kus; und man giebt ihr Schuld, sie habe beyde insbe¬ sondere glauben lassen, sie sey jedem ausschliesslich mit sehr feuriger christlicher Liebe zugethan. Dieses thut ihr in ihrer Heiligkeit weiter keinen Schaden. Je¬ der der beyden Heiligen glaubte es für sich und war selig, wie das zuweilen auch ohne Heiligkeit zu gehen pflegt. Dominikus war ein grosser starker energischer Kerl, ungefähr wie der Moses des Michel Angelo in Rom, und sein Nebenbuhler Franciskus mehr ein äthe¬ rischer sentimentaler Stutzer, der auch seine Talente zu gebrauchen wusste. Nun sollen auch die heiligen Damen zu verschiedenen Zeiten verschiedene Qualitä¬ ten lieben. Der handfeste Dominikus traf einmal den brünstigen Franciskus mit der heiligen Klara in einer geistlichen Ekstase, die seiner Eifersucht etwas zu kör¬ perlich vorkam; er ergriff in der Wuth die nächste Waffe, welches ein Bratspiess war, und stiess damit so grimmig auf den unbefugten Himmelsführer los, dass er den armen schwachen Franz fast vor der Zeit da¬ hin geschickt hätte. Indess der Patient kam davon, und aus dieser schönen Züchtigung entstanden die Stigmen, die noch jetzt in der christlichen Katholicität mit allgemeiner Andacht verehrt werden. Ich habe, wie ich Dir erzählte, ihm in Rom gegen über gewohnt, und sie dort hinlänglich in Marmor dokumentirt ge¬ sehen. Mein Genuese sagte mir die heilige Anekdote nur vertraulich ins Ohr, und wollte übrigens als ein guter Orthodox weiter keine Glosse darüber machen, als dass ihm halb unwillkührlich entfuhr: Quelles be¬ tises on nous donne a digerer! Chacun les prend a sa facon.
kus; und man giebt ihr Schuld, sie habe beyde insbe¬ sondere glauben lassen, sie sey jedem ausschlieſslich mit sehr feuriger christlicher Liebe zugethan. Dieses thut ihr in ihrer Heiligkeit weiter keinen Schaden. Je¬ der der beyden Heiligen glaubte es für sich und war selig, wie das zuweilen auch ohne Heiligkeit zu gehen pflegt. Dominikus war ein groſser starker energischer Kerl, ungefähr wie der Moſes des Michel Angelo in Rom, und sein Nebenbuhler Franciskus mehr ein äthe¬ rischer sentimentaler Stutzer, der auch seine Talente zu gebrauchen wuſste. Nun sollen auch die heiligen Damen zu verschiedenen Zeiten verschiedene Qualitä¬ ten lieben. Der handfeste Dominikus traf einmal den brünstigen Franciskus mit der heiligen Klara in einer geistlichen Ekstase, die seiner Eifersucht etwas zu kör¬ perlich vorkam; er ergriff in der Wuth die nächste Waffe, welches ein Bratspieſs war, und stieſs damit so grimmig auf den unbefugten Himmelsführer los, daſs er den armen schwachen Franz fast vor der Zeit da¬ hin geschickt hätte. Indeſs der Patient kam davon, und aus dieser schönen Züchtigung entstanden die Stigmen, die noch jetzt in der christlichen Katholicität mit allgemeiner Andacht verehrt werden. Ich habe, wie ich Dir erzählte, ihm in Rom gegen über gewohnt, und sie dort hinlänglich in Marmor dokumentirt ge¬ sehen. Mein Genuese sagte mir die heilige Anekdote nur vertraulich ins Ohr, und wollte übrigens als ein guter Orthodox weiter keine Glosse darüber machen, als daſs ihm halb unwillkührlich entfuhr: Quelles be¬ tises on nous donne à digerer! Chacun les prend à sa façon.
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kus; und man giebt ihr Schuld, sie habe beyde insbe¬
sondere glauben lassen, sie sey jedem ausschlieſslich
mit sehr feuriger christlicher Liebe zugethan. Dieses
thut ihr in ihrer Heiligkeit weiter keinen Schaden. Je¬
der der beyden Heiligen glaubte es für sich und war
selig, wie das zuweilen auch ohne Heiligkeit zu gehen
pflegt. Dominikus war ein groſser starker energischer
Kerl, ungefähr wie der Moſes des Michel Angelo in
Rom, und sein Nebenbuhler Franciskus mehr ein äthe¬
rischer sentimentaler Stutzer, der auch seine Talente
zu gebrauchen wuſste. Nun sollen auch die heiligen
Damen zu verschiedenen Zeiten verschiedene Qualitä¬
ten lieben. Der handfeste Dominikus traf einmal den
brünstigen Franciskus mit der heiligen Klara in einer
geistlichen Ekstase, die seiner Eifersucht etwas zu kör¬
perlich vorkam; er ergriff in der Wuth die nächste
Waffe, welches ein Bratspieſs war, und stieſs damit so
grimmig auf den unbefugten Himmelsführer los, daſs
er den armen schwachen Franz fast vor der Zeit da¬
hin geschickt hätte. Indeſs der Patient kam davon,
und aus dieser schönen Züchtigung entstanden die
Stigmen, die noch jetzt in der christlichen Katholicität
mit allgemeiner Andacht verehrt werden. Ich habe,
wie ich Dir erzählte, ihm in Rom gegen über gewohnt,
und sie dort hinlänglich in Marmor dokumentirt ge¬
sehen. Mein Genuese sagte mir die heilige Anekdote
nur vertraulich ins Ohr, und wollte übrigens als ein
guter Orthodox weiter keine Glosse darüber machen,
als daſs ihm halb unwillkührlich entfuhr: Quelles be¬
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/215>, abgerufen am 26.11.2024.
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