Dieses ist einigen Generalen und Kommissären, und nicht der ganzen Nation zuzurechnen.
Ayrolles ist der letzte italiänische Ort, und dies¬ seit des Berges in Sankt Ursel ist man wieder bey den Deutschen. Zwey Tage war ich beständig bergauf ge¬ gangen; Du kannst also denken, dass der Ort schon auf einer beträchtlichen Höhe steht. Rund umher sind Schneegebirge, und der Ticin bricht rauschend von den verschiedenen Abtheilungen des Berges herab. Ich schlief unter einem Gewitter ein; ein majestätisches Schauspiel hier in den Schluchten der höchsten Alpen. Der Donner brach sich an den hohen Felsenschädeln, und rollte sodann furchtbar durch das Thal hinunter durch das ich herauf gekommen war. Ein solches Echo hörst Du nicht auf der Ebene von Lützen.
In dem Wirthshause zu Ayrolles sass ein armer Teufel, der sich leise beklagte, dass seine Börse ihm keine Suppe erlaubte. Du kannst denken, dass ich ihm zur Suppe auch noch ein Stückchen Rindfleisch schaff¬ te; denn ich habe nun einmal die Schwachheit, dass es mir nicht schmeckt, wenn andere in meiner Nähe hungern. Er war ein ziemlich alter wandernder Schnei¬ der aus Constanz, der, wie er sagte, nach Genua ge¬ hen wollte einen Bruder aufzusuchen. Er hörte aber überall so viel von der Theuerung und der Unsicher¬ heit in Italien, dass er lieber wieder zurück über die Alpen wollte, und erbot sich mir meinen Reisesack zu tragen. Ich sagte ihm, ich wollte auf seine Ent¬ schliessungen durchaus keinen Einfluss haben, er müsste seine Umstände am besten wissen, ich wäre gewohnt meinen Sack selbst zu tragen. Er wollte bestimmt
Dieses ist einigen Generalen und Kommissären, und nicht der ganzen Nation zuzurechnen.
Ayrolles ist der letzte italiänische Ort, und dies¬ seit des Berges in Sankt Ursel ist man wieder bey den Deutschen. Zwey Tage war ich beständig bergauf ge¬ gangen; Du kannst also denken, daſs der Ort schon auf einer beträchtlichen Höhe steht. Rund umher sind Schneegebirge, und der Ticin bricht rauschend von den verschiedenen Abtheilungen des Berges herab. Ich schlief unter einem Gewitter ein; ein majestätisches Schauspiel hier in den Schluchten der höchsten Alpen. Der Donner brach sich an den hohen Felsenschädeln, und rollte sodann furchtbar durch das Thal hinunter durch das ich herauf gekommen war. Ein solches Echo hörst Du nicht auf der Ebene von Lützen.
In dem Wirthshause zu Ayrolles saſs ein armer Teufel, der sich leise beklagte, daſs seine Börse ihm keine Suppe erlaubte. Du kannst denken, daſs ich ihm zur Suppe auch noch ein Stückchen Rindfleisch schaff¬ te; denn ich habe nun einmal die Schwachheit, daſs es mir nicht schmeckt, wenn andere in meiner Nähe hungern. Er war ein ziemlich alter wandernder Schnei¬ der aus Constanz, der, wie er sagte, nach Genua ge¬ hen wollte einen Bruder aufzusuchen. Er hörte aber überall so viel von der Theuerung und der Unsicher¬ heit in Italien, daſs er lieber wieder zurück über die Alpen wollte, und erbot sich mir meinen Reisesack zu tragen. Ich sagte ihm, ich wollte auf seine Ent¬ schlieſsungen durchaus keinen Einfluſs haben, er müſste seine Umstände am besten wissen, ich wäre gewohnt meinen Sack selbst zu tragen. Er wollte bestimmt
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Dieses ist einigen Generalen und Kommissären, und
nicht der ganzen Nation zuzurechnen.
Ayrolles ist der letzte italiänische Ort, und dies¬
seit des Berges in Sankt Ursel ist man wieder bey den
Deutschen. Zwey Tage war ich beständig bergauf ge¬
gangen; Du kannst also denken, daſs der Ort schon
auf einer beträchtlichen Höhe steht. Rund umher sind
Schneegebirge, und der Ticin bricht rauschend von
den verschiedenen Abtheilungen des Berges herab. Ich
schlief unter einem Gewitter ein; ein majestätisches
Schauspiel hier in den Schluchten der höchsten Alpen.
Der Donner brach sich an den hohen Felsenschädeln,
und rollte sodann furchtbar durch das Thal hinunter
durch das ich herauf gekommen war. Ein solches
Echo hörst Du nicht auf der Ebene von Lützen.
In dem Wirthshause zu Ayrolles saſs ein armer
Teufel, der sich leise beklagte, daſs seine Börse ihm
keine Suppe erlaubte. Du kannst denken, daſs ich ihm
zur Suppe auch noch ein Stückchen Rindfleisch schaff¬
te; denn ich habe nun einmal die Schwachheit, daſs
es mir nicht schmeckt, wenn andere in meiner Nähe
hungern. Er war ein ziemlich alter wandernder Schnei¬
der aus Constanz, der, wie er sagte, nach Genua ge¬
hen wollte einen Bruder aufzusuchen. Er hörte aber
überall so viel von der Theuerung und der Unsicher¬
heit in Italien, daſs er lieber wieder zurück über die
Alpen wollte, und erbot sich mir meinen Reisesack
zu tragen. Ich sagte ihm, ich wollte auf seine Ent¬
schlieſsungen durchaus keinen Einfluſs haben, er müſste
seine Umstände am besten wissen, ich wäre gewohnt
meinen Sack selbst zu tragen. Er wollte bestimmt
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 418 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/446>, abgerufen am 22.11.2024.
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