Gesellschaft besteht meistens aus Fremden, Englän¬ dern, Deutschen und Franzosen; die letzten machen jetzt hier die grösste Anzahl aus.
Seit einigen Tagen bin ich mit einem alten Ge¬ nuesen, der halb Europa kennt und hier den Lohnbe¬ dienten und ein Stück von Cicerone macht, in der Stadt herum gelaufen. Der alte Kerl hat ziemlich viel Sinn und richtigen Takt für das Gute und sogar für das Schöne. Er hielt mir einen langen Sermon über die Landhäuser der Kaufleute rund in der Ge¬ gend umher, und bemerkte mit censorischer Strenge, dass sie das Verderben vieler Familien würden. Man weiteifere gewöhnlich, wer das schönste Landhaus und die schönste Equipage habe, wer auf seinem Ca¬ sino die ausgesuchtesten Vergnügen geniesse und ge¬ niessen lasse, und weiteifere sich oft zur Vergessenheit, und endlich ins Unglück. Sitten und Ehre und Ver¬ mögen werden vergeudet. Kaum habe der Kaufmann ein kleines Etablissement in der Stadt, so denke er schon auf eines auf dem Lande; und das zweyte koste oft mehr als das erste. Spiel und Weibergalanterie und das verfluchte oft abwechselnde Cicisbeat seyen die stärksten Gegenstände des Aufwands; und doch sey das Cicisbeat hier noch nicht so herrschend als in Rom. Ich sah die Kirche des heiligen Januar in der Stadt; Neapel sollte, däucht mich, eine bessere Kathedrale haben. Das vorzüglichste darin sind einige merkwür¬ dige Grabsteine und die Kapelle des Heiligen. Dieses ist aber nicht der Ort, wo er gewöhnlich schwitzen muss; das geschieht vor der Stadt in dem Hospital bey den Katakomben. In den Katakomben kroch ich über
Gesellschaft besteht meistens aus Fremden, Englän¬ dern, Deutschen und Franzosen; die letzten machen jetzt hier die gröſste Anzahl aus.
Seit einigen Tagen bin ich mit einem alten Ge¬ nuesen, der halb Europa kennt und hier den Lohnbe¬ dienten und ein Stück von Cicerone macht, in der Stadt herum gelaufen. Der alte Kerl hat ziemlich viel Sinn und richtigen Takt für das Gute und sogar für das Schöne. Er hielt mir einen langen Sermon über die Landhäuser der Kaufleute rund in der Ge¬ gend umher, und bemerkte mit censorischer Strenge, daſs sie das Verderben vieler Familien würden. Man weiteifere gewöhnlich, wer das schönste Landhaus und die schönste Equipage habe, wer auf seinem Ca¬ sino die ausgesuchtesten Vergnügen genieſse und ge¬ nieſsen lasse, und weiteifere sich oft zur Vergessenheit, und endlich ins Unglück. Sitten und Ehre und Ver¬ mögen werden vergeudet. Kaum habe der Kaufmann ein kleines Etablissement in der Stadt, so denke er schon auf eines auf dem Lande; und das zweyte koste oft mehr als das erste. Spiel und Weibergalanterie und das verfluchte oft abwechselnde Cicisbeat seyen die stärksten Gegenstände des Aufwands; und doch sey das Cicisbeat hier noch nicht so herrschend als in Rom. Ich sah die Kirche des heiligen Januar in der Stadt; Neapel sollte, däucht mich, eine bessere Kathedrale haben. Das vorzüglichste darin sind einige merkwür¬ dige Grabsteine und die Kapelle des Heiligen. Dieses ist aber nicht der Ort, wo er gewöhnlich schwitzen muſs; das geschieht vor der Stadt in dem Hospital bey den Katakomben. In den Katakomben kroch ich über
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0213"n="187"/>
Gesellschaft besteht meistens aus Fremden, Englän¬<lb/>
dern, Deutschen und Franzosen; die letzten machen<lb/>
