Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

ste, sondern nur der höchste in der Ebene, welche
die Herrschaft ausmacht. Von allen Seiten sammelt
sich das Wasser und bildet einen ziemlichen Fluss, der
bey der Grotte am Schlossberge nahe bey der Mühle,
wie oben erwähnt worden ist, in die Felsen stürzt. Ich
wollte, wie Du denken kannst die Höhle sehen, und
es ward mir schwer einen Menschen zu finden, der
mich begleiten wollte. Endlich ging ein Mensch von
der Mauth mit mir, kaufte Fackel und Licht, und
führte mich weit weit zum Orte hinaus durch den
tiefsten Schnee immer waldeinwärts. Das ging eine
starke halbe Stunde ohne Bahn so fort, und der
Mensch wusste sodann nicht mehr wo er war, und
suchte sich an den Felsenspitzen und Schluchten zu
orientieren. Wir arbeiteten noch eine halbe Stunde
durch den hohen Schnee, in dem dicksten Fichten¬
walde, und keine Grotte. Du begreifst, dass es mir
etwas bedenklich ward, mit einem wildfremden baum¬
starken Kerl so allein in den Schluchten herum zu
kriechen und in Krain eine Höhle zu suchen: mich
beruhigte aber, dass ich von dem öffentlichen Kaffee¬
hause in der Stadt vor Aller Augen mit ihm abge¬
gangen war. Ich sagte ihm, die Höhle müsse, wie
ich gehört habe, doch nahe an der Stadt am Schloss¬
berge seyn, und er antwortete, jene in der Nähe der
Stadt solle ich auf dem Rückwege sehen; aber diese
entfernte sey die merkwürdigere. Endlich kamen wir
nach vielem Irren und Suchen, in noch einer halben
Stunde am Eingange der Höhle an. Dieser ist ro¬
mantisch wild und schauerlich in einem tiefen Kessel,
rund umher mit grossen Felsenstücken umgeben und

ste, sondern nur der höchste in der Ebene, welche
die Herrschaft ausmacht. Von allen Seiten sammelt
sich das Wasser und bildet einen ziemlichen Fluſs, der
bey der Grotte am Schloſsberge nahe bey der Mühle,
wie oben erwähnt worden ist, in die Felsen stürzt. Ich
wollte, wie Du denken kannst die Höhle sehen, und
es ward mir schwer einen Menschen zu finden, der
mich begleiten wollte. Endlich ging ein Mensch von
der Mauth mit mir, kaufte Fackel und Licht, und
führte mich weit weit zum Orte hinaus durch den
tiefsten Schnee immer waldeinwärts. Das ging eine
starke halbe Stunde ohne Bahn so fort, und der
Mensch wuſste sodann nicht mehr wo er war, und
suchte sich an den Felsenspitzen und Schluchten zu
orientieren. Wir arbeiteten noch eine halbe Stunde
durch den hohen Schnee, in dem dicksten Fichten¬
walde, und keine Grotte. Du begreifst, daſs es mir
etwas bedenklich ward, mit einem wildfremden baum¬
starken Kerl so allein in den Schluchten herum zu
kriechen und in Krain eine Höhle zu suchen: mich
beruhigte aber, daſs ich von dem öffentlichen Kaffee¬
hause in der Stadt vor Aller Augen mit ihm abge¬
gangen war. Ich sagte ihm, die Höhle müsse, wie
ich gehört habe, doch nahe an der Stadt am Schloſs¬
berge seyn, und er antwortete, jene in der Nähe der
Stadt solle ich auf dem Rückwege sehen; aber diese
entfernte sey die merkwürdigere. Endlich kamen wir
nach vielem Irren und Suchen, in noch einer halben
Stunde am Eingange der Höhle an. Dieser ist ro¬
mantisch wild und schauerlich in einem tiefen Kessel,
rund umher mit groſsen Felsenstücken umgeben und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0098" n="72"/>
ste, sondern nur der höchste in der Ebene, welche<lb/>
die Herrschaft ausmacht. Von allen Seiten sammelt<lb/>
