gab man das beliebte Spiel Tombola, wovon ich vorher gar keinen Begriff hatte und auch jetzt noch keinen deutlichen bekommen habe, da es mir an jeder Art Spielgeist fehlt. Es ist eine Art Lotterie aus dem Stegreif, die für das Publikum auf dem Theater nach dem Stücke mit allgemeiner Theilnahme enthusiattisch gespielt wird. Die Anstalten waren sehr feyerlich; es waren Munizipalbeamten mit Wache auf dem Thea¬ ter, die Lose wurden vorher ausgerufen, alle gezeigt, und einem Knaben in den Sack geworfen. Ob man gleich nur um einige Scudi spielte, hätte man doch glauben sollen, es ginge um die Schätze Golkondas, so ein Feuereifer belebte alle Theilnehmer. Mir hätte das Spiel herzlich lange Weile gemacht, wie alle der¬ gleichen Hazardspiele, wenn nicht die Physionomien der Spielenden einiges Vergnügen gewährt hätten. Mein Cicerone war ein gewaltig gelehrter Kerl, und sprach und räsonnierte von Schulen und Meistern und Gemählden so strömend, als ob er die Dialektik stu¬ diert hätte und Professor der Aesthetik wäre; und er konnte es gar nicht zusammen reimen, dass ich nicht wenigstens vierzehn Tage hier bleiben wollte, die Reichthümer der Kunst zu bewundern. Er hielt mich halb für einen Barbaren und halb für einen armen Teu¬ fel; und ich überlasse Dirs, in wie weit er in beydem Recht hat. Ich ging trotz seinen Demonstrationen und Remonstrationen den andern Morgen zum Thore hinaus.
gab man das beliebte Spiel Tombola, wovon ich vorher gar keinen Begriff hatte und auch jetzt noch keinen deutlichen bekommen habe, da es mir an jeder Art Spielgeist fehlt. Es ist eine Art Lotterie aus dem Stegreif, die für das Publikum auf dem Theater nach dem Stücke mit allgemeiner Theilnahme enthusiattisch gespielt wird. Die Anstalten waren sehr feyerlich; es waren Munizipalbeamten mit Wache auf dem Thea¬ ter, die Lose wurden vorher ausgerufen, alle gezeigt, und einem Knaben in den Sack geworfen. Ob man gleich nur um einige Scudi spielte, hätte man doch glauben sollen, es ginge um die Schätze Golkondas, so ein Feuereifer belebte alle Theilnehmer. Mir hätte das Spiel herzlich lange Weile gemacht, wie alle der¬ gleichen Hazardspiele, wenn nicht die Physionomien der Spielenden einiges Vergnügen gewährt hätten. Mein Cicerone war ein gewaltig gelehrter Kerl, und sprach und räsonnierte von Schulen und Meistern und Gemählden so strömend, als ob er die Dialektik stu¬ diert hätte und Professor der Aesthetik wäre; und er konnte es gar nicht zusammen reimen, daſs ich nicht wenigstens vierzehn Tage hier bleiben wollte, die Reichthümer der Kunst zu bewundern. Er hielt mich halb für einen Barbaren und halb für einen armen Teu¬ fel; und ich überlasse Dirs, in wie weit er in beydem Recht hat. Ich ging trotz seinen Demonstrationen und Remonstrationen den andern Morgen zum Thore hinaus.
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gab man das beliebte Spiel Tombola, wovon ich
vorher gar keinen Begriff hatte und auch jetzt noch
keinen deutlichen bekommen habe, da es mir an jeder
Art Spielgeist fehlt. Es ist eine Art Lotterie aus dem
Stegreif, die für das Publikum auf dem Theater nach
dem Stücke mit allgemeiner Theilnahme enthusiattisch
gespielt wird. Die Anstalten waren sehr feyerlich; es
waren Munizipalbeamten mit Wache auf dem Thea¬
ter, die Lose wurden vorher ausgerufen, alle gezeigt,
und einem Knaben in den Sack geworfen. Ob man
gleich nur um einige Scudi spielte, hätte man doch
glauben sollen, es ginge um die Schätze Golkondas,
so ein Feuereifer belebte alle Theilnehmer. Mir hätte
das Spiel herzlich lange Weile gemacht, wie alle der¬
gleichen Hazardspiele, wenn nicht die Physionomien
der Spielenden einiges Vergnügen gewährt hätten.
Mein Cicerone war ein gewaltig gelehrter Kerl, und
sprach und räsonnierte von Schulen und Meistern und
Gemählden so strömend, als ob er die Dialektik stu¬
diert hätte und Professor der Aesthetik wäre; und er
konnte es gar nicht zusammen reimen, daſs ich nicht
wenigstens vierzehn Tage hier bleiben wollte, die
Reichthümer der Kunst zu bewundern. Er hielt mich
halb für einen Barbaren und halb für einen armen Teu¬
fel; und ich überlasse Dirs, in wie weit er in beydem
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/144>, abgerufen am 28.11.2024.
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