der Kopierung zu Werke gegangen, da das Stück dem gänzlichen Verfalle sehr nahe ist. Wir sind indessen dem Künstler Danck schuldig für die Rettung. Ich sage nichts von dem schönen Charakter der übrigen Jünger; mit vorzüglich feinem Urtheil hat der Maler den Säckelmeister Judas Ischariot behandelt, damit er die ehrwürdige Gesellschaft nicht durch zu grellen Kon¬ trast schände. Auch der Geist des Mannes ist nicht verfehlt. Er sitzt da, wie ein kühner tiefsinniger mit sich selbst nicht ganz unzufriedener Finanzminister, der einen grossen Streich wagt: er rechnete für die Gesellschaft, nicht für sich. Auch psychologisch ist Ischariot noch kein Bösewicht; nur ein Unbesonne¬ ner. Ein Bösewicht hätte sich nicht getödtet. Er glaubte, der Prophet würde sich mit Ehre retten. Ich möchte freylich nicht Judas seyn und meinen Freund auf diese Weise in Gefahr setzen: aber eben vielleicht nur darum nicht, vveil ich nicht so viel Glauben habe als er. -- Jetzt muss man auf einer Leiter hinunter steigen in den Saal, der untere Eingang ist ver¬ mauert: und nun leidet das Stück durch feuchte dum¬ pfe Luft vielleicht eben so sehr, als vorher durch an¬ dere üble Behandlung.
Hier sah ich seit der heiligen Cecilie in Paler¬ mo wieder das erste Theater. In Neapel brachte mich Januar darum, weil acht Tage vor und acht Ta¬ ge nach seinem Feste kein Theater geöffnet wird. Ohne Spiel wollte ich auch das Karlstheater nicht se¬ hen. In Rom machten mir meine Freunde eine so schlimme Schilderung von dem dortigen Thea¬ terwesen, dass ich gar nicht Lust bekam eins zu su¬
der Kopierung zu Werke gegangen, da das Stück dem gänzlichen Verfalle sehr nahe ist. Wir sind indessen dem Künstler Danck schuldig für die Rettung. Ich sage nichts von dem schönen Charakter der übrigen Jünger; mit vorzüglich feinem Urtheil hat der Maler den Säckelmeister Judas Ischariot behandelt, damit er die ehrwürdige Gesellschaft nicht durch zu grellen Kon¬ trast schände. Auch der Geist des Mannes ist nicht verfehlt. Er sitzt da, wie ein kühner tiefsinniger mit sich selbst nicht ganz unzufriedener Finanzminister, der einen groſsen Streich wagt: er rechnete für die Gesellschaft, nicht für sich. Auch psychologisch ist Ischariot noch kein Bösewicht; nur ein Unbesonne¬ ner. Ein Bösewicht hätte sich nicht getödtet. Er glaubte, der Prophet würde sich mit Ehre retten. Ich möchte freylich nicht Judas seyn und meinen Freund auf diese Weise in Gefahr setzen: aber eben vielleicht nur darum nicht, vveil ich nicht so viel Glauben habe als er. — Jetzt muſs man auf einer Leiter hinunter steigen in den Saal, der untere Eingang ist ver¬ mauert: und nun leidet das Stück durch feuchte dum¬ pfe Luft vielleicht eben so sehr, als vorher durch an¬ dere üble Behandlung.
Hier sah ich seit der heiligen Cecilie in Paler¬ mo wieder das erste Theater. In Neapel brachte mich Januar darum, weil acht Tage vor und acht Ta¬ ge nach seinem Feste kein Theater geöffnet wird. Ohne Spiel wollte ich auch das Karlstheater nicht se¬ hen. In Rom machten mir meine Freunde eine so schlimme Schilderung von dem dortigen Thea¬ terwesen, daſs ich gar nicht Lust bekam eins zu su¬
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[405 /0433]
der Kopierung zu Werke gegangen, da das Stück dem
gänzlichen Verfalle sehr nahe ist. Wir sind indessen
dem Künstler Danck schuldig für die Rettung. Ich
sage nichts von dem schönen Charakter der übrigen
Jünger; mit vorzüglich feinem Urtheil hat der Maler
den Säckelmeister Judas Ischariot behandelt, damit er
die ehrwürdige Gesellschaft nicht durch zu grellen Kon¬
trast schände. Auch der Geist des Mannes ist nicht
verfehlt. Er sitzt da, wie ein kühner tiefsinniger mit
sich selbst nicht ganz unzufriedener Finanzminister,
der einen groſsen Streich wagt: er rechnete für die
Gesellschaft, nicht für sich. Auch psychologisch ist
Ischariot noch kein Bösewicht; nur ein Unbesonne¬
ner. Ein Bösewicht hätte sich nicht getödtet. Er
glaubte, der Prophet würde sich mit Ehre retten. Ich
möchte freylich nicht Judas seyn und meinen Freund
auf diese Weise in Gefahr setzen: aber eben vielleicht
nur darum nicht, vveil ich nicht so viel Glauben habe
als er. — Jetzt muſs man auf einer Leiter hinunter
steigen in den Saal, der untere Eingang ist ver¬
mauert: und nun leidet das Stück durch feuchte dum¬
pfe Luft vielleicht eben so sehr, als vorher durch an¬
dere üble Behandlung.
Hier sah ich seit der heiligen Cecilie in Paler¬
mo wieder das erste Theater. In Neapel brachte
mich Januar darum, weil acht Tage vor und acht Ta¬
ge nach seinem Feste kein Theater geöffnet wird.
Ohne Spiel wollte ich auch das Karlstheater nicht se¬
hen. In Rom machten mir meine Freunde eine
so schlimme Schilderung von dem dortigen Thea¬
terwesen, daſs ich gar nicht Lust bekam eins zu su¬
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 405 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/433>, abgerufen am 22.11.2024.
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