ihn mit vollem Recht Eridanus, den Gabenbringer oder den Wogenwälzer genennt, nachdem Du nun die Erklärung machen willst. Eridanus und Rhodanus scheinen mir ganz die nehmlichen Namen zu seyn.
Wenn man an einem hellen kalten Abende zu Anfange des Februars einige Stunden auf dem Wasser gefahren ist, so ist ein gutes warmes Zimmer, eine Suppe und ein frisch gebratener Kapaun ein sehr an¬ genehmer Willkommen. Diesen fand ich in Ponte di Lagoscuro und wandelte den Morgen darauf in dem fürchterlichsten Regen auf einem ziemlich guten Wege die kleine Strecke nach Ferrara. Hier blieb ich und schlenderte den Nachmittag in der Stadt herum. Die architektonische Anlage des Orts ist sehr gut, die Strassen sind lang und breit und hell. Es fehlt der ganzen Stadt nur eine Kleinigkeit, nehmlich Men¬ schen. Französische Soldaten sah man überall genug, aber Einwohner desto weniger. Die öffentlichen Ge¬ bäude und Gärten und Plätze sind nicht ohne Schön¬ heit. Mehrere Stunden war ich in der Kathedrale und dem Universitätsgebäude. Am Eingange sind hier wie in Wien an der Bibliothek, sehr viele alte latei¬ nische Inschriften eingemauert, die meistens Leichen¬ steine sind und für mich wenig Interesse haben. Die Bibliothek aber ist ziemlich ansehnlich; und man wie¬ derholte mit Nachdruck einige Mahl, dass durchaus kein Fürst etwas dazu gegeben habe, sondern, dass alles durch die Beyträge des Publikums und von Privatleu¬ ten nur seit ungefähr funfzig Jahren angeschaft worden sey. Auf der Bibliothek findet sich jetzt auch das Grab und das Monument Ariosts, das sonst bey den
ihn mit vollem Recht Eridanus, den Gabenbringer oder den Wogenwälzer genennt, nachdem Du nun die Erklärung machen willst. Eridanus und Rhodanus scheinen mir ganz die nehmlichen Namen zu seyn.
Wenn man an einem hellen kalten Abende zu Anfange des Februars einige Stunden auf dem Wasser gefahren ist, so ist ein gutes warmes Zimmer, eine Suppe und ein frisch gebratener Kapaun ein sehr an¬ genehmer Willkommen. Diesen fand ich in Ponte di Lagoscuro und wandelte den Morgen darauf in dem fürchterlichsten Regen auf einem ziemlich guten Wege die kleine Strecke nach Ferrara. Hier blieb ich und schlenderte den Nachmittag in der Stadt herum. Die architektonische Anlage des Orts ist sehr gut, die Straſsen sind lang und breit und hell. Es fehlt der ganzen Stadt nur eine Kleinigkeit, nehmlich Men¬ schen. Französische Soldaten sah man überall genug, aber Einwohner desto weniger. Die öffentlichen Ge¬ bäude und Gärten und Plätze sind nicht ohne Schön¬ heit. Mehrere Stunden war ich in der Kathedrale und dem Universitätsgebäude. Am Eingange sind hier wie in Wien an der Bibliothek, sehr viele alte latei¬ nische Inschriften eingemauert, die meistens Leichen¬ steine sind und für mich wenig Interesse haben. Die Bibliothek aber ist ziemlich ansehnlich; und man wie¬ derholte mit Nachdruck einige Mahl, daſs durchaus kein Fürst etwas dazu gegeben habe, sondern, daſs alles durch die Beyträge des Publikums und von Privatleu¬ ten nur seit ungefähr funfzig Jahren angeschaft worden sey. Auf der Bibliothek findet sich jetzt auch das Grab und das Monument Ariosts, das sonst bey den
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ihn mit vollem Recht Eridanus, den Gabenbringer
oder den Wogenwälzer genennt, nachdem Du nun
die Erklärung machen willst. Eridanus und Rhodanus
scheinen mir ganz die nehmlichen Namen zu seyn.
Wenn man an einem hellen kalten Abende zu
Anfange des Februars einige Stunden auf dem Wasser
gefahren ist, so ist ein gutes warmes Zimmer, eine
Suppe und ein frisch gebratener Kapaun ein sehr an¬
genehmer Willkommen. Diesen fand ich in Ponte di
Lagoscuro und wandelte den Morgen darauf in dem
fürchterlichsten Regen auf einem ziemlich guten
Wege die kleine Strecke nach Ferrara. Hier blieb ich
und schlenderte den Nachmittag in der Stadt herum.
Die architektonische Anlage des Orts ist sehr gut, die
Straſsen sind lang und breit und hell. Es fehlt der
ganzen Stadt nur eine Kleinigkeit, nehmlich Men¬
schen. Französische Soldaten sah man überall genug,
aber Einwohner desto weniger. Die öffentlichen Ge¬
bäude und Gärten und Plätze sind nicht ohne Schön¬
heit. Mehrere Stunden war ich in der Kathedrale
und dem Universitätsgebäude. Am Eingange sind hier
wie in Wien an der Bibliothek, sehr viele alte latei¬
nische Inschriften eingemauert, die meistens Leichen¬
steine sind und für mich wenig Interesse haben. Die
Bibliothek aber ist ziemlich ansehnlich; und man wie¬
derholte mit Nachdruck einige Mahl, daſs durchaus
kein Fürst etwas dazu gegeben habe, sondern, daſs alles
durch die Beyträge des Publikums und von Privatleu¬
ten nur seit ungefähr funfzig Jahren angeschaft worden
sey. Auf der Bibliothek findet sich jetzt auch das
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/138>, abgerufen am 27.11.2024.
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