noch zu sehen genöthigt war, will ich Dir nur die Galerie Sampieri erwähnen. Sie ist nicht gross, aber köstlich. Die Plafonds sind von den drey Caracci, Hannibal, Ludwig und August, und könnten mit Eh¬ ren in Rom unter den besten stehen. Das schönste Stück der Sammlung, und nach einigen die beste Ar¬ beit von Guido Reni, ist der reuige Petrus. Die Kunst mag allerdings dieses Urtheil der Kenner recht¬ fertigen; aber mich hat weit mehr beschäftigt die Ha¬ gar von Guercino. Dieser Künstler hat den Mythus gefasst, wie Rechtlichkeit und Humanität es fordern, nicht wie die leichtgläubige Frömmigkeit ihn herbe¬ tet. Hagar ist ein schönes herrliches Ehrfurcht gebie¬ tendes Weib, das in dem Gefühl seines Werths da steht; der Vater der Gläubigen ist ein jämmerlicher Sünder unter dem Scepter seiner Ehehälfre, und diese kann halb versteckt ihre kleine boshafte neidische Seele kaum verbergen. Nur dem Knaben Ismael wäre vielleicht jetzt schon etwas mehr von dem kühnen Trotze zu wünschen, der ihn in der Folge so vortheil¬ haft auszeichnet. Es kann mit der Volksbildung nicht wohl weiter gedeihen, so lange man noch dieses Buch als göttliche Norm der Moral aufdringt und jedes Jota desselben mit Theopnevstie stempelt. Es enthält so vielen schiefen Sinn, so viele Unsittlichkeiten in Bey¬ spielen und Vorschriften, dass ich oft mit vieler Ue¬ berlegung zu sagen pflege, der Himmel möge mich vor Davids Frömmigkeit und Salomons Weisheit be¬ hüten. Man windet sich hierüber eben so schlecht, wie bey der Vergebung der Sünden. Wenn man das Ganze als ein Gewebe menschlicher Thorheiten und
noch zu sehen genöthigt war, will ich Dir nur die Galerie Sampieri erwähnen. Sie ist nicht groſs, aber köstlich. Die Plafonds sind von den drey Caracci, Hannibal, Ludwig und August, und könnten mit Eh¬ ren in Rom unter den besten stehen. Das schönste Stück der Sammlung, und nach einigen die beste Ar¬ beit von Guido Reni, ist der reuige Petrus. Die Kunst mag allerdings dieses Urtheil der Kenner recht¬ fertigen; aber mich hat weit mehr beschäftigt die Ha¬ gar von Guercino. Dieser Künstler hat den Mythus gefaſst, wie Rechtlichkeit und Humanität es fordern, nicht wie die leichtgläubige Frömmigkeit ihn herbe¬ tet. Hagar ist ein schönes herrliches Ehrfurcht gebie¬ tendes Weib, das in dem Gefühl seines Werths da steht; der Vater der Gläubigen ist ein jämmerlicher Sünder unter dem Scepter seiner Ehehälfre, und diese kann halb versteckt ihre kleine boshafte neidische Seele kaum verbergen. Nur dem Knaben Ismael wäre vielleicht jetzt schon etwas mehr von dem kühnen Trotze zu wünschen, der ihn in der Folge so vortheil¬ haft auszeichnet. Es kann mit der Volksbildung nicht wohl weiter gedeihen, so lange man noch dieses Buch als göttliche Norm der Moral aufdringt und jedes Jota desselben mit Theopnevstie stempelt. Es enthält so vielen schiefen Sinn, so viele Unsittlichkeiten in Bey¬ spielen und Vorschriften, daſs ich oft mit vieler Ue¬ berlegung zu sagen pflege, der Himmel möge mich vor Davids Frömmigkeit und Salomons Weisheit be¬ hüten. Man windet sich hierüber eben so schlecht, wie bey der Vergebung der Sünden. Wenn man das Ganze als ein Gewebe menschlicher Thorheiten und
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noch zu sehen genöthigt war, will ich Dir nur die
Galerie Sampieri erwähnen. Sie ist nicht groſs, aber
köstlich. Die Plafonds sind von den drey Caracci,
Hannibal, Ludwig und August, und könnten mit Eh¬
ren in Rom unter den besten stehen. Das schönste
Stück der Sammlung, und nach einigen die beste Ar¬
beit von Guido Reni, ist der reuige Petrus. Die
Kunst mag allerdings dieses Urtheil der Kenner recht¬
fertigen; aber mich hat weit mehr beschäftigt die Ha¬
gar von Guercino. Dieser Künstler hat den Mythus
gefaſst, wie Rechtlichkeit und Humanität es fordern,
nicht wie die leichtgläubige Frömmigkeit ihn herbe¬
tet. Hagar ist ein schönes herrliches Ehrfurcht gebie¬
tendes Weib, das in dem Gefühl seines Werths da
steht; der Vater der Gläubigen ist ein jämmerlicher
Sünder unter dem Scepter seiner Ehehälfre, und diese
kann halb versteckt ihre kleine boshafte neidische
Seele kaum verbergen. Nur dem Knaben Ismael wäre
vielleicht jetzt schon etwas mehr von dem kühnen
Trotze zu wünschen, der ihn in der Folge so vortheil¬
haft auszeichnet. Es kann mit der Volksbildung nicht
wohl weiter gedeihen, so lange man noch dieses Buch
als göttliche Norm der Moral aufdringt und jedes Jota
desselben mit Theopnevstie stempelt. Es enthält so
vielen schiefen Sinn, so viele Unsittlichkeiten in Bey¬
spielen und Vorschriften, daſs ich oft mit vieler Ue¬
berlegung zu sagen pflege, der Himmel möge mich
vor Davids Frömmigkeit und Salomons Weisheit be¬
hüten. Man windet sich hierüber eben so schlecht,
wie bey der Vergebung der Sünden. Wenn man das
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 398 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/426>, abgerufen am 22.11.2024.
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