sich das Wasser und bildet einen ziemlichen Flu&#x017F;s, der<lb/>
bey der Grotte am Schlo&#x017F;sberge nahe bey der Mühle,<lb/>
wie oben erwähnt worden ist, in die Felsen stürzt. Ich<lb/>
wollte, wie Du denken kannst die Höhle sehen, und<lb/>
es ward mir schwer einen Menschen zu finden, der<lb/>
mich begleiten wollte. Endlich ging ein Mensch von<lb/>
der Mauth mit mir, kaufte Fackel und Licht, und<lb/>
führte mich weit weit zum Orte hinaus durch den<lb/>
tiefsten Schnee immer waldeinwärts. Das ging eine<lb/>
starke halbe Stunde ohne Bahn so fort, und der<lb/>
Mensch wu&#x017F;ste sodann nicht mehr wo er war, und<lb/>
suchte sich an den Felsenspitzen und Schluchten zu<lb/>
orientieren. Wir arbeiteten noch eine halbe Stunde<lb/>
durch den hohen Schnee, in dem dicksten Fichten¬<lb/>
walde, und keine Grotte. Du begreifst, da&#x017F;s es mir<lb/>
etwas bedenklich ward, mit einem wildfremden baum¬<lb/>
starken Kerl so allein in den Schluchten herum zu<lb/>
kriechen und in Krain eine Höhle zu suchen: mich<lb/>
beruhigte aber, da&#x017F;s ich von dem öffentlichen Kaffee¬<lb/>
hause in der Stadt vor Aller Augen mit ihm abge¬<lb/>
gangen war. Ich sagte ihm, die Höhle müsse, wie<lb/>
ich gehört habe, doch nahe an der Stadt am Schlo&#x017F;<lb/>
berge seyn, und er antwortete, jene in der Nähe der<lb/>
Stadt solle ich auf dem Rückwege sehen; aber diese<lb/>
entfernte sey die merkwürdigere. Endlich kamen wir<lb/>
nach vielem Irren und Suchen, in noch einer halben<lb/>
Stunde am Eingange der Höhle an. Dieser ist ro¬<lb/>
mantisch wild und schauerlich in einem tiefen Kessel,<lb/>
rund umher mit gro&#x017F;sen Felsenstücken umgeben und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0098] ste, sondern nur der höchste in der Ebene, welche die Herrschaft ausmacht. Von allen Seiten sammelt sich das Wasser und bildet einen ziemlichen Fluſs, der bey der Grotte am Schloſsberge nahe bey der Mühle, wie oben erwähnt worden ist, in die Felsen stürzt. Ich wollte, wie Du denken kannst die Höhle sehen, und es ward mir schwer einen Menschen zu finden, der mich begleiten wollte. Endlich ging ein Mensch von der Mauth mit mir, kaufte Fackel und Licht, und führte mich weit weit zum Orte hinaus durch den tiefsten Schnee immer waldeinwärts. Das ging eine starke halbe Stunde ohne Bahn so fort, und der Mensch wuſste sodann nicht mehr wo er war, und suchte sich an den Felsenspitzen und Schluchten zu orientieren. Wir arbeiteten noch eine halbe Stunde durch den hohen Schnee, in dem dicksten Fichten¬ walde, und keine Grotte. Du begreifst, daſs es mir etwas bedenklich ward, mit einem wildfremden baum¬ starken Kerl so allein in den Schluchten herum zu kriechen und in Krain eine Höhle zu suchen: mich beruhigte aber, daſs ich von dem öffentlichen Kaffee¬ hause in der Stadt vor Aller Augen mit ihm abge¬ gangen war. Ich sagte ihm, die Höhle müsse, wie ich gehört habe, doch nahe an der Stadt am Schloſs¬ berge seyn, und er antwortete, jene in der Nähe der Stadt solle ich auf dem Rückwege sehen; aber diese entfernte sey die merkwürdigere. Endlich kamen wir nach vielem Irren und Suchen, in noch einer halben Stunde am Eingange der Höhle an. Dieser ist ro¬ mantisch wild und schauerlich in einem tiefen Kessel, rund umher mit groſsen Felsenstücken umgeben und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/98
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/98>, abgerufen am 21.11.2024.