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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Industrie ist mancherley. Ich sass an einem Sonntag
Morgens recht ruhig in meinem Zimmer und las
wirklich zufällig etwas in den Libertinagen Katulls;
da klopfte es und auf meinen Ruf trat ein Mädchen
ins Zimmer, das die sechste Bitte auch ohne Katull
stark genug dargestellt hätte. Die junge schöne Sün¬
derin schien ihre Erscheinung mit den feinsten Hetä¬
ronkünsten berechnet zu haben. Ich will durch ihre
Beschreibung mein Verdienst weder als Stilist noch
als Philosoph zu erhöhen suchen. Signore comanda
qualche cosa?
fragte sie in lieblich lispelndem Ton,
indem sie die niedliche Hand an einem Körbchen spie¬
len liess und Miene machte es zu öffnen. Ich sah sie
etwas betroffen an und brauchte einige Augenblicke,
ehe ich etwas unschlüssig No antwortete. Niente? fragte
sie, und der Teufel muss ihr im Ton Unterricht ge¬
geben haben. Ich warf den Katull ins Fenster und
war höchst wahrscheinlich im Begriff eine Sottise zu
sagen oder gar zu begehen, als mir schnell die ernstere
Philosophie still eine Ohrfeige gab. Niente, brummte
ich grämelnd, halb mit mir selbst in Zwist; und die
Versucherin nahm mit unbeschreiblicher Grazie Ab¬
schied. Wer weiss, ob ich nicht das Körbchen etwas
näher untersucht hätte, wenn die Teufelin zum drit¬
ten Mal mit der nehmlichen Stimme gefragt hätte,
ob gar nichts gefiele. So war die Sache, mein Freund;
und wäre sie anders gewesen, so bin ich nicht so
engbrüstig und könnte sie Dir anders oder gar nicht
erzählt haben. Ich ging also nur leidlich mit mir zu¬
frieden zum General.


Industrie ist mancherley. Ich saſs an einem Sonntag
Morgens recht ruhig in meinem Zimmer und las
wirklich zufällig etwas in den Libertinagen Katulls;
da klopfte es und auf meinen Ruf trat ein Mädchen
ins Zimmer, das die sechste Bitte auch ohne Katull
stark genug dargestellt hätte. Die junge schöne Sün¬
derin schien ihre Erscheinung mit den feinsten Hetä¬
ronkünsten berechnet zu haben. Ich will durch ihre
Beschreibung mein Verdienst weder als Stilist noch
als Philosoph zu erhöhen suchen. Signore comanda
qualche cosa?
fragte sie in lieblich lispelndem Ton,
indem sie die niedliche Hand an einem Körbchen spie¬
len lieſs und Miene machte es zu öffnen. Ich sah sie
etwas betroffen an und brauchte einige Augenblicke,
ehe ich etwas unschlüſsig No antwortete. Niente? fragte
sie, und der Teufel muſs ihr im Ton Unterricht ge¬
geben haben. Ich warf den Katull ins Fenster und
war höchst wahrscheinlich im Begriff eine Sottise zu
sagen oder gar zu begehen, als mir schnell die ernstere
Philosophie still eine Ohrfeige gab. Niente, brummte
ich grämelnd, halb mit mir selbst in Zwist; und die
Versucherin nahm mit unbeschreiblicher Grazie Ab¬
schied. Wer weiſs, ob ich nicht das Körbchen etwas
näher untersucht hätte, wenn die Teufelin zum drit¬
ten Mal mit der nehmlichen Stimme gefragt hätte,
ob gar nichts gefiele. So war die Sache, mein Freund;
und wäre sie anders gewesen, so bin ich nicht so
engbrüstig und könnte sie Dir anders oder gar nicht
erzählt haben. Ich ging also nur leidlich mit mir zu¬
frieden zum General.


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[411 /0439] Industrie ist mancherley. Ich saſs an einem Sonntag Morgens recht ruhig in meinem Zimmer und las wirklich zufällig etwas in den Libertinagen Katulls; da klopfte es und auf meinen Ruf trat ein Mädchen ins Zimmer, das die sechste Bitte auch ohne Katull stark genug dargestellt hätte. Die junge schöne Sün¬ derin schien ihre Erscheinung mit den feinsten Hetä¬ ronkünsten berechnet zu haben. Ich will durch ihre Beschreibung mein Verdienst weder als Stilist noch als Philosoph zu erhöhen suchen. Signore comanda qualche cosa? fragte sie in lieblich lispelndem Ton, indem sie die niedliche Hand an einem Körbchen spie¬ len lieſs und Miene machte es zu öffnen. Ich sah sie etwas betroffen an und brauchte einige Augenblicke, ehe ich etwas unschlüſsig No antwortete. Niente? fragte sie, und der Teufel muſs ihr im Ton Unterricht ge¬ geben haben. Ich warf den Katull ins Fenster und war höchst wahrscheinlich im Begriff eine Sottise zu sagen oder gar zu begehen, als mir schnell die ernstere Philosophie still eine Ohrfeige gab. Niente, brummte ich grämelnd, halb mit mir selbst in Zwist; und die Versucherin nahm mit unbeschreiblicher Grazie Ab¬ schied. Wer weiſs, ob ich nicht das Körbchen etwas näher untersucht hätte, wenn die Teufelin zum drit¬ ten Mal mit der nehmlichen Stimme gefragt hätte, ob gar nichts gefiele. So war die Sache, mein Freund; und wäre sie anders gewesen, so bin ich nicht so engbrüstig und könnte sie Dir anders oder gar nicht erzählt haben. Ich ging also nur leidlich mit mir zu¬ frieden zum General.

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 411 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/439>, abgerufen am 22.11.2024.