durchaus sehr genau gefunden, so viel ich auf dem Fluge habe bemerken können.
Das ganze Königreich Neapel ist in der traurigsten Verfassung. Ein Kourier, der von Messina über Rheggio nach Neapel gehen soll, hält den Weg immer für ge¬ fährlicher als einen Feldzug. Der Offizier mit dem ich nach Rom reiste, war sechszehnmal geplündert worden und dankte es nur seiner völligen Resignation, dass er noch lebte. Ich könnte sprechen, sagte er, aber dann dürfte ich keine Reise mehr machen, oder ich wäre auf der ersten ein Mann des Todes. Alle Gräuel, die wir von Paris während der Revolution gehört haben, sind noch Menschlichkeit gegen das was Neapel aufzu¬ weisen hat. Was die Demokraten in Paris einfach thaten, haben die royalistischen Lazaronen und Kalabre¬ sen in Neapel zehnfach abscheulich sublimiert. Man hat im eigentlichsten Sinne die Menschen lebendig ge¬ braten, Stücken abgeschnitten und ihre Freunde ge¬ zwungen davon zu essen; der andern schändlichen Ab¬ scheulichkeiten nicht zu erwähnen. Ein wahrhafter durchaus rechtlicher Mann sagte mir, man sey mit ei¬ ner Tasche voll abgeschnittener eingesalzener Nasen und Ohren zu ihm gekommen, aufgezählt wer die Eigenthümer derselben gewesen, und er habe seine ganze Standhaftigkeit und Klugheit nöthig gehabt, nicht zu viel Missbilligung zu zeigen, damit er nicht selbst unter die Opfer geriethe. Das ist unter Ruffo gesche¬ hen, dessen Menschlichkeit sogar noch hier und da gerühmt wird. Die Geschichte der Patrioten von Sankt Elmo ist bekannt. Nelson und seine Dame, die Ex¬ gemahlin Hamiltons, liessen im Namen der Regierung
durchaus sehr genau gefunden, so viel ich auf dem Fluge habe bemerken können.
Das ganze Königreich Neapel ist in der traurigsten Verfassung. Ein Kourier, der von Messina über Rheggio nach Neapel gehen soll, hält den Weg immer für ge¬ fährlicher als einen Feldzug. Der Offizier mit dem ich nach Rom reiste, war sechszehnmal geplündert worden und dankte es nur seiner völligen Resignation, daſs er noch lebte. Ich könnte sprechen, sagte er, aber dann dürfte ich keine Reise mehr machen, oder ich wäre auf der ersten ein Mann des Todes. Alle Gräuel, die wir von Paris während der Revolution gehört haben, sind noch Menschlichkeit gegen das was Neapel aufzu¬ weisen hat. Was die Demokraten in Paris einfach thaten, haben die royalistischen Lazaronen und Kalabre¬ sen in Neapel zehnfach abscheulich sublimiert. Man hat im eigentlichsten Sinne die Menschen lebendig ge¬ braten, Stücken abgeschnitten und ihre Freunde ge¬ zwungen davon zu essen; der andern schändlichen Ab¬ scheulichkeiten nicht zu erwähnen. Ein wahrhafter durchaus rechtlicher Mann sagte mir, man sey mit ei¬ ner Tasche voll abgeschnittener eingesalzener Nasen und Ohren zu ihm gekommen, aufgezählt wer die Eigenthümer derselben gewesen, und er habe seine ganze Standhaftigkeit und Klugheit nöthig gehabt, nicht zu viel Miſsbilligung zu zeigen, damit er nicht selbst unter die Opfer geriethe. Das ist unter Ruffo gesche¬ hen, dessen Menschlichkeit sogar noch hier und da gerühmt wird. Die Geschichte der Patrioten von Sankt Elmo ist bekannt. Nelson und seine Dame, die Ex¬ gemahlin Hamiltons, lieſsen im Namen der Regierung
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[427 /0455]
durchaus sehr genau gefunden, so viel ich auf dem
Fluge habe bemerken können.
Das ganze Königreich Neapel ist in der traurigsten
Verfassung. Ein Kourier, der von Messina über Rheggio
nach Neapel gehen soll, hält den Weg immer für ge¬
fährlicher als einen Feldzug. Der Offizier mit dem ich
nach Rom reiste, war sechszehnmal geplündert worden
und dankte es nur seiner völligen Resignation, daſs er
noch lebte. Ich könnte sprechen, sagte er, aber dann
dürfte ich keine Reise mehr machen, oder ich wäre
auf der ersten ein Mann des Todes. Alle Gräuel, die
wir von Paris während der Revolution gehört haben,
sind noch Menschlichkeit gegen das was Neapel aufzu¬
weisen hat. Was die Demokraten in Paris einfach
thaten, haben die royalistischen Lazaronen und Kalabre¬
sen in Neapel zehnfach abscheulich sublimiert. Man
hat im eigentlichsten Sinne die Menschen lebendig ge¬
braten, Stücken abgeschnitten und ihre Freunde ge¬
zwungen davon zu essen; der andern schändlichen Ab¬
scheulichkeiten nicht zu erwähnen. Ein wahrhafter
durchaus rechtlicher Mann sagte mir, man sey mit ei¬
ner Tasche voll abgeschnittener eingesalzener Nasen
und Ohren zu ihm gekommen, aufgezählt wer
die Eigenthümer derselben gewesen, und er habe seine
ganze Standhaftigkeit und Klugheit nöthig gehabt, nicht
zu viel Miſsbilligung zu zeigen, damit er nicht selbst
unter die Opfer geriethe. Das ist unter Ruffo gesche¬
hen, dessen Menschlichkeit sogar noch hier und da
gerühmt wird. Die Geschichte der Patrioten von Sankt
Elmo ist bekannt. Nelson und seine Dame, die Ex¬
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 427 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/455>, abgerufen am 22.11.2024.
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