeln. So häufig derselbe nach vorgenommenen Sectionen von an septischem Puerperalfieber Verstorbenen sich ohne angewandte besondere Vorsicht zu Entbindungen und zu Wöchnerinnen begeben musste, so konnte er doch in keinem einzigen Falle wahrnehmen, dass dies für die Wöchnerinnen von irgend einem bemerkbaren Nachtheile gewesen wäre. Nie konnte er den Ursprung des Puerperalfiebers durch Infection von einem gangraenösen Ery- sipel entdecken, und ebensowenig in den Gebäranstalten, in welchen er functionirte, jemals eine Erkrankung einer Nicht- wöchnerin wahrnehmen, die man nur mit Wahrscheinlichkeit durch ein Puerperalfieber veranlast hätte ansehen können.
Die nähere Deutung dieser abweichenden Erfahrungen und Ansichten dürfte vielleicht die Zukunft bieten."
Die Deutung dieser abweichenden Erfahrungen und An- sichten dürfte folgende Anekdote geben.
Es wollte einmal ein Engländer, ein Franzose und ein Deutscher sich die Idee des Löwen verschaffen.
Was thut der Engländer? er unternimmt eine Reise nach Afrika und holt sich dort die Idee des Löwen, der Franzose geht in den Pflanzengarten, um sich dort die Idee des Löwen zu holen, was thut der Deutsche? der Deutsche sperrt sich in seine Studierstube ein, setzt sich an den Schreibtisch, und construirt aus sich heraus die Idee des Löwen. Hirngespinnste verfinstern in dem Grade den Blick, dass die Wirklichkeit nicht gesehen wird. Die höchste Sterblichkeit an der I. Gebärklinik zu Wien war im Jahre 15 %. Kiwisch rechnet mir es als grosses Ver- dienst an, dass ich diese durch Infection bedingte Sterblichkeit reducirt habe; er hatte in Würzburg eine Sterblichkeit von
theilt werden, auf dem Continente im Verhältniss sehr selten und von einzelnen sehr erfahrenen Aerzten gar nicht gemacht werden. So muss Ref. anführen, dass es ihm, ohngeachtet er seit mehreren Jahren dieser Untersuchung viel Sorgfalt zu- gewendet hat, bei gebotener reichlicher Gelegenheit nie mög- lich wurde, Erfahrungen, die für jene Behauptungen nur halb- wegs entscheidend gewesen wären, zu sammeln. So häufig derselbe nach vorgenommenen Sectionen von an septischem Puerperalfieber Verstorbenen sich ohne angewandte besondere Vorsicht zu Entbindungen und zu Wöchnerinnen begeben musste, so konnte er doch in keinem einzigen Falle wahrnehmen, dass dies für die Wöchnerinnen von irgend einem bemerkbaren Nachtheile gewesen wäre. Nie konnte er den Ursprung des Puerperalfiebers durch Infection von einem gangraenösen Ery- sipel entdecken, und ebensowenig in den Gebäranstalten, in welchen er functionirte, jemals eine Erkrankung einer Nicht- wöchnerin wahrnehmen, die man nur mit Wahrscheinlichkeit durch ein Puerperalfieber veranlast hätte ansehen können.
Die nähere Deutung dieser abweichenden Erfahrungen und Ansichten dürfte vielleicht die Zukunft bieten.«
Die Deutung dieser abweichenden Erfahrungen und An- sichten dürfte folgende Anekdote geben.
Es wollte einmal ein Engländer, ein Franzose und ein Deutscher sich die Idee des Löwen verschaffen.
Was thut der Engländer? er unternimmt eine Reise nach Afrika und holt sich dort die Idee des Löwen, der Franzose geht in den Pflanzengarten, um sich dort die Idee des Löwen zu holen, was thut der Deutsche? der Deutsche sperrt sich in seine Studierstube ein, setzt sich an den Schreibtisch, und construirt aus sich heraus die Idee des Löwen. Hirngespinnste verfinstern in dem Grade den Blick, dass die Wirklichkeit nicht gesehen wird. Die höchste Sterblichkeit an der I. Gebärklinik zu Wien war im Jahre 15 %. Kiwisch rechnet mir es als grosses Ver- dienst an, dass ich diese durch Infection bedingte Sterblichkeit reducirt habe; er hatte in Würzburg eine Sterblichkeit von
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theilt werden, auf dem Continente im Verhältniss sehr selten
und von einzelnen sehr erfahrenen Aerzten gar nicht gemacht
werden. So muss Ref. anführen, dass es ihm, ohngeachtet er
seit mehreren Jahren dieser Untersuchung viel Sorgfalt zu-
gewendet hat, bei gebotener reichlicher Gelegenheit nie mög-
lich wurde, Erfahrungen, die für jene Behauptungen nur halb-
wegs entscheidend gewesen wären, zu sammeln. So häufig
derselbe nach vorgenommenen Sectionen von an septischem
Puerperalfieber Verstorbenen sich ohne angewandte besondere
Vorsicht zu Entbindungen und zu Wöchnerinnen begeben musste,
so konnte er doch in keinem einzigen Falle wahrnehmen, dass
dies für die Wöchnerinnen von irgend einem bemerkbaren
Nachtheile gewesen wäre. Nie konnte er den Ursprung des
Puerperalfiebers durch Infection von einem gangraenösen Ery-
sipel entdecken, und ebensowenig in den Gebäranstalten, in
welchen er functionirte, jemals eine Erkrankung einer Nicht-
wöchnerin wahrnehmen, die man nur mit Wahrscheinlichkeit
durch ein Puerperalfieber veranlast hätte ansehen können.
Die nähere Deutung dieser abweichenden Erfahrungen
und Ansichten dürfte vielleicht die Zukunft bieten.«
Die Deutung dieser abweichenden Erfahrungen und An-
sichten dürfte folgende Anekdote geben.
Es wollte einmal ein Engländer, ein Franzose und ein
Deutscher sich die Idee des Löwen verschaffen.
Was thut der Engländer? er unternimmt eine Reise nach
Afrika und holt sich dort die Idee des Löwen, der Franzose geht
in den Pflanzengarten, um sich dort die Idee des Löwen zu
holen, was thut der Deutsche? der Deutsche sperrt sich in seine
Studierstube ein, setzt sich an den Schreibtisch, und construirt
aus sich heraus die Idee des Löwen. Hirngespinnste verfinstern
in dem Grade den Blick, dass die Wirklichkeit nicht gesehen
wird. Die höchste Sterblichkeit an der I. Gebärklinik zu Wien
war im Jahre 15 %. Kiwisch rechnet mir es als grosses Ver-
dienst an, dass ich diese durch Infection bedingte Sterblichkeit
reducirt habe; er hatte in Würzburg eine Sterblichkeit von
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/443>, abgerufen am 23.11.2024.
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