ziergang. Der Ort empfindet die Folgen der Revolu¬ tion vor allen übrigen, weil sie hier vorzüglich heftig war. Die Leute wissen bis jetzt vor Angst noch nicht, wo sie mit ihrer Stimmung hin sollen: die Meisten scheinen königlich zu seyn. Mein Wirth, der sehr höf¬ lich mit mir herum lief, erzählte mir in langen Kla¬ gen den ganzen Verlauf der Sachen in ihrer Stadt, und die schreckliche Periode unter Robespierre, wo so viele brave Leute theils guilottiniert wurden, theils in den Gefängnissen vor Angst und Gram starben. Die Sache hat freylich mehrere Seiten. Viele scheinen nur das Anhängsel der ehemaligen Reichen vom Adel und der Geistlichkeit zu machen: diese können allerdings bey keiner vernünftigern Einrichtung gewinnen. Alle grosse Städte, die nicht auf Handel, Fabriken und In¬ dustrie beruhen, die Kapitale ausgenommen, müssen durch die Veränderung nothwendig verlieren, da die Parlamentsherren, der reiche Adel und die reiche Geistlichkeit nicht mehr ihr Vermögen daselbst verzeh¬ ren. Der Park des Prinzen Conde vor dem Peters¬ thore ist jetzt verkauft und ein öffentlicher Belusti¬ gungsort. Im Ganzen ist die Stadt sehr todt.
Von Dijon fuhr ich, weil mir das Wetter zu heiss ward, mit dem Kourier nach Auxerres, und von dort mit der Diligence nach Paris. Auxerres ist eine Mit¬ telstadt, aber ziemlich lebhaft, wenigstens weit lebhaf¬ ter als Dijon. Zum Friedensfeste hatte man an dem Boulevardkoffer der Hebe einen Tempel aufgeführt, der der franzö ischen Kunst eben keine Ehre macht. Die Gesellschaft war aber angenehm und die Bewirthung gut und billig. Die Wirthin, ein Prototyp der alten
ziergang. Der Ort empfindet die Folgen der Revolu¬ tion vor allen übrigen, weil sie hier vorzüglich heftig war. Die Leute wissen bis jetzt vor Angst noch nicht, wo sie mit ihrer Stimmung hin sollen: die Meisten scheinen königlich zu seyn. Mein Wirth, der sehr höf¬ lich mit mir herum lief, erzählte mir in langen Kla¬ gen den ganzen Verlauf der Sachen in ihrer Stadt, und die schreckliche Periode unter Robespierre, wo so viele brave Leute theils guilottiniert wurden, theils in den Gefängnissen vor Angst und Gram starben. Die Sache hat freylich mehrere Seiten. Viele scheinen nur das Anhängsel der ehemaligen Reichen vom Adel und der Geistlichkeit zu machen: diese können allerdings bey keiner vernünftigern Einrichtung gewinnen. Alle groſse Städte, die nicht auf Handel, Fabriken und In¬ dustrie beruhen, die Kapitale ausgenommen, müssen durch die Veränderung nothwendig verlieren, da die Parlamentsherren, der reiche Adel und die reiche Geistlichkeit nicht mehr ihr Vermögen daselbst verzeh¬ ren. Der Park des Prinzen Condé vor dem Peters¬ thore ist jetzt verkauft und ein öffentlicher Belusti¬ gungsort. Im Ganzen ist die Stadt sehr todt.
Von Dijon fuhr ich, weil mir das Wetter zu heiſs ward, mit dem Kourier nach Auxerres, und von dort mit der Diligence nach Paris. Auxerres ist eine Mit¬ telstadt, aber ziemlich lebhaft, wenigstens weit lebhaf¬ ter als Dijon. Zum Friedensfeste hatte man an dem Boulevardkoffer der Hebe einen Tempel aufgeführt, der der franzö ischen Kunst eben keine Ehre macht. Die Gesellschaft war aber angenehm und die Bewirthung gut und billig. Die Wirthin, ein Prototyp der alten
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ziergang. Der Ort empfindet die Folgen der Revolu¬
tion vor allen übrigen, weil sie hier vorzüglich heftig
war. Die Leute wissen bis jetzt vor Angst noch nicht,
wo sie mit ihrer Stimmung hin sollen: die Meisten
scheinen königlich zu seyn. Mein Wirth, der sehr höf¬
lich mit mir herum lief, erzählte mir in langen Kla¬
gen den ganzen Verlauf der Sachen in ihrer Stadt, und
die schreckliche Periode unter Robespierre, wo so
viele brave Leute theils guilottiniert wurden, theils in
den Gefängnissen vor Angst und Gram starben. Die
Sache hat freylich mehrere Seiten. Viele scheinen nur
das Anhängsel der ehemaligen Reichen vom Adel und
der Geistlichkeit zu machen: diese können allerdings
bey keiner vernünftigern Einrichtung gewinnen. Alle
groſse Städte, die nicht auf Handel, Fabriken und In¬
dustrie beruhen, die Kapitale ausgenommen, müssen
durch die Veränderung nothwendig verlieren, da die
Parlamentsherren, der reiche Adel und die reiche
Geistlichkeit nicht mehr ihr Vermögen daselbst verzeh¬
ren. Der Park des Prinzen Condé vor dem Peters¬
thore ist jetzt verkauft und ein öffentlicher Belusti¬
gungsort. Im Ganzen ist die Stadt sehr todt.
Von Dijon fuhr ich, weil mir das Wetter zu heiſs
ward, mit dem Kourier nach Auxerres, und von dort
mit der Diligence nach Paris. Auxerres ist eine Mit¬
telstadt, aber ziemlich lebhaft, wenigstens weit lebhaf¬
ter als Dijon. Zum Friedensfeste hatte man an dem
Boulevardkoffer der Hebe einen Tempel aufgeführt, der
der franzö ischen Kunst eben keine Ehre macht. Die
Gesellschaft war aber angenehm und die Bewirthung
gut und billig. Die Wirthin, ein Prototyp der alten
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 440 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/468>, abgerufen am 22.11.2024.
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