ler hervorgebracht hat. Jede Beschreibung, die aus einander setzt, schwächt. Das Stück ist reich an Fi¬ guren; aber es ist keine müssig: sie gehören alle zur Katastrophe, oder nehmen Antheil daran. Alles ist richtiger eigenthümlicher Charakter, vom Konsul bis zum Liktor. Alles ist ächt römisch, und schön und gross. Ich darf nicht wagen zu beschreiben; es muss gesehen werden. Vorzüglich rührend für mich war eine sehr glückliche Episode, die, so viel ich mich erinnere, der alte Geschichtschreiber nicht hat: oder wenn er sie hat, wirkt sie hier im Bilde mächtiger als bey ihm in der Erzählung. Ein ziemlich alter Mann steht mit seinen zwey Knaben in der Entfernung und deutet mit dem ganzen Ausdruck eines flammen¬ den Patriotismus auf den Richter und das Gericht hin, als ob er sagen wollte: Bey den Göttern, so müsste ich gegen euch seyn, wenn ihr würdet wie diese! Va¬ ter und Söhne sind für mich unbeschreiblich schön.
Das zweyte Stück ist Virginius, der so eben seine Tochter geopfert hat, das Messer dem Volke und dem Decemvir zeigt, und als ein furchtbarer Prophet der künftigen Momente nur einen Augenblick da steht. Dieser Augenblick war einzig für den Geist des Künst¬ lers. Die beyden Hauptfiguren, Virginius und Appius Klaudius sind in ihrer Art vortreflich: aber unbe¬ schreiblich schön, rührend und von den Grazien selbst hingehaucht ist die Gruppe der Weiber, die das ster¬ bende Mädchen halten. Diese bekümmern sich nicht mehr um den Vater, nicht um den tyrannischen Rich¬ ter, nicht um das Volk, um nichts was um sie her ge¬ schieht; sie sind ganz allein mit dem geliebten Leich¬
ler hervorgebracht hat. Jede Beschreibung, die aus einander setzt, schwächt. Das Stück ist reich an Fi¬ guren; aber es ist keine müſsig: sie gehören alle zur Katastrophe, oder nehmen Antheil daran. Alles ist richtiger eigenthümlicher Charakter, vom Konsul bis zum Liktor. Alles ist ächt römisch, und schön und groſs. Ich darf nicht wagen zu beschreiben; es muſs gesehen werden. Vorzüglich rührend für mich war eine sehr glückliche Episode, die, so viel ich mich erinnere, der alte Geschichtschreiber nicht hat: oder wenn er sie hat, wirkt sie hier im Bilde mächtiger als bey ihm in der Erzählung. Ein ziemlich alter Mann steht mit seinen zwey Knaben in der Entfernung und deutet mit dem ganzen Ausdruck eines flammen¬ den Patriotismus auf den Richter und das Gericht hin, als ob er sagen wollte: Bey den Göttern, so müſste ich gegen euch seyn, wenn ihr würdet wie diese! Va¬ ter und Söhne sind für mich unbeschreiblich schön.
Das zweyte Stück ist Virginius, der so eben seine Tochter geopfert hat, das Messer dem Volke und dem Decemvir zeigt, und als ein furchtbarer Prophet der künftigen Momente nur einen Augenblick da steht. Dieser Augenblick war einzig für den Geist des Künst¬ lers. Die beyden Hauptfiguren, Virginius und Appius Klaudius sind in ihrer Art vortreflich: aber unbe¬ schreiblich schön, rührend und von den Grazien selbst hingehaucht ist die Gruppe der Weiber, die das ster¬ bende Mädchen halten. Diese bekümmern sich nicht mehr um den Vater, nicht um den tyrannischen Rich¬ ter, nicht um das Volk, um nichts was um sie her ge¬ schieht; sie sind ganz allein mit dem geliebten Leich¬
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ler hervorgebracht hat. Jede Beschreibung, die aus
einander setzt, schwächt. Das Stück ist reich an Fi¬
guren; aber es ist keine müſsig: sie gehören alle zur
Katastrophe, oder nehmen Antheil daran. Alles ist
richtiger eigenthümlicher Charakter, vom Konsul bis
zum Liktor. Alles ist ächt römisch, und schön und
groſs. Ich darf nicht wagen zu beschreiben; es muſs
gesehen werden. Vorzüglich rührend für mich war
eine sehr glückliche Episode, die, so viel ich mich
erinnere, der alte Geschichtschreiber nicht hat: oder
wenn er sie hat, wirkt sie hier im Bilde mächtiger
als bey ihm in der Erzählung. Ein ziemlich alter
Mann steht mit seinen zwey Knaben in der Entfernung
und deutet mit dem ganzen Ausdruck eines flammen¬
den Patriotismus auf den Richter und das Gericht hin,
als ob er sagen wollte: Bey den Göttern, so müſste
ich gegen euch seyn, wenn ihr würdet wie diese! Va¬
ter und Söhne sind für mich unbeschreiblich schön.
Das zweyte Stück ist Virginius, der so eben seine
Tochter geopfert hat, das Messer dem Volke und dem
Decemvir zeigt, und als ein furchtbarer Prophet der
künftigen Momente nur einen Augenblick da steht.
Dieser Augenblick war einzig für den Geist des Künst¬
lers. Die beyden Hauptfiguren, Virginius und Appius
Klaudius sind in ihrer Art vortreflich: aber unbe¬
schreiblich schön, rührend und von den Grazien selbst
hingehaucht ist die Gruppe der Weiber, die das ster¬
bende Mädchen halten. Diese bekümmern sich nicht
mehr um den Vater, nicht um den tyrannischen Rich¬
ter, nicht um das Volk, um nichts was um sie her ge¬
schieht; sie sind ganz allein mit dem geliebten Leich¬
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/56>, abgerufen am 21.11.2024.
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