jetzt hier die gröſste Anzahl aus.</p><lb/><p>Seit einigen Tagen bin ich mit einem alten Ge¬<lb/>
nuesen, der halb Europa kennt und hier den Lohnbe¬<lb/>
dienten und ein Stück von Cicerone macht, in der<lb/>
Stadt herum gelaufen. Der alte Kerl hat ziemlich<lb/>
viel Sinn und richtigen Takt für das Gute und sogar<lb/>
für das Schöne. Er hielt mir einen langen Sermon<lb/>
über die Landhäuser der Kaufleute rund in der Ge¬<lb/>
gend umher, und bemerkte mit censorischer Strenge,<lb/>
daſs sie das Verderben vieler Familien würden. Man<lb/>
weiteifere gewöhnlich, wer das schönste Landhaus<lb/>
und die schönste Equipage habe, wer auf seinem Ca¬<lb/>
sino die ausgesuchtesten Vergnügen genieſse und ge¬<lb/>
nieſsen lasse, und weiteifere sich oft zur Vergessenheit,<lb/>
und endlich ins Unglück. Sitten und Ehre und Ver¬<lb/>
mögen werden vergeudet. Kaum habe der Kaufmann<lb/>
ein kleines Etablissement in der Stadt, so denke er<lb/>
schon auf eines auf dem Lande; und das zweyte koste<lb/>
oft mehr als das erste. Spiel und Weibergalanterie<lb/>
und das verfluchte oft abwechselnde Cicisbeat seyen die<lb/>
stärksten Gegenstände des Aufwands; und doch sey das<lb/>
Cicisbeat hier noch nicht so herrschend als in Rom.<lb/>
Ich sah die Kirche des heiligen Januar in der Stadt;<lb/>
Neapel sollte, däucht mich, eine bessere Kathedrale<lb/>
haben. Das vorzüglichste darin sind einige merkwür¬<lb/>
dige Grabsteine und die Kapelle des Heiligen. Dieses<lb/>
ist aber nicht der Ort, wo er gewöhnlich schwitzen<lb/>
muſs; das geschieht vor der Stadt in dem Hospital bey<lb/>
den Katakomben. In den Katakomben kroch ich über<lb/></p></div></body></text></TEI>
[187/0213]
Gesellschaft besteht meistens aus Fremden, Englän¬
dern, Deutschen und Franzosen; die letzten machen
jetzt hier die gröſste Anzahl aus.
Seit einigen Tagen bin ich mit einem alten Ge¬
nuesen, der halb Europa kennt und hier den Lohnbe¬
dienten und ein Stück von Cicerone macht, in der
Stadt herum gelaufen. Der alte Kerl hat ziemlich
viel Sinn und richtigen Takt für das Gute und sogar
für das Schöne. Er hielt mir einen langen Sermon
über die Landhäuser der Kaufleute rund in der Ge¬
gend umher, und bemerkte mit censorischer Strenge,
daſs sie das Verderben vieler Familien würden. Man
weiteifere gewöhnlich, wer das schönste Landhaus
und die schönste Equipage habe, wer auf seinem Ca¬
sino die ausgesuchtesten Vergnügen genieſse und ge¬
nieſsen lasse, und weiteifere sich oft zur Vergessenheit,
und endlich ins Unglück. Sitten und Ehre und Ver¬
mögen werden vergeudet. Kaum habe der Kaufmann
ein kleines Etablissement in der Stadt, so denke er
schon auf eines auf dem Lande; und das zweyte koste
oft mehr als das erste. Spiel und Weibergalanterie
und das verfluchte oft abwechselnde Cicisbeat seyen die
stärksten Gegenstände des Aufwands; und doch sey das
Cicisbeat hier noch nicht so herrschend als in Rom.
Ich sah die Kirche des heiligen Januar in der Stadt;
Neapel sollte, däucht mich, eine bessere Kathedrale
haben. Das vorzüglichste darin sind einige merkwür¬
dige Grabsteine und die Kapelle des Heiligen. Dieses
ist aber nicht der Ort, wo er gewöhnlich schwitzen
muſs; das geschieht vor der Stadt in dem Hospital bey
den Katakomben. In den Katakomben kroch ich über
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/213>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.