wurden gezwungen der Revolution beyzutreten um sich zu retten, und wurden hernach wegen dieses Zwanges hingerichtet. Vorzüglich traf dieses Schicksal die Aerzte. Es wurden Beyspiele mit Umständen er¬ zählt, die Schauder erregen. Filangieri war zu seinem Glücke vorher gestorben. Die Regierung nimmt bey ihrer gänzlichen Vernachlässigung noch alle Mittel, die Gemüther noch mehr zu erbittern; ist saumselig, wo rechtliche Strenge nöthig wäre, und grausam, wo weise Mässigung frommen würde. In Sicilien treibt das Feudalsystem in den grässlichsten Gestalten das Unheil fort: und obgleich mehr als die Hälfte der In¬ sel wüste liegt, so würde doch kein Baron einen Fuss lang anders als nach den strengsten Lehnsgesetzen be¬ arbeiten lassen. Die Folgen sind klar. Wie geachtet die Regierung und geliebt der Minister ist, davon habe ich selbst ein Beyspielchen von den Lazaronen in Nea¬ pel gehört. Es kam ein Schiff von Palermo an mit etwas Ladung aus der Haushaltung des Königs. Unter andern wurde ein grosser schöner Maulesel ausgeschifft; das neugierige Volk stand wie gewöhnlich gedrängt umher. Kischt' e il primo minischtro, sagte ein Kerl aus dem Haufen, und die ganze Menge brach in ein lautes Gelächter aus. Ohne Zweifel ist der Minister nicht so schlecht als ihn seine Feinde machen; aber er ist es doch genug, um ein schlechter Minister zu seyn. Das Facit liegt am Tage; das Reich verarmt täglich mehr und der Minister wird täglich reicher. An Ma¬ nufakturen wird gar nicht gedacht: die Engländer und Deutschen versorgen alle Provinzen. In Neapel brauchte ich Strümpfe; die waren englisch: in Syrakus war
wurden gezwungen der Revolution beyzutreten um sich zu retten, und wurden hernach wegen dieses Zwanges hingerichtet. Vorzüglich traf dieses Schicksal die Aerzte. Es wurden Beyspiele mit Umständen er¬ zählt, die Schauder erregen. Filangieri war zu seinem Glücke vorher gestorben. Die Regierung nimmt bey ihrer gänzlichen Vernachläſsigung noch alle Mittel, die Gemüther noch mehr zu erbittern; ist saumselig, wo rechtliche Strenge nöthig wäre, und grausam, wo weise Mäſsigung frommen würde. In Sicilien treibt das Feudalsystem in den gräſslichsten Gestalten das Unheil fort: und obgleich mehr als die Hälfte der In¬ sel wüste liegt, so würde doch kein Baron einen Fuſs lang anders als nach den strengsten Lehnsgesetzen be¬ arbeiten lassen. Die Folgen sind klar. Wie geachtet die Regierung und geliebt der Minister ist, davon habe ich selbst ein Beyspielchen von den Lazaronen in Nea¬ pel gehört. Es kam ein Schiff von Palermo an mit etwas Ladung aus der Haushaltung des Königs. Unter andern wurde ein groſser schöner Maulesel ausgeschifft; das neugierige Volk stand wie gewöhnlich gedrängt umher. Kischt' è il primo minischtro, sagte ein Kerl aus dem Haufen, und die ganze Menge brach in ein lautes Gelächter aus. Ohne Zweifel ist der Minister nicht so schlecht als ihn seine Feinde machen; aber er ist es doch genug, um ein schlechter Minister zu seyn. Das Facit liegt am Tage; das Reich verarmt täglich mehr und der Minister wird täglich reicher. An Ma¬ nufakturen wird gar nicht gedacht: die Engländer und Deutschen versorgen alle Provinzen. In Neapel brauchte ich Strümpfe; die waren englisch: in Syrakus war
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0457"n="429 "/>
wurden gezwungen der Revolution beyzutreten um<lb/>
sich zu retten, und wurden hernach wegen dieses<lb/>
Zwanges hingerichtet. Vorzüglich traf dieses Schicksal<lb/>
