hatte meinen Pass von Dresden schon vor sich in der Hand, als ich eintrat.
"Währ üfs Aehr?" fragte er mich mit einem stier glotzenden Molochsgesicht in dem dicksten Wie¬ ner Bratwurstdialekt. Ich ehre das Idiom jeder Pro¬ vinz, so lange es das Organ der Humanität ist; und die braven Wiener mit ihrer Gutmüthigkeit haben mir nur selten das Gefühl rege gemacht, dass ihre Aussprache etwas besser seyn sollte. Ich that ein kur¬ zes Stossgebetchen an die heilige Humanität, dass sie mir hier etwas Geduld gäbe, und sagte meinen Na¬ men, indem ich auf den Pass zeigte.
Nun, Freund, was war hier zu thun? Dem Men¬ schen zu antworten, wie er es verdiente? Er hätte leicht Mittel und Wege gefunden mich wenigstens acht Tage aufzuhalten, wenn er mich nicht gar zu¬ rück geschickt hätte: denn er war ja ein Stück von Minister. Ich suchte eine alte militärische Aufwallung mit Gewalt zu unterdrücken. Der Graf Metternich in Dresden muss wohl wissen, was er thut und wem er seine Pässe giebt: er ist verantwortlich dafür! sagte ich so bestimmt als mir der Ton folgte. Der Mensch belugte mich von dem verschnittenen Haarschedel den polnischen Rock herab bis auf die Schariwari, die um ein Paar derbe rindslederne Stiefeln geknöpft waren.
hatte meinen Paſs von Dresden schon vor sich in der Hand, als ich eintrat.
„Währ üfs Aehr?“ fragte er mich mit einem stier glotzenden Molochsgesicht in dem dicksten Wie¬ ner Bratwurstdialekt. Ich ehre das Idiom jeder Pro¬ vinz, so lange es das Organ der Humanität ist; und die braven Wiener mit ihrer Gutmüthigkeit haben mir nur selten das Gefühl rege gemacht, daſs ihre Aussprache etwas besser seyn sollte. Ich that ein kur¬ zes Stoſsgebetchen an die heilige Humanität, daſs sie mir hier etwas Geduld gäbe, und sagte meinen Na¬ men, indem ich auf den Paſs zeigte.
Nun, Freund, was war hier zu thun? Dem Men¬ schen zu antworten, wie er es verdiente? Er hätte leicht Mittel und Wege gefunden mich wenigstens acht Tage aufzuhalten, wenn er mich nicht gar zu¬ rück geschickt hätte: denn er war ja ein Stück von Minister. Ich suchte eine alte militärische Aufwallung mit Gewalt zu unterdrücken. Der Graf Metternich in Dresden muſs wohl wissen, was er thut und wem er seine Pässe giebt: er ist verantwortlich dafür! sagte ich so bestimmt als mir der Ton folgte. Der Mensch belugte mich von dem verschnittenen Haarschedel den polnischen Rock herab bis auf die Schariwari, die um ein Paar derbe rindslederne Stiefeln geknöpft waren.
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0067"n="41"/>
hatte meinen Paſs von Dresden schon vor sich in der<lb/>
Hand, als ich eintrat.</p><lb/><p>„Währ üfs Aehr?“ fragte er mich mit einem<lb/>
stier glotzenden Molochsgesicht in dem dicksten Wie¬<lb/>
ner Bratwurstdialekt. Ich ehre das Idiom jeder Pro¬<lb/>
vinz, so lange es das Organ der Humanität ist; und<lb/>
die braven Wiener mit ihrer Gutmüthigkeit haben<lb/>
mir nur selten das Gefühl rege gemacht, daſs ihre<lb/>
Aussprache etwas besser seyn sollte. Ich that ein kur¬<lb/>
zes Stoſsgebetchen an die heilige Humanität, daſs sie<lb/>
mir hier etwas Geduld gäbe, und sagte meinen Na¬<lb/>
men, indem ich auf den Paſs zeigte.</p><lb/><p>„Wu will Aehr hünn?“</p><lb/><p>Steht im Passe: nach Italien.</p><lb/><p>„Italien üſs gruhſs.“</p><lb/><p>Vor der Hand nach Venedig, und sodann weiter.</p><lb/><p>„Slähftr holtr sähr füehl sulch lüederlüchches Ge¬<lb/>
süendel härümmer.“</p><lb/><p>Nun, Freund, was war hier zu thun? Dem Men¬<lb/>
schen zu antworten, wie er es verdiente? Er hätte<lb/>
leicht Mittel und Wege gefunden mich wenigstens<lb/>
acht Tage aufzuhalten, wenn er mich nicht gar zu¬<lb/>
rück geschickt hätte: denn er war ja ein Stück von<lb/>
Minister. Ich suchte eine alte militärische Aufwallung<lb/>
mit Gewalt zu unterdrücken. Der Graf Metternich<lb/>
in Dresden muſs wohl wissen, was er thut und wem<lb/>
er seine Pässe giebt: er ist verantwortlich dafür! sagte<lb/>
ich so bestimmt als mir der Ton folgte. Der Mensch<lb/>
belugte mich von dem verschnittenen Haarschedel den<lb/>
polnischen Rock herab bis auf die Schariwari, die um<lb/>
ein Paar derbe rindslederne Stiefeln geknöpft waren.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[41/0067]
hatte meinen Paſs von Dresden schon vor sich in der
Hand, als ich eintrat.
„Währ üfs Aehr?“ fragte er mich mit einem
stier glotzenden Molochsgesicht in dem dicksten Wie¬
ner Bratwurstdialekt. Ich ehre das Idiom jeder Pro¬
vinz, so lange es das Organ der Humanität ist; und
die braven Wiener mit ihrer Gutmüthigkeit haben
mir nur selten das Gefühl rege gemacht, daſs ihre
Aussprache etwas besser seyn sollte. Ich that ein kur¬
zes Stoſsgebetchen an die heilige Humanität, daſs sie
mir hier etwas Geduld gäbe, und sagte meinen Na¬
men, indem ich auf den Paſs zeigte.
„Wu will Aehr hünn?“
Steht im Passe: nach Italien.
„Italien üſs gruhſs.“
Vor der Hand nach Venedig, und sodann weiter.
„Slähftr holtr sähr füehl sulch lüederlüchches Ge¬
süendel härümmer.“
Nun, Freund, was war hier zu thun? Dem Men¬
schen zu antworten, wie er es verdiente? Er hätte
leicht Mittel und Wege gefunden mich wenigstens
acht Tage aufzuhalten, wenn er mich nicht gar zu¬
rück geschickt hätte: denn er war ja ein Stück von
Minister. Ich suchte eine alte militärische Aufwallung
mit Gewalt zu unterdrücken. Der Graf Metternich
in Dresden muſs wohl wissen, was er thut und wem
er seine Pässe giebt: er ist verantwortlich dafür! sagte
ich so bestimmt als mir der Ton folgte. Der Mensch
belugte mich von dem verschnittenen Haarschedel den
polnischen Rock herab bis auf die Schariwari, die um
ein Paar derbe rindslederne Stiefeln geknöpft waren.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/67>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.