der ersten geburtshilflichen Klinik darin gefunden, dass die Geburtshelfer roher untersuchen, als die Hebammenschüle- rinnen.
Gesetzt, es wäre dem wirklich so, wenn die Einführung, und zwar die noch so rohe Einführung des Zeigefingers in die durch die Schwangerschaft erweiterte und verlängerte Scheide, wenn die noch so rohe Berührung des durch die Scheide zu- gängigen Uterus-Abschnittes schon eine solche Schädlichkeit wäre, dass sie einen so furchtbaren Process als der Puerpe- ralprocess ist, hervorzurufen im Stande wäre, da müsste ja der Durchtritt des Kindeskörpers durch die Genitalien eine solche Schädlichkeit sein, dass es nicht zu begreifen wäre, warum nicht jede Geburt tödtlich ende.
Man hat in dem verletzten Schamgefühle der Individuen, welche auf der ersten geburtshilflichen Klinik in Gegenwart der Männer entbinden, die Ursache der grösseren Sterblich- keit gefunden. Derjenige, welcher mit den Verhältnissen des Wiener Gebärhauses vertraut ist, wird nicht zweifeln, dass die Individuen auf der ersten geburtshilflichen Abtheilung zwar von Furcht, aber nicht vom verletzten Schamgefühle geplagt sind; übrigens ist nicht einzusehen, wie das verletzte Scham- gefühl Exsudationsprozesse hervorzubringen im Stande ist.
Dass die medicinische Behandlung nicht Schuld daran war, dass an der ersten geburtshilflichen Klinik mehr Indivi- duen starben, geht daraus hervor, dass die medicinische Be- handlung an beiden Abtheilungen gleich war, und man hat ver- suchsweise von Zeit zu Zeit sämmtliche kranke Wöchnerinnen ins allgemeine Krankenhaus transferirt, wo sie aber dennoch den verschiedensten Behandlungen erlagen. Es war auch das Verhältniss auf den beiden Abtheilungen nicht derart, dass auf beiden Abtheilungen gleich viele erkrankten, und dann auf der ersten wenig genasen und viele starben, an der zweiten aber viele genasen und wenig starben: sondern es erkrankten auf der ersten Abtheilung mehr Wöchnerinnen und auf der zweiten weniger Wöchnerinnen. Die Genesungs-
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der ersten geburtshilflichen Klinik darin gefunden, dass die Geburtshelfer roher untersuchen, als die Hebammenschüle- rinnen.
Gesetzt, es wäre dem wirklich so, wenn die Einführung, und zwar die noch so rohe Einführung des Zeigefingers in die durch die Schwangerschaft erweiterte und verlängerte Scheide, wenn die noch so rohe Berührung des durch die Scheide zu- gängigen Uterus-Abschnittes schon eine solche Schädlichkeit wäre, dass sie einen so furchtbaren Process als der Puerpe- ralprocess ist, hervorzurufen im Stande wäre, da müsste ja der Durchtritt des Kindeskörpers durch die Genitalien eine solche Schädlichkeit sein, dass es nicht zu begreifen wäre, warum nicht jede Geburt tödtlich ende.
Man hat in dem verletzten Schamgefühle der Individuen, welche auf der ersten geburtshilflichen Klinik in Gegenwart der Männer entbinden, die Ursache der grösseren Sterblich- keit gefunden. Derjenige, welcher mit den Verhältnissen des Wiener Gebärhauses vertraut ist, wird nicht zweifeln, dass die Individuen auf der ersten geburtshilflichen Abtheilung zwar von Furcht, aber nicht vom verletzten Schamgefühle geplagt sind; übrigens ist nicht einzusehen, wie das verletzte Scham- gefühl Exsudationsprozesse hervorzubringen im Stande ist.
Dass die medicinische Behandlung nicht Schuld daran war, dass an der ersten geburtshilflichen Klinik mehr Indivi- duen starben, geht daraus hervor, dass die medicinische Be- handlung an beiden Abtheilungen gleich war, und man hat ver- suchsweise von Zeit zu Zeit sämmtliche kranke Wöchnerinnen ins allgemeine Krankenhaus transferirt, wo sie aber dennoch den verschiedensten Behandlungen erlagen. Es war auch das Verhältniss auf den beiden Abtheilungen nicht derart, dass auf beiden Abtheilungen gleich viele erkrankten, und dann auf der ersten wenig genasen und viele starben, an der zweiten aber viele genasen und wenig starben: sondern es erkrankten auf der ersten Abtheilung mehr Wöchnerinnen und auf der zweiten weniger Wöchnerinnen. Die Genesungs-
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der ersten geburtshilflichen Klinik darin gefunden, dass die
Geburtshelfer roher untersuchen, als die Hebammenschüle-
rinnen.
Gesetzt, es wäre dem wirklich so, wenn die Einführung,
und zwar die noch so rohe Einführung des Zeigefingers in die
durch die Schwangerschaft erweiterte und verlängerte Scheide,
wenn die noch so rohe Berührung des durch die Scheide zu-
gängigen Uterus-Abschnittes schon eine solche Schädlichkeit
wäre, dass sie einen so furchtbaren Process als der Puerpe-
ralprocess ist, hervorzurufen im Stande wäre, da müsste ja
der Durchtritt des Kindeskörpers durch die Genitalien eine
solche Schädlichkeit sein, dass es nicht zu begreifen wäre,
warum nicht jede Geburt tödtlich ende.
Man hat in dem verletzten Schamgefühle der Individuen,
welche auf der ersten geburtshilflichen Klinik in Gegenwart
der Männer entbinden, die Ursache der grösseren Sterblich-
keit gefunden. Derjenige, welcher mit den Verhältnissen des
Wiener Gebärhauses vertraut ist, wird nicht zweifeln, dass die
Individuen auf der ersten geburtshilflichen Abtheilung zwar
von Furcht, aber nicht vom verletzten Schamgefühle geplagt
sind; übrigens ist nicht einzusehen, wie das verletzte Scham-
gefühl Exsudationsprozesse hervorzubringen im Stande ist.
Dass die medicinische Behandlung nicht Schuld daran
war, dass an der ersten geburtshilflichen Klinik mehr Indivi-
duen starben, geht daraus hervor, dass die medicinische Be-
handlung an beiden Abtheilungen gleich war, und man hat ver-
suchsweise von Zeit zu Zeit sämmtliche kranke Wöchnerinnen
ins allgemeine Krankenhaus transferirt, wo sie aber dennoch
den verschiedensten Behandlungen erlagen. Es war auch das
Verhältniss auf den beiden Abtheilungen nicht derart, dass
auf beiden Abtheilungen gleich viele erkrankten, und dann
auf der ersten wenig genasen und viele starben, an der
zweiten aber viele genasen und wenig starben: sondern es
erkrankten auf der ersten Abtheilung mehr Wöchnerinnen
und auf der zweiten weniger Wöchnerinnen. Die Genesungs-
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/47>, abgerufen am 21.11.2024.
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