die Aerzte. Es wurden Beyspiele mit Umständen er¬<lb/>
zählt, die Schauder erregen. Filangieri war zu seinem<lb/>
Glücke vorher gestorben. Die Regierung nimmt bey<lb/>
ihrer gänzlichen Vernachläſsigung noch alle Mittel, die<lb/>
Gemüther noch mehr zu erbittern; ist saumselig, wo<lb/>
rechtliche Strenge nöthig wäre, und grausam, wo<lb/>
weise Mäſsigung frommen würde. In Sicilien treibt<lb/>
das Feudalsystem in den gräſslichsten Gestalten das<lb/>
Unheil fort: und obgleich mehr als die Hälfte der In¬<lb/>
sel wüste liegt, so würde doch kein Baron einen Fuſs<lb/>
lang anders als nach den strengsten Lehnsgesetzen be¬<lb/>
arbeiten lassen. Die Folgen sind klar. Wie geachtet<lb/>
die Regierung und geliebt der Minister ist, davon habe<lb/>
ich selbst ein Beyspielchen von den Lazaronen in Nea¬<lb/>
pel gehört. Es kam ein Schiff von Palermo an mit<lb/>
etwas Ladung aus der Haushaltung des Königs. Unter<lb/>
andern wurde ein groſser schöner Maulesel ausgeschifft;<lb/>
das neugierige Volk stand wie gewöhnlich gedrängt<lb/>
umher. <hirendition="#i">Kischt' è il primo minischtro</hi>, sagte ein Kerl<lb/>
aus dem Haufen, und die ganze Menge brach in ein<lb/>
lautes Gelächter aus. Ohne Zweifel ist der Minister<lb/>
nicht so schlecht als ihn seine Feinde machen; aber er<lb/>
ist es doch genug, um ein schlechter Minister zu seyn.<lb/>
Das Facit liegt am Tage; das Reich verarmt täglich<lb/>
mehr und der Minister wird täglich reicher. An Ma¬<lb/>
nufakturen wird gar nicht gedacht: die Engländer und<lb/>
Deutschen versorgen alle Provinzen. In Neapel brauchte<lb/>
ich Strümpfe; die waren englisch: in Syrakus war<lb/></p></div></body></text></TEI>
[429 /0457]
wurden gezwungen der Revolution beyzutreten um
sich zu retten, und wurden hernach wegen dieses
Zwanges hingerichtet. Vorzüglich traf dieses Schicksal
die Aerzte. Es wurden Beyspiele mit Umständen er¬
zählt, die Schauder erregen. Filangieri war zu seinem
Glücke vorher gestorben. Die Regierung nimmt bey
ihrer gänzlichen Vernachläſsigung noch alle Mittel, die
Gemüther noch mehr zu erbittern; ist saumselig, wo
rechtliche Strenge nöthig wäre, und grausam, wo
weise Mäſsigung frommen würde. In Sicilien treibt
das Feudalsystem in den gräſslichsten Gestalten das
Unheil fort: und obgleich mehr als die Hälfte der In¬
sel wüste liegt, so würde doch kein Baron einen Fuſs
lang anders als nach den strengsten Lehnsgesetzen be¬
arbeiten lassen. Die Folgen sind klar. Wie geachtet
die Regierung und geliebt der Minister ist, davon habe
ich selbst ein Beyspielchen von den Lazaronen in Nea¬
pel gehört. Es kam ein Schiff von Palermo an mit
etwas Ladung aus der Haushaltung des Königs. Unter
andern wurde ein groſser schöner Maulesel ausgeschifft;
das neugierige Volk stand wie gewöhnlich gedrängt
umher. Kischt' è il primo minischtro, sagte ein Kerl
aus dem Haufen, und die ganze Menge brach in ein
lautes Gelächter aus. Ohne Zweifel ist der Minister
nicht so schlecht als ihn seine Feinde machen; aber er
ist es doch genug, um ein schlechter Minister zu seyn.
Das Facit liegt am Tage; das Reich verarmt täglich
mehr und der Minister wird täglich reicher. An Ma¬
nufakturen wird gar nicht gedacht: die Engländer und
Deutschen versorgen alle Provinzen. In Neapel brauchte
ich Strümpfe; die waren englisch: in Syrakus war
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 429 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/457>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.