ter seyn: die Periode ist selbst nur sehr kurze Zeit vor seinem eigenen Tode. Ich bescheide mich gern, und überlasse dieses den Eingeweihten der Kunst. Ein Sklave steht hinter ihm, auf dessen Gesichte man Erstaunen und Furcht liest.
Mehr als alles war mir wichtig sein Zimmer der Messiade. Hier hängt fast zu jedem Gesange eine Meisterzeichnung, an der sein Geist mit Liebe und Eifer gearbeitet hat. Er sagte mir, dass er vor Angst einige Wochen nicht zum Entschlusse habe kommen können, was er mit dem Gedicht anfangen solle, bis auf einmahl die ganze Reihe der Scenen sich ihm dargestellt habe. Es sind zwanzig, und nur von vie¬ ren hat Göschen die Kupfer zu seiner schönen Aus¬ gabe erhalten. Es wäre werth, dass Göschen mit sei¬ nem gewöhnlichen Enthusiasmus für Wahrheit und Schönheit in der Kunst mit wackern Künstlern sich entschlösse, sie dem Publikum alle mitzutheilen: aber die Unternehmung würde keinen kleinen Aufwand er¬ fordern, wenn Füger auf keine Weise leiden sollte. Figuren und Gruppen sind vortreflich, die apostoli¬ schen Gesichter bezaubernd, und Judas mit dem Sa¬ tan grässlich charakteristisch, ohne Karikatur. Vor¬ züglich hat mich gerüht das Blatt, wo der Apostel nach dem Tode des geliebten Lehrers den Weibern die Dornenkrone bringt. Die Stelle ist ein Meisterwerk des Pathos im Gedicht; das hat der Künstler gefühlt und sein Gefühl mit voller Seele der Gruppe eingehaucht. Der Eifer des Kaifas ist ein Feuerstrom, und der Haupt¬ mann der Römer gleicht Einem, der in seinem Schrecken es noch zeigt, dass er zu dem alten Kapitol
ter seyn: die Periode ist selbst nur sehr kurze Zeit vor seinem eigenen Tode. Ich bescheide mich gern, und überlasse dieses den Eingeweihten der Kunst. Ein Sklave steht hinter ihm, auf dessen Gesichte man Erstaunen und Furcht liest.
Mehr als alles war mir wichtig sein Zimmer der Messiade. Hier hängt fast zu jedem Gesange eine Meisterzeichnung, an der sein Geist mit Liebe und Eifer gearbeitet hat. Er sagte mir, daſs er vor Angst einige Wochen nicht zum Entschlusse habe kommen können, was er mit dem Gedicht anfangen solle, bis auf einmahl die ganze Reihe der Scenen sich ihm dargestellt habe. Es sind zwanzig, und nur von vie¬ ren hat Göschen die Kupfer zu seiner schönen Aus¬ gabe erhalten. Es wäre werth, daſs Göschen mit sei¬ nem gewöhnlichen Enthusiasmus für Wahrheit und Schönheit in der Kunst mit wackern Künstlern sich entschlösse, sie dem Publikum alle mitzutheilen: aber die Unternehmung würde keinen kleinen Aufwand er¬ fordern, wenn Füger auf keine Weise leiden sollte. Figuren und Gruppen sind vortreflich, die apostoli¬ schen Gesichter bezaubernd, und Judas mit dem Sa¬ tan gräſslich charakteristisch, ohne Karikatur. Vor¬ züglich hat mich gerüht das Blatt, wo der Apostel nach dem Tode des geliebten Lehrers den Weibern die Dornenkrone bringt. Die Stelle ist ein Meisterwerk des Pathos im Gedicht; das hat der Künstler gefühlt und sein Gefühl mit voller Seele der Gruppe eingehaucht. Der Eifer des Kaifas ist ein Feuerstrom, und der Haupt¬ mann der Römer gleicht Einem, der in seinem Schrecken es noch zeigt, daſs er zu dem alten Kapitol
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ter seyn: die Periode ist selbst nur sehr kurze Zeit
vor seinem eigenen Tode. Ich bescheide mich gern,
und überlasse dieses den Eingeweihten der Kunst.
Ein Sklave steht hinter ihm, auf dessen Gesichte man
Erstaunen und Furcht liest.
Mehr als alles war mir wichtig sein Zimmer der
Messiade. Hier hängt fast zu jedem Gesange eine
Meisterzeichnung, an der sein Geist mit Liebe und
Eifer gearbeitet hat. Er sagte mir, daſs er vor Angst
einige Wochen nicht zum Entschlusse habe kommen
können, was er mit dem Gedicht anfangen solle, bis
auf einmahl die ganze Reihe der Scenen sich ihm
dargestellt habe. Es sind zwanzig, und nur von vie¬
ren hat Göschen die Kupfer zu seiner schönen Aus¬
gabe erhalten. Es wäre werth, daſs Göschen mit sei¬
nem gewöhnlichen Enthusiasmus für Wahrheit und
Schönheit in der Kunst mit wackern Künstlern sich
entschlösse, sie dem Publikum alle mitzutheilen: aber
die Unternehmung würde keinen kleinen Aufwand er¬
fordern, wenn Füger auf keine Weise leiden sollte.
Figuren und Gruppen sind vortreflich, die apostoli¬
schen Gesichter bezaubernd, und Judas mit dem Sa¬
tan gräſslich charakteristisch, ohne Karikatur. Vor¬
züglich hat mich gerüht das Blatt, wo der Apostel
nach dem Tode des geliebten Lehrers den Weibern die
Dornenkrone bringt. Die Stelle ist ein Meisterwerk des
Pathos im Gedicht; das hat der Künstler gefühlt und
sein Gefühl mit voller Seele der Gruppe eingehaucht.
Der Eifer des Kaifas ist ein Feuerstrom, und der Haupt¬
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/54>, abgerufen am 18.12.2024.
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